zum Hauptinhalt
Das Auswärtige Amt am Werderschen Markt in Berlin.

© Marius Becker/dpa

Nach Radunfall in Berlin-Neukölln: Für Diplomaten sollte eine Prise Leitkultur gelten

Ein Radfahrer stirbt, weil der Fahrer eines Diplomatenautos seine Tür öffnet. Das Auswärtige Amt verordnet eine Willkommenskultur für Gesandte. Doch Straftaten sind zu ernst, um nur höflich zu sein. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Es gibt sie noch, die „Willkommenskultur“. Sie hat einen festen Platz im offiziellen deutschen Begrüßungswesen, als zentraler Begriff im Rundschreiben des Auswärtigen Amts „zur Behandlung von Diplomaten“. Darin werden Behörden und Gerichte zum noblen Umgang mit den Zugereisten verpflichtet, insbesondere „Höflichkeit“ wird verlangt und „Unhöflichkeit“ untersagt. Vorrangig aber ist die lange Liste all dessen, wovon Diplomaten in Deutschland befreit sind: Strafverfahren, Bußgelder, Alkoholkontrollen, Führerscheinentzug oder dergleichen.

Der Status macht nahezu unberührbar

Eine Aufzählung, die auf bedrückende Weise mit den Bildern vom Unfall in Berlin-Neukölln kontrastiert. Ein Radler kam ums Leben, weil der Fahrer eines Diplomatenautos seine Tür öffnete. Ein Unglück, möglicherweise auch eine Straftat. Ausnahmsweise ist das – leider – egal. Der Täter, wenn er denn einer wäre, ist ein saudischer Emissär. Der Gesandtenstatus macht ihm im Gastland nahezu unberührbar. Die Trauer und den Schmerz der Angehörigen dürfte dieser Bonus verdoppeln.

Muss man das verstehen? Man könnte. Dass Abgesandte anderer Länder im Gastland nicht belangt werden, war schon Recht und Sitte, als Staaten noch Reiche waren. Der Grundsatz garantiert, dass Mächte mit Mächten verhandeln können, ein Wert, der auch in Friedenszeiten und Krisenferne von überragender Bedeutung ist.

Man kann einwenden, dass Staatenlenker heute einfacher direkt kommunizieren können als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte. Doch schon die Erfahrungen mit dem Telefon zeigen, dass Diplomatie mehr ist als die Summe von Spitzengesprächen und die Rolle von Botschaften sich nicht in der Ausstellung von Visa erschöpft. Wie es scheint, werden die Wege der klassischen, der leisen und sorgfältig komponierten Diplomatie im Zeitalter des netzwerkgetriebenen Globalgeredes eher wieder wichtiger.

Das Gastland darf Personal-Qualität erwarten

Sollte es so sein, darf ein Gastland allerdings auch gewisse Erwartungen an die Qualität des entsandten Personals haben. Dass Russen, Chinesen und Saudi-Araber in Berlin zu den Verhaltensauffälligen gehören, hat möglicherweise nicht nur mit der Besetzungsstärke ihrer Botschaften zu tun. Massenhaftes Falschparken ist ein Ärgernis; bei Fällen des fragwürdigen Umgangs mit Hausangestellten bekommt das Problem eine menschenrechtliche Dimension. Den Staat trifft hier eine Schutzpflicht, von der ihn die Immunität von Ausbeutern nicht dauerhaft entbinden kann.

Einstweilen hilfreich könnte sein, Willkommenskultur und amtlich verordneter Courtoisie eine Prise örtlicher Leitkultur hinzuzufügen. Was die Politik den Migranten predigt, muss sie, im Wesentlichen, Diplomaten nicht vorenthalten: Dass man sich, obschon nur Gast und kein Bleibekandidat, an Recht und Gesetz zu halten hat. Das Auswärtige Amt nutze dafür alle bestehenden Mittel des Gesandtschaftsrechts, heißt es. Womöglich braucht es ein paar neue.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false