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Der emeritierte Papst Benedikt wird in dem Gutachten schwer belastet.

© imago images/epd

Nach Missbrauchsgutachten: Bundesregierung fordert katholische Kirche zu Aufarbeitung auf

Der Missbrauch und der anschließende Umgang mit diesen Taten mache fassungslos. Ein Gutachten belastet den emeritierten Papst Benedikt XVI. schwer.

Die Bundesregierung hat die katholische Kirche zu einer umfassenden und transparenten Aufarbeitung von Fällen sexuellen Missbrauchs aufgefordert. Eine Regierungssprecherin sagte am Freitag in Berlin, das Gutachten für das Erzbistum München und Freising mache erneut auf „erschütternde Weise“ das Ausmaß des Missbrauchs und der Pflichtverletzung kirchlicher Würdenträger deutlich. „Der Missbrauch und der anschließende Umgang mit diesen Taten macht fassungslos. Um so dringender sind nun die vollständige Aufklärung und die umfassende Aufarbeitung.“

Das Gutachten sei ein wichtiger Schritt, dem weitere Schritte folgen müssten, sagte die Sprecherin von Kanzler Olaf Scholz (SPD). „Entscheidend ist, dass das Vertrauen in den Aufarbeitungswillen der katholischen Kirche und von einzelnen Würdenträgern gestärkt wird.“

Für die Bundesregierung hätten Kindeswohl und wirksamer Schutz vor sexuellem Missbrauch höchste Priorität, sagte die Sprecherin. Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche bringe unendliches Leid für die Opfer mit sich. Es sei von entscheidender Bedeutung, dass sich die gesamte Gesellschaft der hohen Schutzbedürftigkeit von Kindern und Jugendlichen bewusst sei.

Ein Sprecher des Justizministeriums sagte, es handle sich nicht um rein innere Angelegenheiten der Kirche. Wo sich auch heute noch Anhaltspunkte für verfolgbare Taten ergeben, müssten die zuständigen Strafverfolgungsbehörden diese selbstverständlich ermitteln und konsequent verfolgen.

Ein vom Erzbistum München und Freising selbst in Auftrag gegebenes Gutachten einer Anwaltskanzlei kam zu dem Ergebnis, dass Fälle von sexuellem Missbrauch in der Diözese über Jahrzehnte nicht angemessen behandelt wurden. Das Gutachten wirft den ehemaligen Erzbischöfen Friedrich Wetter und Joseph Ratzinger, dem heute emeritierten Papst Benedikt XVI., konkret und persönlich Fehlverhalten in mehreren Fällen vor.

Der Leiter des vatikanischen Presseamtes, Matteo Bruni, erklärte am Donnerstagabend, dem Vatikan sei das Münchner Gutachten zum sexuellen Missbrauch im Erzbistum München und Freising „derzeit nicht bekannt“. Der Heilige Stuhl sehe sich aber verpflichtet, dem Dokument „gebührende Aufmerksamkeit zukommen zu lassen“.

Nach Veröffentlichung des Berichts werde der Heilige Stuhl Einsicht in den Text nehmen und in der Lage sein, ihn im Einzelnen zu prüfen. Gleichzeitig drückte Bruni im Namen des Vatikans sein „tiefes Bedauern über den Missbrauch von Minderjährigen durch Kleriker“ aus. Der vom Vatikan eingeschlagene Weg zum Schutz der Kinder werde fortgeführt.

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Das Gutachten hat im Kirchenstaat wie eine Bombe eingeschlagen: Der betreten wirkende Kommentar Brunis, der mit vielen Worten so gut wie gar nichts sagt, belegt dies anschaulich.

Vatikannahe Medien betonen, dass es schon paradox sei, dass nun ausgerechnet derjenige Papst mit Vertuschungsvorwürfen konfrontiert sei, der als erster Pontifex der Geschichte das Thema des sexuellen Missbrauchs in der Kirche aufgegriffen, sich bei den Opfern entschuldigt und eine Null-Toleranz-Strategie eingeleitet habe. Das Gutachten ruft dem Vatikan schmerzhaft in Erinnerung, dass der Missbrauchsskandal für die katholische Kirche nicht ausgestanden ist.

Vorwürfe gegen Franziskus

Auch deshalb, weil dem Nachfolger von Benedikt XVI. auf dem Papstthron, Papst Franziskus, in seiner Heimat Argentinien ähnliches Fehlverhalten vorgeworfen wird wie seinem Vorgänger in München. Als Erzbischof von Buenos Aires sei Jorge Mario Bergoglio ebenfalls nicht mit der nötigen Strenge und Konsequenz gegen mutmaßliche Kinderschänder im Priestergewand vorgegangen.

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Die Organisation Bishop Accountability kritisiert, dass Bergoglio, der von 2005 bis 2011 Argentiniens Bischofskonferenz leitete, zum sexuellen Missbrauch argentinischer Priester geschwiegen habe. Er habe das Problem des Kindesmissbrauchs „nicht öffentlich gemacht, sich bei den Opfern nicht entschuldigt und keine Richtlinien zum Umgang mit Pädophilen innerhalb der katholischen Kirche veröffentlicht“.

Argentinische Opfervereinigungen fordern seit langem ein Treffen mit dem ehemaligen Erzbischof von Buenos Aires und heutigen Oberhirten. Doch Franziskus, der seit seiner Wahl zum Papst im März 2013 schon die halbe Welt – und auch südamerikanische Länder wie Chile und Peru – bereiste, hat sich in seinem Heimatland als Pontifex bisher nicht blicken lassen.

Wichtige Neuerungen

Immerhin: Im Gefolge der Missbrauchskonferenz vom Februar 2019 im Vatikan hat der Papst nach jahrelangem Zögern zahlreiche Gesetze erlassen, dank denen Sexualverbrechen durch Priester weniger leicht vertuscht und besser geahndet werden können. Wenige Monate nach der Konferenz hat Franziskus in seinem päpstlichen Schreiben „Vos estis lux mundi“ (Ihr seid das Licht der Welt) die entsprechenden Strafanzeigen neu gefasst, eine weltweite Anzeigepflicht eingeführt und die Untersuchungen gegen Bischöfe geregelt, die Missbrauch vertuschen.

Eine weitere wichtige Neuerung bestand darin, dass die Diözesen in aller Welt angewiesen wurden, eine oder mehrere „leicht zugängliche“ Meldestellen einzurichten, bei denen Verdachtsfälle angezeigt werden können.

Im Dezember 2019, zehn Monate nach der Missbrauchskonferenz, folgte schließlich die spektakulärste und wohl auch wirksamste Maßnahme bei der Prävention und der Sanktionierung von sexuellem Missbrauch: Franziskus schaffte das „päpstliche Geheimnis“ für Missbrauchsfälle ab.

Seither können Diözesen auf Antrag der lokalen Zivilbehörden selbstständig Akteneinsicht erlauben, ohne sich kirchenrechtlich strafbar zu machen. Um an Dokumente der vatikanischen Amtsstellen zu gelangen, müssen die zivilen Behörden lediglich – wie dies unter Staaten üblich ist – ein Amtshilfegesuch stellen.

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