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Polizisten sorgen für Sicherheit und ein hohes Sicherheitsgefühl. Aber sie können nicht überall sein.

© dpa

Nach Vorfall vom Frankfurter Bahnhof: „Wir brauchen eine neue Sicherheitskultur“

Mehr Polizei und mehr Videokameras allein erhöhen kein Sicherheitsgefühl. Es geht dabei um emotionale, soziale und kulturelle Phänomene. Ein Gastbeitrag.

Daniel Dettling ist Zukunftsforscher und leitet das von ihm gegründete Institut für Zukunftspolitik (www.zukunftspolitik.de)

Nach den jüngsten Anschlägen auf den Bahnhöfen in Voerde und Frankfurt ist ein neuer Typ von Terrorist ins allgemeine Bewusstsein getreten: der psychisch labile Einzeltäter ohne erkennbares Mordmotiv. Wie allen Terroristen geht es ihm um die „Propaganda der Tat“, den Schrecken und die Angst, die sie bei unbeteiligten und unschuldigen Dritten auslösen.

Und das wirkt. Während unsere Gesellschaft statistisch gesehen immer sicherer wird, nimmt das Sicherheitsgefühl der Bürger ab. Der Bundesinnenminister sieht eine „Werterosion“ als zentrale Ursache. Was tun gegen die wachsende gefühlte Unsicherheit?

Es sollte ein symbolisch starkes Zeichen sein: Ein Innenminister, der seinen Urlaub unterbricht, flankiert vom Chef der Bundespolizei und des Bundeskriminalamts. Ihre gemeinsame Mission: der Kampf gegen das „angespannte Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung“ (Horst Seehofer, CSU). Die paradoxe Lage: Die allgemeine Kriminalität geht ebenso zurück wie das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger. Politik und Sicherheitsbehörden reagieren hilflos auf die gefühlte Unsicherheit im Lande.

Seehofer reagierte mit "Mehr vom Bekannten"

Die nach dem Anschlag auf dem Frankfurter Hauptbahnhof, wo vor zehn Tagen ein Mann unvermittelt eine Frau und ihren Sohn ins Gleisbett gestoßen hatte und der Sohn vom einem ICE erfasst und getötet wurde, sofort angekündigten Maßnahmen stehen für eine Politik des „Mehr vom Bekannten“: mehr Kontrollen, Polizei und Videoüberwachung. Das sind notwendige, aber nicht ausreichende Konsequenzen aus den Anschlägen und Morden der vergangenen Jahre.

Aber allein mit staatlichen und polizeilichen Maßnahmen ist dieser Art Terror kaum beizukommen. Das weiß auch der Bundesinnenminister, der eine andere Ursache für das abnehmende Sicherheitsgefühl der Bevölkerung nannte: „einen Werteverfall in unserer Gesellschaft“. Diesen beobachtet Seehofer im mangelnden Respekt vor Polizei und anderen Blaulichtorganisationen sowie in organisierter Randale in öffentlichen Schwimmbädern.

Damit spricht der Minister einen zentralen Punkt an. Wie beim Thema Sicherheit gilt auch hier das Paradox: Die Bürger sehen in Umfragen einen allgemeinen Werteverfall in der Gesellschaft, obwohl das statistische Wertebarometer so hoch wie noch nie ist. Die Zahl der freiwillig engagierten Ehrenamtlichen wächst jährlich, die Nachfrage nach Freiwilligendiensten boomt. Es geht weniger um die tatsächliche Kriminalität (die zurückgeht) oder das reale Engagement der Bürger (das steigt) als um die Debatte über Gewalt und Werte in der Gesellschaft.

Eine starke Bürgergesellschaft ist nötig

Gefühlte Sicherheit entsteht dann, wenn die Bürger selbst betroffen sind und sich angesprochen fühlen. Seit Aristoteles, Tocqueville und Böckenförde wissen wir: Ein starker Staat ist auf eine starke Bürgergesellschaft angewiesen. Wo die Bürger das Gefühl haben, die gesellschaftliche Solidarität geht den Bach runter, verlieren sie das Vertrauen in die öffentlichen Institutionen und ihr Sicherheitsgefühl. Stattdessen macht sich ein allgemeines Gefühl des Kontrollverlustes breit.

Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen sieht in dem Wandel der Welt hin zu einem „global vernetzten Dorf“ die zentrale Ursache für die zunehmende Gereiztheit in der Gesellschaft. Wie können wir uns auf die neue vernetzte Welt vorbereiten und mit ihr umgehen lernen?

Das weit verbreitete Gefühl des Kontrollverlusts und der Unsicherheit kann durch ein Mehr an sozialer Verantwortung bekämpft werden. Dazu drei Vorschläge. Erstens: ein neuer und erweiterter Begriff von Sicherheit. „Öffentliche Sicherheit“ gründete bisher auf der Abwehr von Gefahren durch den Staat und seine Behörden. Grundlegend verändert hat sich die Sicherheitsphilosophie mit den Terroranschlägen der RAF in den siebziger Jahren.

Seither geht es nicht mehr nur um den Schutz der Bürger vor dem Staat, sondern auch um den Schutz des Staates, seiner Institutionen und der Bürger vor Terroristen und Psychopathen. Bislang sind die Bürger im Kampf gegen die gefühlte Unsicherheit zwar passiv Betroffene, aber nicht aktiv Beteiligte. Um die Bürger stärker zu beteiligen, braucht es eine Neudefinition von „ziviler Sicherheit“. Es geht um eine Politik der Achtsamkeit und Aufmerksamkeit, die Sicherheit breiter denkt: emotional, sozial und kulturell. Ohne eine Politik der umfassend verstandenen Sicherheit wird auch die beste Polizei- und Sicherheitsarbeit wenig ausrichten.

Schutz von Werten

Zweitens: Bürger und Unternehmen werden eine größere Rolle spielen müssen. Es wird die gesamte Gesellschaft brauchen, um dem neuen Hass und Terror zu begegnen. Der alte Begriff der „sozialen Kontrolle“ wird dabei eine zentrale Rolle spielen. Wie sichern wir öffentliche Räume wie Bahnhöfe und die sozialen Medien? Welche Rolle spielen Bürger, Fahrgäste und Nutzer und ihre Kommunikation untereinander? Wo beginnt die soziale Verantwortung der Unternehmen im öffentlichen Raum?

Heute ist es so, dass kaum jemand die Bahndurchsagen auch nur akustisch versteht. Kommunikation zwischen Bahn und Kunden wird so unmöglich. Dabei wäre es die Aufgabe des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, aus zuschauenden Fahrgästen soziale Kontrolleure zu machen, die nicht nur auf sich, sondern auch auf andere achtgeben. Es geht nicht nur um den eigenen Schutz von Wertgegenständen, sondern auch um den Schutz gemeinsamer Werte wie Respekt, Achtsamkeit und Fürsorge. Auch Hass und Hetze im Netz lassen sich durch das soziale Engagement der Nutzer besser bekämpfen.

Alle Akteure sind aufgerufen

Internetplattformen wie Facebook können noch so viele private Kontrolleure anstellen – ohne die Aufmerksamkeit und das engagierte Entgegentreten der zivilen Nutzer werden „Hate Speech“ und gezielte Falschinformationen nicht wirksam und nachhaltig bekämpft und geahndet werden können.

Digitales Engagement im Netz braucht drittens Aufklärung und Bildung. Die digitale Revolution macht jeden Bürger zum Sender von Nachrichten und Meinungen. Medienkompetenz muss in den Schulen gelehrt und im Alltag gelebt werden. Wenn öffentliche Räume wie Bahnhöfe, Schulen und das Internet keine Angsträume werden sollen, brauchen die Durchsetzung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und der Kampf gegen Hass und Hetze alle Akteure. Nur wenn die Bürger das Gefühl haben, selbst etwas bewirken zu können, werden sie wieder das Gefühl von Sicherheit haben.

Daniel Dettling

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