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Nach Polizeiangaben konnten über 14.000 der insgesamt 60.000 Bandenmitglieder gefasst und ins Gefängnis gebracht werden.

© REUTERS

Nach Mordwelle in El Salvador: Präsident nutzt autoritäre Mittel gegen Bandenkriminalität

Dutzende Tote, Tausende Festnahmen: Die Regierung in El Salvador schränkt demokratische Rechte ein, um Kriminelle zu bekämpfen.

El Salvador, der Däumling Mittelamerikas, führte über Jahre hinweg die Rangliste der gewalttätigsten Länder der Erde an. Anfang 2021 plötzlich sanken die Mordraten rapide - von 50 Morden pro 100.000 Einwohner auf nur 19 Fälle. Die Bevölkerung, die bis dahin in Geiselhaft der Kriminellen war, atmete auf. Präsident Nayib Bukele brüstete sich mit dem Erfolg und nutzte ihn für seine Wahlkampagne zur Eroberung der Parlamentsmehrheit.

Vor wenigen Wochen fand die Ruhe ein jähes Ende: Innerhalb weniger Tage starben 87 Menschen bei einem brutalen Rachefeldzug der kriminellen Banden. „Sie zogen durch das Viertel und schossen wild um sich“, berichteten Betroffene der Presse. Jeder, der sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte, wurde zur Zielscheibe – eine Hausfrau, ein Surfer, ein Funktionär, eine Straßenhändlerin.

Die Leichen wurden von den Banden öffentlichkeitswirksam auf den Straßen liegen gelassen. Es war der blutigste Tag in der Geschichte des Landes seit Ende des Bürgerkriegs im Jahr 1992. Bukele, der sich 2024 wiederwählen lassen will, reagierte prompt. Das von ihm kontrollierte Parlament verhängte den Ausnahmezustand.

„Ihr werdet das Sonnenlicht nicht mehr sehen“

Bei Razzien im ganzen Land wurden über 14.000 Menschen festgenommen. Das Militär errichtete Straßenblockaden. Die Versammlungsfreiheit wurde beschnitten, das Fernmeldegeheimnis ausgesetzt, das Recht auf Verteidigung vor Gericht eingeschränkt, das Jugendstrafrecht ausgehebelt. „Ihr werdet das Sonnenlicht nicht mehr sehen“, sagte Bukele und ordnete Isolationshaft für Bandenchefs in Hochsicherheitsgefängnissen an und drohte sogar damit, sie auszuhungern.

Einwände der Vereinten Nationen über die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen wischte Bukele mit der Bemerkung vom Tisch, sie würde nur dazu dienen, Kriminelle zu beschützen. Es handle sich nämlich nur bei einem Prozent der Festgenommenen um Irrtümer. Besonders betroffen von den Einschränkungen waren Berichten zufolge die Armenviertel des Landes, sie gelten als Hochburgen der kriminellen Banden.

Präsident Nayib Bukele verhängte einen 30-tägigen Ausnahmezustand. 80 Prozent der Bevölkerung unterstützen seinen Kurs.
Präsident Nayib Bukele verhängte einen 30-tägigen Ausnahmezustand. 80 Prozent der Bevölkerung unterstützen seinen Kurs.

© dpa

In ihnen ist der Staat größtenteils abwesend, Jugendliche ohne Ausbildung und berufliche Perspektiven sind dort leicht zu rekrutieren. Wer dort wohnen darf oder Zutritt hat, bestimmen die Bandenchefs. Sie finanzieren sich mit Schutzgelderpressungen, Drogenhandel sowie Menschen- und Waffenschmuggel. Über lokale Unternehmen waschen sie die Gelder; mit der Finanzierung von Wahlkampagnen sowie Schmiergelder an Polizei und Justiz erkaufen sie sich Loyalitäten.

Präsident Bukele zieht einen Vergleich zur NS-Zeit

Umgehend verschärfte das Parlament im Eilverfahren auch das Strafgesetz. Fortan wird die Verbreitung von „Botschaften oder Mitteilungen krimineller Banden zur Aufhetzung der Bevölkerung“ untersagt. Bei Zuwiderhandlung drohen bis zu 15 Jahre Haft. „Als die Deutschen den Nazismus ausrotten wollten, verboten sie Nazi-Symbole und Apologie. Niemand hat dagegen aufbegehrt, es leuchtete allen ein. So machen wir es jetzt mit den Banden“, twitterte Bukele. 

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Die Proteste ließen nicht auf sich warten. Der Journalistenverband sprach von einem „Knebelgesetz“ und warnte, „der Zensurversuch wird nicht das Leben der Menschen verbessern, sondern nur ein verzerrtes Spiegelbild der Wirklichkeit schaffen“. Das für seinen Investigativ-Journalismus mehrfach ausgezeichnete Online-Portal El Faro trat in einen 24-stündigen Streik.

Das Portal ist Bukeles Lieblingsfeind. Denn es hat nicht nur Korruptionsaffären seiner Regierung aufgedeckt, sondern auch enthüllt, dass die „Befriedung“ nicht Ergebnis seiner Sicherheitspolitik war, sondern eines Paktes mit den Kriminellen. Die inhaftierten Bandenchefs bekamen im Gegenzug Hafterleichterungen.

Im Dezember verhängte die US-Regierung Sanktionen gegen zwei salvadorianische Funktionäre, die an der Aushandlung des Deals mitwirkten. Was die USA besonders störte: Mehrere Bandenmitglieder, die auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft besaßen, wurden freigelassen – obwohl ein US-Auslieferungsantrag vorlag.

Die Polizei pferchte die Bandenmitglieder auf Anhängern zusammen und brachte sie in Gefängnisse.
Die Polizei pferchte die Bandenmitglieder auf Anhängern zusammen und brachte sie in Gefängnisse.

© IMAGO/ZUMA Wire

Eskaliert die Gewalt?

Was genau zur Eskalation führte, ist unklar. „Die Banden haben inzwischen gelernt, dass Morde eine makabre Methode sind, um die Aufmerksamkeit der Regierung zu bekommen“, schrieb das auf Kriminalität spezialisierte Portal „insight crime“. Die Vermutungen reichen von einem möglichen Bruch des Pakts mit der Regierung bis zu einem Aufbegehren der unteren Ränge der Banden.

„Bislang nutzte der Pakt vor allem den inhaftierten Bandenbossen“, sagte der Anthropologe und Sicherheitsexperte Juan Martínez d’Aubuisson dem Portal. „Nun könnte die zweite Garde die gleiche Strategie benützen, um ihrerseits Zugeständnisse zu bekommen.“ Bukeles harte Hand genießt laut Umfragen bei 80 Prozent der Bevölkerung Rückhalt. 

Dennoch ist die rigorose Politik Experten zufolge nicht zielführend. „Solche Maßnahmen leisten Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte Vorschub, was wiederum eine gewaltsame Gegenreaktion hervorruft und eine endlose Spirale in Gang setzt“, sagte der mexikanische Gewaltexperte Juan Solís dem Portal „connectas“. Armut, Korruption und Straffreiheit böten den idealen Nährboden für Populismus. Statt kurzfristiger Strategien mit Blick auf die nächste Wahl brauche es daher eine kluge internationale Zusammenarbeit, so Solís.

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