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Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Israels Premier Benjamin Netanjahu.

© Tobias Schwarz/AFP

Nach US-Kehrtwende: Deutschland braucht eine ehrliche Nahostpolitik

Solidarität mit dem jüdischen Staat und ihn gleichzeitig maßregeln? Die deutsche Außenpolitik muss doppelte Standards gegenüber Israel aufgeben. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Die Zeit ist gekommen – für eine Bestandsaufnahme und die Herstellung eines Status der deutschen Nahostpolitik. Was war, was wird, darum geht es, nachdem die US-Regierung den Status Quo in eben dieser Politik aufgekündigt hat. Dass der Siedlungsbau in den besetzten Palästinensergebieten „nicht per se“ gegen das Völkerrecht verstoße, hat die Trump-Administration erklärt und damit eine Jahrzehnte währende Lesart für sich beendet. Aber eben nicht allein für sich, weil sich diese Entscheidung auf alle Beteiligten – in Nahost, in Europa, der Welt – auswirkt. Sie werden gezwungen, sich neu zu vergewissern, wie es zwischen Israelis und Palästinensern weitergehen soll.

Das voran: Man kann sogar sagen, dass das amerikanische Vorgehen faktisch schlüssig ist. Denn was Jahrzehnte nicht zum Ziel geführt hat, nicht zu zwei Staaten in Frieden – wie soll das plötzlich erfolgreich werden? Wie stellt man sich die Aus- oder Umsiedlung der jüdischen Siedler konkret vor? 1982 und 2005 gab es ähnliche Umsiedlungen, die beinahe zu einem innerjüdischen Bürgerkrieg geführt hätten. Was wäre, wenn mehr als 600 000 umgesiedelt werden müssten?

Machen wir uns nichts vor, auch das Völkerrecht ist normativ, also politisch abgeleitet – und hat in die politische Sackgasse geführt. Aber ohnehin wichtiger als die rechtliche Betrachtung ist die Frage: Wo stehen wir Deutsche? An der Seite der Europäer, die haufenweise Anti-Israel-Resolutionen in den UN beschließen? Oder – trotz Trump – an der Seite der USA, um den Konfrontationskurs gegen Israel zu beenden?

Die Zweistaatenlösung wirkt unrealisierbar

Ja, Deutschland will sich nicht von den anderen Europäern separieren – aber hier geht es um etwas Grundsätzliches. Historisch, politisch, ethisch: Nächstes Jahr ist es erst 75 Jahre her, dass das Vernichtungslager Auschwitz befreit wurde. Auschwitz, das zum Synonym für das deutsche „Nie wieder!“ geworden ist. Wegen Auschwitz ist der amtierende deutsche Außenminister erst in die Politik gegangen, sagt er, und will seine Politik danach ausrichten. Die amtierende Kanzlerin hat darüber hinaus das Seite-an-Seite mit Israel zur Staatsräson erhoben.

Was aber folgt daraus? Ganz gewiss diese politische Anforderung: keine doppelten Standards. In den UN die Feinde Israels zu schonen, dafür Israel zu maßregeln, das ist so unethisch wie unlogisch und unpolitisch. Diese Haltung hat zu keiner Verbesserung der Lage geführt, nicht in all den Jahren. Also muss eine andere eingenommen werden.

Schon einmal hat die Bundesrepublik, das Nachkriegsdeutschland, da versagt. Ausgerechnet in Person des „Friedenskanzlers“ Willy Brandt, dessen Kanzlerschaft vor 50 Jahren begann und gerade gefeiert wird. Es war 1973, da bat ihn Israels Premierministerin Golda Meir inständig, Ägyptens Präsident Anwar as-Sadat zu übermitteln, dass ihr Land Frieden wolle und zu territorialen Zugeständnissen bereit sei. Brandt überließ es dem Außenamt, doch das fürchtete um die Beziehungen zu den (ölreichen) arabischen Staaten. Diese Chance verlief im Sande.

Die Zweistaatenlösung wirkt unrealisierbar. Aber es gibt eine Alternative: einen Bundesstaat der Palästinenser und dessen Staatenbund mit Israel. Dafür braucht es Vermittler. Das könnten Deutschland und die EU, wohl besser als Trumps USA. Dafür müssen wir aber wissen, was wir wollen. Die Zeit ist gekommen für eine ehrliche Nahostpolitik.

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