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Rote Karte für Merkel! forderte die AfD auf ihrer Demo am 31.10.2015 in Berlin.

© imago/Markus Heine

Nach Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Auch die AfD kann der Demokratie einen Dienst erweisen

Wie sich Politiker im Amt äußern dürfen, ist ein unterschätztes Thema der Mediengesellschaft. Die Regierung hat hier Lernbedarf. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Eine weitere Disziplin, in der die Neurechten von der AfD den Altnazis von der NPD zu folgen scheinen, ist die Verfassungsklage gegen Staatsorgane wegen angeblich unlauterer Äußerungen. Hier konnte die Partei im Streit mit Bildungsministerin Wanka einen Erfolg verbuchen – obwohl man sich über den Kläger eigentlich zu wundern hat. War die Partei nicht einst angetreten, die Dinge, die schlecht laufen, offen und ehrlich zu benennen? Schlecht gelaufen ist es mit der AfD. Aus den Eurokritikern mit Hang zum Selberdenken ist ein Sammelbecken für Radikale geworden, das nicht nur am Rand etwas müffelt. Warum sollen Politiker das nicht klar sagen dürfen?

Eine Rolle auf der Bühne bedeutet Macht

Weil es sich nicht gehört. Demokratie ist ein System zur Verteilung von Macht und, was offenbar weniger selbstverständlich ist, auch zu deren Erlangung. Dafür muss der politische Prozess nach oben und unten offen sein. Nach oben, weil da die Bühne ist, auf der sich die Akteure bewähren, nach unten, weil dort die Parteien mit ihrem Personal darauf warten, nach oben zu kommen. Es liegt auf der Hand, dass Staatsämter als Sprechrollen ganz oben auf der Bühne für die, die sie ausfüllen, eine ständige Versuchung sind, die Konkurrenz kleinzuhalten. Ihr wird täglich erlegen. Aber wie überall gibt es auch hier die Grenze, wo aus zulässigem Gebrauch Missbrauch wird.

Alle haben ein Recht, im Staatsamt zu versagen

Die Ministerin, die zum Demoboykott rief, hat diese Grenze weit hinter sich gelassen. Dass sie und ihre Regierung den Übertritt als nötigen Akt der Selbstbehauptung priesen, ist nur als frech zu bezeichnen. Man kann über die Retrotypen von der AfD meckern wie man will, aber sie haben dasselbe Recht wie alle, im Staatsamt zu versagen; dass man sie dahinein wählen kann, heißt schließlich nicht, dass man sie auch wählen muss. Für ihren politischen Meinungskampf jedoch sollten sich die Regierenden einen besseren Schauplatz suchen als die Webseiten und Briefbögen ihrer Ministerien.

Jeder Minister ist heute sein eigener Pressezar

Dass es die Angelegenheit verdient, über den politischen Aufstieg der AfD hinaus betrachtet zu werden, liegt an einem insgesamt veränderten und modernisierten Kommunikationsverhalten. Die regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit, zu der auch die Wanka-Worte zählen, war dem Bundesverfassungsgericht bisher anderthalb Urteile und ein paar Nebensätze wert, der Rest obliegt der Willensbildung der Herrschenden. Sachlich und neutral hat der Informationsfluss zu sein, aber die genauen Befugnisse samt Beschränkungen sind eine fehlende Schaufel an den Wassermühlen der Demokratie. Gelten die Facebook-Beiträge des Regierungssprechers als staatliches Rundfunkangebot? Und auf welcher Grundlage werden dort unpässliche Kommentare gelöscht? Bediente man sich früher der Journalisten, um Amtshandeln zu verlautbaren, ist heute jeder Minister zugleich sein eigener Pressezar.

Politik ist ein Wettbewerb - um Deutungshoheit

Macht und Möglichkeiten jener da oben auf der Bühne sind in den vergangenen Jahren gewachsen. Und damit die Anfälligkeit für Missbrauch. Insofern sollte nicht erstaunen, dass die Diskussionen darum erst jetzt die Öffentlichkeit erreichen. Der viel beschworene politische Wettbewerb ist ein Kampf um Deutung der Wirklichkeit. Er kann in den Medien, er kann auch vor Gericht ausgetragen werden.

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