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Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) lässt Sterbehilfe per Weisung untersagen.

© Thomas Trutschel / imago images/photothek

Exklusiv

Nach Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Großes Interesse an Sterbehilfe vom Staat – Druck auf Spahn steigt

Mehr als 50 Patienten haben zuletzt Zugang zu Todes-Medikamenten beantragt, trotz Blockade des Ministers. Erstmals klagen jetzt Betroffene in Eilverfahren.

Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Liberalisierung der Sterbehilfe bemühen sich Patienten verstärkt um eine behördliche Genehmigung für tödlich wirkende Mittel.

Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der FDP-Fraktion hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt.

Demnach haben sich allein seit dem Karlsruher Urteil Ende Februar mehr als 50 Sterbewillige beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn gemeldet.

Auf Weisung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), einem erklärten Gegner der Sterbehilfe, werden sämtliche Anträge abgelehnt.

FDP-Politikerin Katrin Helling-Plahr: Spahn muss „Farbe bekennen“

Spahns Haltung könnte jedoch bald unter Druck geraten: Wie das Kölner Verwaltungsgericht auf Anfrage bestätigte, haben im Juni erstmals zwei Antragsteller ein gerichtliches Eilverfahren gegen die Ablehnung angestrengt.

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Eine erste Entscheidung dazu könnte bereits in den nächsten Wochen fallen. Der Minister werde „kurzfristig Farbe bekennen müssen“, erwartet die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr.

Wenn die anhängigen Klagen entschieden seien, könne Spahn sich „nicht mehr hinter der Behauptung verstecken, er wolle erst einmal laufende Verfahren abwarten“.

Die Regierung wartet dennoch auf den Bundestag

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil das Grundrecht auf einen selbstbestimmten Tod bekräftigt und den umstrittenen Strafrechtsparagraf 217 für nichtig erklärt, der insbesondere privaten Sterbehilfevereinen die „geschäftsmäßige“ Ausübung ihrer Tätigkeit verbot.

Zudem regten die Richter an, die Ermöglichung von Sterbehilfe gesetzlich oder über ärztliche Vorschriften umfassend zu regeln. Die Regierung wartet dazu auf Initiativen aus dem Bundestag, die es bisher nur sehr vereinzelt gibt.

Unabhängig davon hatte aber bereits das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig drei Jahre zuvor das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben betont und das BfArM angewiesen, todkranken Patienten in Ausnahmesituationen den Erwerb des Mittels Natrium-Pentobarbital zum Zweck der Selbsttötung zu gestatten.

Seitdem sind den neuesten Angaben der Regierung zufolge 190 Anträge gestellt worden, davon wurden bislang 119 negativ beschieden. Bewilligt wurde das Medikament in keinem einzigen Fall.

Eine Freigabe der Medikamente ist nicht zwingend

Mit rechtskräftigem Abschluss eines Eilverfahrens könnte sich das zeitnah ändern. Solche Verfahren sind bevorzugt zu behandeln und laufen nur über zwei Instanzen. Oft dauern sie nur einige Monate.

Bisher gibt es sonst nur Klagen von Patienten in so genannten Hauptsachverfahren, die Jahre dauern. Eine Freigabe der Medikamente als Ergebnis ist jedoch nicht zwingend.

Die Justiz in Nordrhein-Westfalen könnte auch auf die wieder aufgenommene Sterbehilfe durch private Vereine wie „Dignitas“ verweisen und eine staatliche Abgabe der Medikamente über das BfArM daher ablehnen.

Einem der Patienten geht es „eher ums Prinzip“

Dennoch sieht der Dresdner Anwalt Matthias Herberg, der die Patienten in den beiden Eilverfahren vertritt, das BfArM in der Pflicht. Sie lehnten Hilfe der Vereine ab, und sei „ihr Recht, sich mit ihrem Sterbewunsch nicht in gewerbsmäßige Hände zu begeben“.

Als Alternative für einen humanen Suizid verbliebe dann ein Mittel wie Natrium-Pentobarbital, das nur mit Erlaubnis des BfArM erworben werden darf. Einer der Eilkläger habe eine schwere genetische Erkrankung mit Verlust der Gehirnfunktion.

Am Schicksal seiner Mutter habe er gesehen, dass er sich ein allzu weites Fortschreiten der Erkrankung ersparen möchte. Der zweite Patient habe dagegen keine lebensbedrohlichen Erkrankungen. Ihm gehe es „eher ums Prinzip“, sagt Anwalt Herberg.

„Suizidhilfe braucht Menschlichkeit statt Bürokratie“ 

Der Umgang Spahns mit dem Gerichtsurteil von 2017 ist umstritten. Dem Minister wird vorgeworfen, seine ethisch-politischen Maximen über eine höchstrichterliche Entscheidung gestellt zu haben.

Auch jetzt scheint es die Regierung mit einer angekündigten Positionierung nicht eilig zu haben. Es würden weiterhin zunächst Stellungnahmen von Rechts- und Gesundheitsexperten ausgewertet, heißt es. „Als Parlamentarier sollten wir Betroffene nicht länger alleine lassen und zügig ein liberales Sterbehilfegesetz auf den Weg zu bringen, dass klar normiert, wer unter welchen Voraussetzungen Sterbehilfe leisten darf und unter welchen Voraussetzungen Medikamente zum Suizid erhältlich sind“, fordert dagegen die FDP-Politikerin Helling-Plahr.

Das BfArM soll auch nach ihrer Ansicht darin allerdings nur begrenzt eine Rolle spielen. Die Verschreibung von Medikamenten zur Selbsttötung solle in ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis eingebettet und nicht Beamten überlassen sein. „Suizidhilfe braucht Menschlichkeit statt Bürokratie.“ 

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