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Migranten aus Tunesien kommen in Porto Empedocle an Bord von zwei Militärschiffen an.

© Fabio Peonia/LaPresse/ AP/dpa

Nach zwei Ausbrüchen aus Quarantänelagern: Italien lässt Flüchtlinge von der Armee bewachen

Bevölkerung sieht in Migranten neues Corona-Risiko. Regierung in Rom will tunesische Küstenwache im Kampf gegen Schlepper unterstützen.

„Es ist einfach unvorstellbar, dass jemand herumläuft und die Quarantäne-Maßnahmen missachtet – ob er nun ein Flüchtling ist oder nicht“, sagte Italiens Außenminister Luigi Di Maio, nachdem am Montag in der sizilianischen Hafenstadt Porto Empedocle Dutzende Migranten aus einem überfüllten, fensterlosen Quarantäne-Zelt geflohen waren.

Bereits am Sonntag waren 184 Flüchtlinge aus einem ebenfalls überlasteten Auffanglager in Caltanisetta entwichen, wo sie sich ebenfalls für 14 Tage in Quarantäne hätten aufhalten müssen. Die Migranten hatten eine schweres Eisentor niedergerissen.

Bei der Einhaltung der Quarantäne-Vorschriften durch neu ankommende Flüchtlinge gehe es nicht um Ideologie, sondern „um die öffentliche Gesundheit“, sagte Di Maio.

Die Regierung hat am Montag deshalb 300 Soldaten nach Sizilien abkommandiert, welche die Auffanglager und Quarantäne-Stationen bewachen sollen.

Zahl der Flüchtlinge hat sich vervierfacht

Seit Anfang des Jahres sind an den Küsten Süditaliens rund 12.300 Bootsflüchtlinge angekommen, davon alleine 5300 im Juli. Damit hat sich die Zahl im Vergleich zum Vorjahr vervierfacht – wenn auch die Zahl früherer Jahre mit jeweils über 100.000 Migranten jährlich bei weitem nicht erreicht wird.

Zu den alten Ängsten und Vorurteilen gesellt sich in Italien nun noch die Sorge, die Migranten könnten mit dem Coronavirus infiziert sein und neue Ausbrüche in Italien verursachen.

Italienische Polizisten stehen vor einer Gruppe tunesischer Migranten, die versuchten, das Aufnahmezentrum zu verlassen.
Italienische Polizisten stehen vor einer Gruppe tunesischer Migranten, die versuchten, das Aufnahmezentrum zu verlassen.

© Fabio Peonia/LaPresse via ZUMA Press/dpa

Diese Sorge scheint, zumindest bei den aus der Quarantäne geflohenen Flüchtlingen, unbegründet: Laut Angaben des Innenministeriums sind die meisten der entwichenen Personen inzwischen gefunden worden – und bisher wurde bei keinem der bis jetzt Getesteten das Coronavirus entdeckt.

In den Wochen zuvor waren aber etliche Migranten positiv auf das Virus getestet worden, wie Ende Juni die 28 Infizierten auf dem privaten deutschen Rettungsschiff „Sea Watch“.

Der Ex-Innenminister und Chef der rechtspopulistischen Lega, Matteo Salvini, wirft der Regierung von Giuseppe Conte Versagen im Umgang mit den Flüchtlingen vor. Doch der mit Abstand größte Teil der in diesem Jahr angekommenen Flüchtlinge ist nicht auf Rettungsschiffen nach Italien gelangt, denen Salvini einst die Einfahrt in die italienischen Häfen verwehren wollte.

Rund 9500 der 12.300 Migranten in diesem Jahr sind „autonom“ mit eigenen Schiffen in Italien gelandet – und diese meist kleinen Boote können nicht zurückgewiesen werden, ohne die Flüchtlinge in den sicheren Tod zu schicken. Von den meisten der „autonom“ gelandeten Flüchtling verlieren sich nach der Ankunft die Spuren.

Mehr als die Hälfte dieser „Unsichtbaren“ kamen aus Tunesien, das deutlich näher an Italien liegt als Libyen, von wo aus bisher der größte Teil der Migranten nach Italien übersetzte.

Die Boote kommen aus Tunesien

Die Verlagerung des Migranten-Stroms auf die „Tunesien-Route“ hat in erster Linie ökonomische Gründe: Die Wirtschaft in dem nordafrikanischen Land ist durch die Corona-Pandemie schwer getroffen worden, insbesondere die Tourismusbranche. "Wir stehen in Tunesien vor einer äußerst schweren Krise, die Auswirkungen auf die Zahl der Migranten hat", betonte die italienische Innenministerin Luciana Lamorgese.

Die parteilose Ministerin hatte bei einem Besuch in Tunis Anfang der Woche gefordert, dass Tunesien seine Küste intensiver kontrolliere. Ihrem tunesischen Amtskollegen Hichem Mechichi und Staatspräsident Kais Said sicherte Lamorgese gleichzeitig italienische Hilfe zu: Die bereits bestehende Vereinbarung zur Unterstützung der tunesischen Küstenwache im Kampf gegen die Schlepperbanden soll erweitert werden.

Die italienische Regierung versprach außerdem auch finanzielle Hilfen zur Bewältigung der Wirtschaftskrise.

Die tunesischen Flüchtlinge haben kaum eine Chance, in Italien bleiben zu können: Tunesien gilt in Rom als sicheres Herkunftsland und es ist außerdem eines der ganz wenigen Herkunftsländer, mit denen Italien über ein Rückführungsabkommen verfügt.

EU will die Flüchtlinge verteilen

Ob Lamorgeses Appelle und die Zusage von Hilfen an Tunis fruchten werden, wird sich zeigen. Sicherheitshalber will Italien angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen und der immer häufiger werdenden Proteste in Sizilien ein weiteres Quarantäne-Schiff mit 800 bis 1000 Plätzen einrichten, wo die Migranten in Quarantäne gebracht werden können. Auch ungenutzte Militärkasernen sollen zu - ausbruchsicheren - Quarantäne-Stationen umfunktioniert werden.

Die EU-Kommission koordiniert auf Anfrage Italiens inzwischen die Verteilung geretteter Menschen auf weitere EU-Staaten, wie ein Sprecher der Brüsseler Behörde am Dienstag sagte.

Man sei in Kontakt mit anderen Ländern, die Gespräche hätten jedoch gerade erst begonnen. Man sei sich der „gegenwärtigen Herausforderungen“ in Italien, insbesondere auf der Insel Lampedusa, bewusst.

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