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Gibt es ein rechtes Netzwerk bei der Polizei in Hessen?

© Swen Pförtner/dpa

Nach „NSU-2.0“-Drohmails gegen Linke: Hessens Innenminister setzt Sonderermittler bei Polizei ein

Die Linken-Politikerin Wissler in Hessen wird von Rechten bedroht, es kommt zu Versäumnissen beim LKA. Minister Beuth zieht nun erste Konsequenzen.

Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) fordert nach den Versäumnissen im Zusammenhang mit den Drohmails an die Linken-Politikerin Janine Wissler einschneidende Konsequenzen bei der Polizei. Beuth warf am Donnerstag speziell dem Landeskriminalamt (LKA) schwere Versäumnisse vor. Dass von einem Polizeirechner die persönlichen Daten der Linksfraktionschefin abgefragt worden seien, habe er erst am Mittwoch erfahren, sagte er in Wiesbaden. Das LKA habe einen Polizisten dazu befragt, diese Informationen aber nicht weitergegeben. Angesichts der Tragweite dieser Ermittlungen sei dies völlig inakzeptabel.

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Als Konsequenz soll laut Beuth nun ein Sonderermittler eingesetzt werden. Dieser soll die Ermittlungen zu den Drohmails federführend übernehmen und direkt an den Landespolizeipräsidenten berichten. Gegen den vernommenen Polizisten gebe es keinen Tatverdacht, er werde als Zeuge geführt, betonte der Innenminister. Offensichtlich habe das zuständige LKA aber nicht die dringende notwendige Sensibilität walten lassen, „die ich in so einem wichtigen Verfahren erwarte“.

Wissler hatte im Februar ein Drohschreiben mit der Unterschrift „NSU 2.0“ erhalten. Am Sonntag wurde nach Angaben von Beuth erneut eine Drohmail an die stellvertretende Bundesvorsitzende der Linken sowie weitere Adressaten des hessischen Landtags verschickt. Am Montag hätten auch Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und er selbst diese Mail erhalten, berichtete der Innenminister. Wissler hatte nach Erhalt der ersten Mails von einer Todesdrohung gesprochen. Auch von zahlreichen rechtsextremen Bezügen war die Rede.

Mit „NSU 2.0“ waren auch mehrere Drohschreiben an die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz unterzeichnet, die diese erstmals im August 2018 erhielt. Die Juristin hatte im Münchner Prozess um die rechtsextremen Morde des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) Opferfamilien als Nebenklägerin vertreten.

Im Rahmen der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die persönlichen Daten der Anwältin von einem Rechner im 1. Polizeirevier in Frankfurt abgerufen worden waren. Wer die Schreiben versandte, ist allerdings bis heute unklar. Der Anwältin und ihren Angehörigen wurde darin der Tod angedroht.

Innenminister Peter Beuth (CDU) spricht mit Janine Wissler (Linke).
Innenminister Peter Beuth (CDU) spricht mit Janine Wissler (Linke).

© Andreas Arnold/dpa

Beuth erklärte, er habe stets gesagt, dass es kein rechtes Netzwerk bei der hessischen Polizei gebe. Es sei auch weiterhin so, dass ihm keine Belege für ein solches Netzwerk vorliegen. Dass es - nach den Drohmails gegen eine Frankfurter Anwältin und dem zuvor erfolgten Datenabruf von einem Polizeirechner – aber nun erneut einen Fall gebe, „nährt den Verdacht“, betonte der Minister. „Dieser Verdacht wiegt schwer. Ich erwarte von der hessischen Polizei, dass sie nichts unversucht lässt, diesen Verdacht zu entkräften.“

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Diesem Verdacht werde der Sonderermittler ebenfalls nachgehen, kündigte der Innenminister an. „Die hessische Polizei, und damit jede Polizistin und jeder Polizist, müssen sich tadellos verhalten. Wer diese Voraussetzungen nicht erfüllt, muss die hessische Polizei verlassen.“ Weil offenkundig stellenweise Missstände herrschten, „die ich nicht akzeptieren werde“, müsse die Polizeiführung in Hessen nun umso entschlossener durchgreifen.

Als weitere Konsequenz sollen die Abfragemechanismen innerhalb der polizeilichen Systeme nochmals auf den Prüfstand gestellt werden. Jeder Polizist müsse für seine Anfrage in den polizeilichen Systemen einen dienstlichen Grund haben und diesen auch belegen können, sagte Beuth. Anderenfalls dürfe kein Zugriff erfolgen.

Linken-Chef Bernd Riexinger ist empört.
Linken-Chef Bernd Riexinger ist empört.

© imago images/Reiner Zensen

Linken-Chef Bernd Riexinger wirft den Behörden Versagen beim Schutz seiner Partei vor Gewaltandrohungen vor. Er sei schockiert darüber, dass in der Vergangenheit zu keinem Zeitpunkt Polizeischutz angeboten worden sei, sagte Riexinger der „Rheinischen Post“ angesichts von Morddrohungen gegen seine Stellvertreterin Janine Wissler. Wenn so der Eindruck entstehe, dass der Staat die Bedrohungslage nicht ernst nimmt, stärke das die Täter. Die Morddrohungen seien ein weiterer Schritt in Richtung einer Eskalation rechter Hetze.

Riexinger erklärte, seit Monaten gebe es massive Drohungen und Tätlichkeiten „gegen linke Politiker und Politikerinnen und Aktivistinnen und Aktivisten, die sich gegen Rassismus, Neonazismus und Antisemitismus engagieren“. Der Frage nach der Untätigkeit der Behörden stehe nun „der Fakt gegenüber, dass private, nicht öffentlich zugängliche Daten von Janine Wissler in einem Wiesbadener Polizeirevier abgerufen wurden“.

Das rechtsextreme Netzwerk in den Behörden in Hessen erscheine noch größer als bisher bekannt, sagte Riexinger. Es gehe aber nicht nur um Hessen. Die AfD stehe an vorderster Front der gesellschaftlichen Hetze gegen Humanismus, Solidarität und Weltoffenheit. Aber auch rechtspopulistische Töne in der Union befeuerten ein Klima der Verachtung und des Hasses, sagte Riexinger. (dpa, epd)

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