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Kulturförderer Osman Kavala wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.

© Wiktor Dabkowski/dpa

Nach Urteil gegen Kavala: Deutsch-türkischer Schlagabtausch

Deutschland kritisiert die lebenslange Haftstrafe für Osman Kavala. Ankara reagiert empört und wirft Berlin vor, die Opposition in der Türkei zu steuern.

Noch vor ein paar Wochen beschworen Bundeskanzler Olaf Scholz und Präsident Recep Tayyip Erdogan die Verbundenheit beider Länder – jetzt gibt es neuen Krach. Ankara wirft Deutschland vor, türkische Oppositionelle zu finanzieren und zu steuern. Oppositionsparteien würden auf Befehl Deutschlands handeln, sagt Außenminister Mevlüt Cavusoglu.

Regierungspolitiker und regierungsnahe Medien in der Türkei nehmen vor allem den deutschen Botschafter in Ankara, Jürgen Schulz, als angeblichen Strippenzieher ins Visier. Anti-westliche Verschwörungstheorien gehören zum Programm der Regierung ein Jahr vor den nächsten Wahlen. Der Streit könnte deshalb weiter eskalieren.

Das neue Zerwürfnis begann vor einigen Tagen damit, dass das Auswärtige Amt in Berlin den türkischen Botschafter in Deutschland, Ahmet Basar Sen, einbestellte, um gegen das Urteil gegen Osman Kavala zu protestieren. Ein Gericht in Istanbul hatte den Kulturförderer wegen eines angeblichen Umsturzversuches zu lebenslanger Haft verurteilt, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine Freilassung verlangt.

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Türkei: Deutscher Botschafter arbeitet gegen Erdogan

Wegen des Falles läuft im Europarat ein Ausschlussverfahren gegen die Türkei, die als Mitglied des Rates verpflichtet ist, sich an Urteile des Menschenrechtsgerichts zu halten. Erdogan und seine Regierung erkennen die Hoheit des Europarats-Gerichts bei Kavala nicht an. Der Fall sei mit der Verurteilung des Angeklagten abgeschlossen, das Einspruchsrecht des Menschenrechtsgerichts habe sich „erledigt“, sagte Erdogan.

Deutschland und andere europäische Staaten sehen das anders und kritisieren den Umgang mit Kavala als Zeichen dafür, dass die Justiz in der Türkei der Regierung dient. Kurz nach der Einbestellung von Sen in Berlin wurde der deutsche Botschafter Schulz ins Außenministerium in Ankara zitiert, um sich den Protest der türkischen Regierung gegen das Verhalten der Bundesregierung abzuholen: Berlin habe ein türkisches Gerichtsurteil nicht zu kritisieren.

Die türkische Opposition protestierte gegen das Kavala-Urteil.
Die türkische Opposition protestierte gegen das Kavala-Urteil.

© Umit Bektas/Reuters

Schulz ist ein Buhmann für Regierung und regierungsnahe Medien in der Türkei. Sie unterstellen ihm, bei der Bildung eines Oppositionsbündnisses gegen Präsident Erdogan mitgewirkt zu haben. Innenminister Süleyman Soylu erklärte jüngst, eine gemeinsame Erklärung von sechs Oppositionsparteien, die bei der Parlaments- und Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr gegen Erdogans Regierungsbündnis antreten wollen, sei mit einem ausländischen Botschafter in Ankara abgesprochen worden.

Soylu sprach ohne Namen zu nennen von europäischen und amerikanischen Einmischungsversuchen. Die regierungsnahe Zeitung „Yeni Safak“ berichtete kurz darauf, der fragliche Botschafter sei Schulz gewesen. Die deutsche Botschaft in Ankara dementierte. Trotzdem facht Ankara das Gerücht von den angeblichen deutschen Befehlen an die türkische Opposition weiter an.

Vor der letzten Wahl war Österreich der Sündenbock

Bei einem Auftritt in seiner Heimatprovinz Antalya spielte Außenminister Cavusoglu auf den Vorwurf an, Kavala habe im Auftrag ausländischer Kräfte die regierungsfeindlichen Gezi-Proteste von 2013 angezettelt. Obwohl es keine Beweise gibt, war Kavala deshalb verurteilt worden.

Warum wohl sorge sich das Ausland so sehr um Kavala, fragte Cavusoglu in seiner Rede, und beantwortete die Frage selbst: „Weil sie Geld geben, weil sie Leute benutzen. Sie benutzen diese Art von Leuten, um sich in der Türkei einzumischen.“ Sein Ministerium habe Botschafter Schulz klargemacht, dass er sich nicht in die türkische Innenpolitik einzumischen habe. „Aber wie man sieht, geben die hier bestimmten Parteien Befehle, um sie entsprechend auszurichten und die türkische Innenpolitik zu lenken.“

Erdogan und der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman nähern sich einander wieder an.
Erdogan und der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman nähern sich einander wieder an.

© AFP

Schon in früheren Wahlkämpfen hatte Erdogans Regierung gegen den Westen ausgeteilt, um nationalistische Wähler zu beeindrucken. Kurz vor der türkischen Volksabstimmung über die Einführung von Erdogans Präsidialsystem 2017 warf der Staatschef der damaligen Kanzlerin Angela Merkel „Nazi-Methoden“ vor, weil Deutschland und andere EU-Staaten keine Wahlkampfauftritte türkischer Politiker erlaubten.

Vor der Parlaments- und Präsidentschaftswahl 2018 zog Erdogan gegen Österreich vom Leder, das einen Krieg zwischen westlichen „Kreuzzüglern“ und der islamischen Welt provozieren wolle. Nicht alle Staaten müssen mit Erdogans Zorn rechnen. Auf Wunsch Saudi-Arabiens und mit Ermutigung der Regierung in Ankara stellte ein türkisches Gericht vorigen Monat das Istanbuler Strafverfahren gegen die mutmaßlichen Mörder des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi ein. Erdogan konnte daraufhin vorige Woche in die Golfmonarchie reisen, um einen Neubeginn in den Beziehungen zu dem Königreich zu besiegeln.

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