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Mit Feuer und Verwünschungen. Hunderte pro-iranische Demonstranten versuchten, die US-Botschaft in Bagdad zu stürmen.

© Khalid Mohammed/AP/dpa

Nach Krawallen vor der US-Botschaft in Bagdad: Droht Krieg zwischen den USA und dem Iran?

Kämpfe im Irak, das Atomabkommen vor dem Aus, mehr amerikanische Soldaten im Nahen Osten – der Konflikt zwischen dem Iran und den USA verschärft sich.

Es sieht nicht gut aus. Nach mehreren schweren Rückschlägen im zurückliegenden Jahr steht der Atomvertrag mit dem Iran vor dem Aus. Experten geben dem einst als Durchbruch der Diplomatie gefeierten Abkommen kaum Überlebenschancen für das Jahr 2020. Zu groß sind die Gegensätze zwischen den USA und dem Iran. Bevorstehende Wahlen in beiden Ländern dürften die Kompromissbereitschaft noch weiter senken.

Damit droht eine Atomkrise im Nahen Osten – und eine militärische Konfrontation, die nach den jüngsten US-Luftangriffen auf eine pro-iranische Miliz im Irak und dem Sturm auf Amerikas Botschaft in Bagdad noch wahrscheinlicher wird.

Das Kampfgebiet

Der Irak könnte leicht zum Schlachtfeld einer Auseinandersetzung zwischen dem Iran und den USA werden. In dem Land stehen sich rund 5000 US-Soldaten und bis zu 150.000 pro-iranische Milizionäre gegenüber. In Bagdad waren Anhänger Teheran-treuer Gruppen am Dienstag vor der US-Botschaft aufmarschiert und zeitweise in einen Vorhof der Vertretung eingedrungen.

Sie protestierten gegen die jüngsten US-Luftangriffe im Land. Die Luftschläge, bei denen 25 Milizionäre starben, waren die Antwort auf Raketenangriffe der pro-iranischen Gruppe Kataib Hisbollah (KH) auf amerikanische Militärstützpunkte, bei denen zuletzt ein US-Militärberater getötet worden war. Rund 750 zusätzliche US-Soldaten sollen als Reaktion auf die neuen Spannungen in den Nahen Osten verlegt werden.

Auch rhetorisch wird weiter aufgerüstet. US-Präsident Donald Trump machte den Iran für den Sturm auf die US-Botschaft verantwortlich und schickte per Twitter ausdrücklich eine „Drohung“ nach Teheran. Der iranische Revolutionsführer Ali Chamenei verdammte am Mittwoch dagegen die „Bosheit“ der US-Luftangriffe und unterstützte damit die Demonstranten in Bagdad.

Die Sanktionen

Die Spannungen könnten dem internationalen Atomvertrag den Todesstoß versetzen. Der „Gemeinsame Umfassende Aktionsplan“ (JCPOA), wie das Nuklearabkommen offiziell heißt, sollte den Iran vom Bau einer Atombombe abhalten. Der Vertrag von 2015 sah als Belohnung für Teherans waffentechnische Zurückhaltung einen Abbau damals bestehender Sanktionen und damit das Versprechen eines Wirtschaftsaufschwungs im Iran vor. Doch es kam anders.

Seit Trump das Abkommen im Mai 2018 aufkündigte und wieder amerikanische Strafmaßnahmen gegen Teheran verhängte, ist die Zukunft der Übereinkunft mehr als ungewiss.

Im Mai 2018 kündigte Donald Trump das Atomabkommen auf.
Im Mai 2018 kündigte Donald Trump das Atomabkommen auf.

© Ting Shen/XinHua Xinhua/dpa

Der US-Präsident will das Mullah-Regime mit „maximalem Druck“ zu Zugeständnissen zwingen, die über die Auflagen des JCPOA hinausgehen. Washingtons Sanktionen zielen vor allem auf die Ölexporte der Islamischen Republik. Alle Firmen, die den Rohstoff vom Iran kaufen, werden vom lukrativen US-Markt ausgeschlossen.

Im Mai 2019 schafften die Vereinigten Staaten die letzten Ausnahmegenehmigungen für Irans Großkunden wie China und Indien ab. Derzeit verkauft Teherans Führung nur noch etwa 400.000 Barrel (je 159 Liter) Öl am Tag – vor Trumps Sanktionen waren es 2,5 Millionen Barrel. Die verbleibenden Vertragsstaaten – China, Russland, Frankreich, Deutschland und Großbritannien – versuchen zwar, den Atomdeal zu retten. Doch ihre Bemühungen werden sowohl von den Amerikanern als auch von den Iranern behindert.

Die Aufrüstung

Die Reaktion der Mullahs, Trumps „maximalen Druck“ mit „maximalem Widerstand“ zu erwidern, verschärfte die Spannungen. Im Juni wurden zwei Öltanker im Persischen Golf durch die Explosion von mutmaßlichen iranischen Haftminen beschädigt. Kurz darauf beschlagnahmte Teheran einen britischen Öltanker. Auch für Luftangriffe auf Anlagen des saudischen Ölkonzerns Aramco mit Drohnen und Raketen im September wurde der Iran verantwortlich gemacht.

Mit einer Serie von gezielten Verstößen gegen die Auflagen des Nuklearabkommens lässt der Iran die Spannungen seit Monaten noch weiter eskalieren. Zudem provoziert der Iran mit seinem Raketenprogramm. Immer wieder werden Waffen mit großer Reichweite getestet – was Verbündete der USA wie Saudi-Arabien und Israel als existenzielle Bedrohung empfinden.

Aufgebracht. Ein Boot der iranischen Revolutionsgarden stoppt im Sommer 2019 einen britischen Tanker.
Aufgebracht. Ein Boot der iranischen Revolutionsgarden stoppt im Sommer 2019 einen britischen Tanker.

© Reuters

Sogar Deutschland, Frankreich und Großbritannien, genannt die E3, warnen den Iran inzwischen: Man werde wegen der Verstöße möglicherweise ein sogenanntes Schlichtungsverfahren einleiten, das zur Wiedereinführung von internationalen Sanktionen gegen Teheran führen könnte. Das wäre das definitive Ende des Atomabkommens.

„Die Angelegenheit wird im neuen Jahr wahrscheinlich eskalieren“, sagt Ali Fathollah-Nejad vom Nahost-Zentrum der Denkfabrik Brookings im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Sowohl für den Iran als auch für die Europäer wird das Ende der Fahnenstange bald erreicht sein.“ Fathollah-Nejad hält es darüber hinaus für gut vorstellbar, dass Teheran sich vom Atomwaffensperrvertrag verabschiedet.

Der Handel

Durch einen speziellen Handelsmechanismus, genannt Instex, versuchen die E3 nach wie vor, ihre Wirtschaftsbeziehungen mit dem Iran vor den amerikanischen Sanktionen zu schützen und das Atomabkommen damit zu stabilisieren. Instex soll es europäischen Firmen ermöglichen, Geschäfte mit iranischen Partnern zu machen, ohne in den Bannstrahl der US-Sanktionen zu geraten.

Aber der Handelsmechanismus hat einen großen Haken: Er gilt nicht für Ölexporte, Teherans wichtigste Geldquelle. Die iranische Führung wirft den Europäern deshalb vor, sich dem „Wirtschafts-Terrorismus“ der USA zu beugen.

Die Proteste

Das politische Establishment ahnte wohl, dass es schlimm kommen würde. Präsident Hassan Ruhani hatte daher lange gezögert, bevor er den Schritt wagte. Doch als die Benzinpreise schließlich drastisch angehoben wurden, kam es schlimmer als von den Herrschenden befürchtet: Es brach ein Sturm der Entrüstung los. Mitte November protestierten landesweit Zehntausende wegen ihrer wirtschaftlichen Misere, die sich ausbreitende Armut und die zunehmende Perspektivlosigkeit.

Die Demonstrationen richteten sich jedoch gleichermaßen gegen das „System“, mithin gegen die Institution der Islamischen Republik. Das sah die Führung offenkundig ebenfalls so – der Aufruhr wurde von Sicherheitskräften mit massiver Gewalt bekämpft. Zudem gab es eine umfassende Internetsperre, um die Kommunikation der Empörten zu unterbinden. Hunderte kamen ums Leben, womöglich sogar einige Tausend.

Bei den Protesten gegen Benzinpreiserhöhungen Mitte November kamen viele Menschen ums Leben.
Bei den Protesten gegen Benzinpreiserhöhungen Mitte November kamen viele Menschen ums Leben.

© Abdolvahed Mirzazadeh/ISNA/AP/dpa

Mit Gewalt die Revolte bremsen – vorerst scheint das gelungen. Beobachter vermuten allerdings, dass sich der Unmut so nicht auf Dauer eindämmen lässt. Zu groß sind mittlerweile Wut und Verzweiflung. Und den Menschen ist längst klar, dass Amerikas Sanktionen nicht allein schuld an ihrer Misere sind, sondern ebenso das Regime.

So wettern die Teilnehmer der Kundgebungen nicht nur gegen Korruption und Missmanagement, sondern auch gegen teure militärische Einsätze im Ausland: Statt die schiitische Revolution von 1979 in der Region zu verbreiten, was Milliarden verschlingt, sollten die Machthaber lieber dem darbenden Volk helfen.

Nur kümmert das die Herrschenden offenbar wenig. Kurswechsel? Fehlanzeige. Die Führung lässt bis heute keine Bereitschaft erkennen, außenpolitisch von der Strategie des Einmischens und Unruhestiftens Abschied zu nehmen. Das gilt gleichermaßen für die vergleichsweise gemäßigten Kräfte um Präsident Ruhani wie für die ideologischen Falken.

Männer mit Macht. Präsident Hassan Ruhani und der oberste Revolutionsführer Ali Chamenei.
Männer mit Macht. Präsident Hassan Ruhani und der oberste Revolutionsführer Ali Chamenei.

© AFP

Die Wahlen

Bereits in wenigen Wochen könnten im Iran außen- wie innenpolitische Weichen gestellt werden. Am 21. Februar stimmen die Iraner über ein neues Parlament ab. Zwar verfügt das Regime über vielfältige Mittel, die Wahlen und die Kandidaten zu kontrollieren. Dennoch gilt die Abstimmung als eine Art Zustimmungsbarometer. Geben viele Menschen ihre Stimme ab, dürfte die theokratische Führungsriege dies als Hinweis darauf werten, dass das islamistische System als solches nicht infrage gestellt wird. Ohnehin sieht es derzeit danach aus, dass erzkonservative Kräfte und politische Hardliner künftig das Parlament dominieren werden.

Präsident Hassan Ruhani, der im Mai 2021 verfassungsgemäß abtreten muss, und die moderateren, weil in Grenzen reformbereiten Kräfte haben so gut wie keines ihrer Versprechen eingelöst. Der Vertrauensvorschuss in der Bevölkerung ist längst aufgebraucht und großer Enttäuschung gewichen. Setzen sich die Hardliner am Ende durch, dürfte die staatliche Repression zunehmen und die schon heute geringe Bereitschaft, über den Nukleardeal zu verhandeln, deutlich abnehmen.

Auch die Präsidentschaftswahl in den USA im November 2020 bergen keine Aussicht auf eine kompromissbereitere Haltung Washingtons. Trump besteht darauf, dass der Iran auf seine Forderung nach noch strengeren Regeln für das Atomprogramm bedingungslos eingeht – was die Führung in Teheran kategorisch ausschließt.

Lediglich Trumps Unberechenbarkeit bietet Anlass zu ein wenig Hoffnung. Der US-Präsident sieht sich selbst als begnadeten Verhandler, der selbst bei Ländern wie Nordkorea mehr herausholen kann als alle seine Vorgänger. Völlig ausgeschlossen ist ein diplomatisches Wunder in letzter Minute womöglich nicht.

Nach einem Gefangenenaustausch zwischen den USA und dem Iran beglückwünschte Trump vor Kurzem die Iraner zu „fairen Verhandlungen“ und fügte hinzu: „Sehen Sie: Wir können einen Deal zusammen machen.“

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