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Der Politiker Ralf Fücks.

© Promo

Nachhaltiges Wachstum: „Corona ist ein Sprint, Klimaschutz ein Marathonlauf“

Der grüne Vordenker Ralf Fücks sieht durch die Coronakrise nichts für den Kampf gegen die Erderwärmung gewonnen. Ein Interview.

Von Jakob Schlandt

Herr Fücks, ist die Coronakrise eine Systemkrise und gleicht sie darin der Klimakrise?
Die Coronapandemie ist weder eine Krise der Globalisierung noch des Kapitalismus, sondern eine Erinnerung daran, dass wir die biologische Welt nie ganz unter Kontrolle haben. Seuchen begleiten die Geschichte der menschlichen Zivilisation. Sie haben zu Fortschritten in Hygiene und Medizin geführt, aber Gesellschaften nicht grundlegend verändert.

Und die Klimaerwärmung?
Die Erderwärmung ist eine tiefer greifende Bedrohung. Sie fordert die moderne Industriegesellschaft im Kern heraus. Schon die Zeitabläufe sind anders. SARS Covid-2 kann mit kurzfristigen Maßnahmen bekämpft werden, Klimawandel fordert langfristige Strukturveränderungen. Corona ist ein Sprint, Klimaschutz ein Marathonlauf.

Wir haben also mehr Zeit, das Problem der Klimaerwärmung zu lösen. Das sollte es doch einfacher machen?
Im Gegenteil. Die dramatischen Bilder aus Italien, die Gefahr Hunderttausender Toter, das ist ein Jetzt, Hier, Sofort, das Handeln zwingend macht. Beim Klimawandel begünstigt das Zeitlupenhafte die Verdrängung. Wissen und Handeln klaffen auseinander

Nach Fücks Auffassung ist die Erderwärmung eine tiefer greifende Bedrohung als die Coronakrise: „Sie fordert die moderne Industriegesellschaft im Kern heraus.“
Nach Fücks Auffassung ist die Erderwärmung eine tiefer greifende Bedrohung als die Coronakrise: „Sie fordert die moderne Industriegesellschaft im Kern heraus.“

© imago/Future Image

Hilft die Coronakrise, weil sie den klimaschützenden Strukturwandel vorantreibt? Denken wir an Home-Office und Radverkehr.
Es ist eine große Illusion, dass mit der vorübergehenden Senkung der Umweltbelastung infolge der Coronakrise etwas gewonnen ist. Entscheidend sind allein strukturelle Veränderungen.

Aus Bewegungen wie Extinction Rebellion und Fridays for Future ist zu hören, dass die Krise ja zeige: Verzicht ist möglich.
Ökologisch springt das viel zu kurz. Es geht um eine Reduktion von Treibhausgasen gegen Null. Das ist durch Verzicht schlechterdings nicht zu erbringen. Klimaschutz erfordert Öko-Innovationen im großen Stil. Mehr noch: Wenn man primär auf Restriktion setzt, um den Klimawandel zu stoppen, landet man beim Ausnahmezustand in Permanenz.

In einer Demokratie ist aber nicht hinnehmbar, dass Grundrechte dauerhaft außer Kraft bleiben. Die Mehrheit ist nur bereit, massive Einschränkungen zu akzeptieren, wenn die Rückkehr zur Normalität in Aussicht steht.

[Verfolgen Sie alle neuen Entwicklungen zum Coronavirus in unseren Liveblogs zum Virus weltweit und zum Virus in Berlin.]

Kein Verzicht: Wie kann dann Klimaschutz, also eine Reduktion der CO2-Emissionen gegen Null zur Mitte des Jahrhunderts, erreicht werden?
Mit dem, was ich die grüne Revolution nennen. Sie basiert vor allem auf technologische Innovationen, von erneuerbaren Energien und Elektromobilität bis zur Umstellung der Produktionsprozesse in der Industrie. Das erfordert gewaltige Investitionen auf staatlicher und unternehmerischer Ebene. In einer schrumpfenden Ökonomie sinkt das Innovationstempo – wir brauchen aber umgekehrt eine Beschleunigung.

Mit Verlaub: Sind Sie es möglicherweise, der eine Illusion propagiert? Ganz ohne Verzicht wird es nicht gehen.
Verhaltensänderungen müssen sein, ich schätze sie aber auf maximal 20 bis 25 Prozent des Beitrags zur Nullemissionsgesellschaft. Ernährung ist der größte individuelle Änderungsspielraum – unser heutiger Fleischkonsum ist definitiv zu hoch. Aber auch das würde ich nur ungern Verzicht nennen. Wir können uns anders und besser ernähren. Dafür brauchen wir eine Kombination aus Bio- und High-Tech-Landwirtschaft, zum Beispiel Urban Farming und Aquaponik.

„Ernährung ist der größte individuelle Änderungsspielraum – unser heutiger Fleischkonsum ist definitiv zu hoch“, sagt Fücks.
„Ernährung ist der größte individuelle Änderungsspielraum – unser heutiger Fleischkonsum ist definitiv zu hoch“, sagt Fücks.

© imago/Westend61

Denken Sie auch an Gentechnik, eines der Tabuthemen der Grünen?
Das Tabu bröckelt langsam. Die grüne Wissenschaftsministerin in Baden-Württemberg, Theresia Bauer, ist gegenüber Biotechnologie aufgeschlossen, auch in der grünen Jugend gibt es solche Stimmen. Die Grünen werden nicht ewig beim Klima sagen können: Follow the science, während sie bei der Gentechnik den überwältigenden Konsens der Wissenschaft ignorieren. Gentechnik mit dem Skalpell statt der Schrotflinte kann die Effizienz einer ökologischen Landwirtschaft steigern.

Geht Mobilität ohne Verzicht? Lassen Sie uns über den Flugverkehr reden, bei dem die offensichtliche Lösung wie beim Auto – Elektromobilität – kaum möglich ist.
Die Fliegerei ist ein sehr interessantes Beispiel. Zum einen hinsichtlich der Coronakrise. Wir sehen im Moment bei der Lufthansa ein Reduktion um bis zu 95 Prozent. Das entlastet die Umwelt. Aber langfristig wirkt die Krise eher kontraproduktiv. So kommt der Austausch älterer Modelle durch neuere zum Erliegen. Es fehlt Finanzkraft für Investitionen, fallende Kerosinpreise wirken kontraproduktiv. Hier wird der Staat einspringen müssen, um mit Investitionszuschüssen den Pfad Richtung CO2-Neutralität abzusichern.

Und der zweite Punkt?
Der Verzicht. Natürlich sollte die kleine Minderheit, die ständig fliegt, auf ihr Shopping-Wochenende in London verzichten. Aber ich glaube keine Sekunde, dass die Menschen dauerhaft auf Urlaubsreisen, auf die Möglichkeit, die Welt kennenzulernen oder im Ausland zu studieren, verzichten werden. Dazu kommt: Es steigen jedes Jahr zig Millionen Menschen in die globale Mittelschicht auf, die beruflich und privat fliegen werden. Es wird deshalb einen steigenden globalen Luftverkehr geben, trotz Corona.

Wie lässt sich das mit Klimaschutz vereinbaren?
Wir benötigen Sprunginnovationen. Im Luftverkehr geht es um synthetische Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien, vielleicht auch um Biokraftstoffe der zweiten oder dritten Generation. Dafür braucht es noch Forschung und Entwicklung, aber das ist kein Abrakadabra. Im Luftverkehr gibt es lange Investitionszyklen. Es darf nicht passieren, dass in 30 Jahren noch Flugzeuge mit einem ähnlichen CO2-Ausstoß fliegen wie heute. 

„Kritik an Dirigismus und Verbotspolitik in Ehren, aber ohne Strategie für eine ökologische Marktwirtschaft wird man zu einer Neinsagerpartei“ ruft Fücks den Liberalen unter Christian Lindner zu.
„Kritik an Dirigismus und Verbotspolitik in Ehren, aber ohne Strategie für eine ökologische Marktwirtschaft wird man zu einer Neinsagerpartei“ ruft Fücks den Liberalen unter Christian Lindner zu.

© imago images/Christian Spicker

Die Lobbyisten im Energiesektor rufen fast einhellig nach grünen Konjunkturpaketen. Ist das der richtige Weg?
Ich bin skeptisch, was immer neue kreditfinanzierte Investitionsprogramme angeht. Im Moment fallen wir von der schwarzen Null in eine unbegrenzte Schuldenexpansion. Das ist nicht durchhaltbar. Erstes Ziel muss sein, dass wir die ökologischen Standards verteidigen, die jetzt infrage gestellt werden. Das gilt etwa für den europäischen Emissionshandel und die Klimaziele für die Autoindustrie. Selbstverständlich ist es richtig, künftige Konjunkturprogramme an ökologische Ziele zu binden. Aber angesichts begrenzter Mittel sollte staatliche Unterstützung gezielt dort helfen, wo Innovationsprozesse abzureißen drohen.

Im politischen Spektrum rechts der Mitte, zum Beispiel bei marktliberalen Ökonomen und in Teilen der FDP, gibt es große Sympathien für Ihre Positionen. Nehmen Sie diesen Applaus gerne an?
Der Applaus aus dieser Richtung hält sich in Grenzen.  Ich bin ein grüner Ordoliberaler, der auf kluge staatliche Regulierung und marktwirtschaftliche Anreize setzt. Das gilt insbesondere für die Einbeziehung ökologischer Kosten in die Preisbildung. Das finden viele im Prinzip richtig, aber wenn es konkret wird, sind sie nicht mehr an Bord. Das Hauptproblem der FDP ist, dass sie im Abwehrreflex steckenbleibt.

Der wäre?
Kritik an Dirigismus und Verbotspolitik in Ehren, aber ohne Strategie für eine ökologische Marktwirtschaft wird man zu einer Neinsagerpartei. Die Frage nach dem ordnungspolitischen Kurs müssen auch Union, SPD und Grüne beantworten. Das Klimapaket der Bundesregierung schwankt zwischen sektoralem Dirigismus und marktwirtschaftlichen Weichenstellungen.

Die Internalisierung von externen Kosten, zum Beispiel über einen CO2-Preis, ist wunderbar. Aber sie funktioniert nur, wenn sie nicht international, durch die USA, durch China, unterlaufen wird.
In einer globalisierten Ökonomie sind die nationalen Handlungsspielräume begrenzt. Sie sind aber nicht null.

Wenn man sie intelligent nutzt, kann daraus sogar ein Wettbewerbsvorteil werden. Dass die deutsche Industrie noch eine führende Rolle in Sachen Umwelttechnik spielt, geht auch auf eine relativ fortschrittliche Umweltpolitik zurück.

Man muss die nationalen Spielräume nutzen, um Öko-Innovationen voranzutreiben, ohne die Unternehmen zu überfordern. Das gilt erst recht für die europäische Ebene. Die reguliert einen Markt mit rund 500 Millionen Menschen. Wer jetzt klimapolitisch bremst, verspielt die Chancen ökologischer Modernisierung. Und er verkennt, welches globale Gewicht unsere Entscheidungen haben.

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