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Eine Shisha-Bar in Lüneburg: Hier treffen sich junge Deutsche aller Couleur.

© Hans-Jürgen Wege/DPA

Nach Hanau: In Shisha-Bars treffen sich Deutsche mit und ohne Migrationshintergrund

Diese eher unpolitische Subkultur hat keinen Sprecher. Aber sie will nicht von Islamverbänden repräsentiert werden. Ein Gastbeitrag.

Cigdem Toprak ist freie Journalistin und Autorin mit Schwerpunkt Migration und Frauenrechte

Die Tragödie von Hanau hat die junge Generation mit Migrationsbiografien traumatisiert. Denn Solingen, Mölln und die NSU-Morde lagen zeitlich so weit zurück, sie beschäftigten die Menschen in Shisha-Cafés nicht weiter. Die Morde von Hanau trafen sie dagegen mit großer Wucht.

Denn viele Vertreter dieser Generation sind weniger politisch, sie interessieren sich kaum für Identitätspolitik. Ihre Freunde haben deutsche, kurdische, türkische oder bosnische Wurzeln, es ist ihnen egal, ob sie Roma und Sinti oder Aleviten, Sunniten oder Juden sind. Sie sitzen gemeinsam auf den Ledersofas, rauchen eine Shisha mit Apfel-Minze-Geschmack, diskutieren über Rapper oder Instagram-Influencer, erzählen sich von ihren Beziehungsproblemen oder ärgern sich mit ihren Freunden über ihren nervigen Chef.

Sie sind hier geboren

Sie sind keine Fremden in diesem Land, sie sind hier geboren und aufgewachsen, sie verstehen sich als Teil dieser Gesellschaft und in ihnen verschmelzen verschiedene Lebenswelten dieses Landes. Damit werden nun Menschen zur Zielscheibe rassistischer Gewalt, die Deutschland ganz selbstverständlich als ihre Heimat sehen.

Am Morgen nach dem Attentat lesen wir auf Twitter und in Online-Meldungen zwar aufrichtige Beileidsbekundungen von Politikern und mitfühlenden Mitmenschen. Aber wir beobachten auch, wie die schrecklichen Ereignisse in Hanau medial und politisch ausgeschlachtet werden, wie sie instrumentalisiert werden für die jeweilige politische Wahrheit. Und immer wieder werden Menschen mit Migrationshintergrund, die Zielscheibe dieser Taten waren, nicht mehr als Mitmenschen, sondern als Objekte politischer Ideologien wahrgenommen.

Selbst diejenigen, die entsetzt über den grassierenden Rassismus sind, interessieren sich nicht wirklich für die Opfer. Die Schuld wird bei der AfD als geistigem Brandstifter gesucht, während die AfD den Täter als einen Irren darstellt. Die AfD behauptete zwar, sie sei gegen eine Instrumentalisierung. Aber dann blendete die Partei das rassistische Motiv komplett aus und deklarierte den Täter nur als psychisch krank – ganz nach dem Motto: Hass und Terror gibt es nur auf der anderen Seite. Nicht bei uns. Nach heftiger Kritik ruderte die AfD zurück und gab schließlich kleinlaut zu: Ja, es war ein rassistischer Anschlag.

Es dürfen nicht nur Kurden für die Opfer sprechen

Aber auch Deutsche aus Einwandererfamilien instrumentalisieren die Tragödie von Hanau, wenn sie sich nun auf die Rolle des Islams in Deutschland fokussieren und von Muslimfeindlichkeit sprechen. So regte sich Bloggerin Kübra Gümüsay in der Talkshow von Maybritt Illner darüber auf, dass überhaupt infrage gestellt werde, dass der Islam zu Deutschland gehöre.

In der Community und auf Twitter tobte dagegen eine Debatte, warum kein kurdischstämmiger Gast in den Talkshows saß – waren doch sechs der neun Opfer rassistischer Gewalt deutsche Kurden. So kommentierte die Wissenschaftlerin, Rapperin und Autorin Lady Bitch Ray: „Anstatt mal auch jemanden mit kurdischem Background einzuladen, wird K. Gümüsay eingeladen, die bis dato zu islamistisch-rassistischen Strukturen schweigt und sich als Antirassistin inszeniert: Wie traurig muss dieser Anblick für die kurdisch-alevitischen Opfer von #Hanau sein?“

Kritik wird auch an der reflexartigen Einladung von Innenminister Seehofer geübt, der sich nach dem Anschlag mit Vertretern der Muslime und der Türkischen Gemeinde in Deutschland traf. Die kurdischstämmige Autorin Ronya Othmann fragt sich: „Warum sind eigentlich nicht auch Vertreter der kurdischen, bosnischen, afghanischen, bulgarischen, rumänischen und Roma-Communities eingeladen worden?“

Und auch ich frage mich, warum jetzt der Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, so spricht, als ob es ein Anschlag nur auf Muslime war? Das Ziel war keine Hanauer Moschee, von denen es drei in der hessischen Stadt gibt. Mazyek spricht über die Bedrohung von Moscheen, die natürlich gegeben ist. Aber das hier war kein Anschlag auf die Religion, sondern auf die Kultur, vor allem die deutsche Subkultur, in der sich Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zu Hause fühlen.

Islamisierung des Themas Migration ist schädlich

Die Islamisierung der Themen Migration und Integration spaltet uns nur noch stärker, denn die islamischen Stimmen, die ihre eigene Agenda im Blick haben, möchten die Deutungshoheit über das Thema Migration, Rassismus und Ausgrenzung behalten. Und genau das regt diejenigen auf, die mit den Opfern leiden, aber trotzdem die Migrationspolitik und insbesondere die muslimische Identitätspolitik kritisieren.

Anders als Lady Bitch Ray denke ich nicht, dass nur ein kurdischer Alevite in Talkshows hätte sprechen dürfen – denn diese Fernsehformate sind ohnehin nicht die richtige Plattform, um eine solche Tragödie öffentlich zu diskutieren.

Tatsache ist vielmehr: Die Interessen der Betroffenen können medial nicht vertreten werden, weil sie unpolitisch sind, sich nicht politisch einordnen lassen wollen und nicht mit ihrer Herkunft in den Medien um Aufmerksamkeit in Form von Redeminuten kämpfen. Die einen wollen sich nicht als Kurden oder Aleviten vorstellen, die anderen sind deutscher Herkunft seit Generationen. Denn in den Shisha-Bars vermischten sich diese Lebenswelten und Herkunftsmilieus.

Längst hat sich eine neue Subkultur gebildet

Sprecher wie Gümüsay und Mazyek haben nichts mit diesen Lebenswelten und der Sozialisation der Menschen gemein, die Shisha-Bars und Spielhallen besuchen. Zielscheibe sind also nicht Gümüsay und Mazyek, sondern vielmehr auch Deutsche mit christlichen Wurzeln, die mit ihren Freunden jeglicher Herkunft Shisha rauchen und die sich selbstverständlich als ein Teil dieser migrantischen Kultur in Deutschland verstehen.

Die Anschläge von Hanau werden von Vertretern von Identitätspolitik instrumentalisiert – und das auf Kosten all jener, die sich nicht nur zu universellen Normen wie Menschlichkeit, Respekt gegenüber Andersdenkenden, Solidarität und Hilfsbereitschaft bekennen, sondern diese auch leben.

In den Debatten nach den Anschlägen wurde deutlich, dass die Stimmen von Menschen mit Migrationshintergrund und ihren Freunden ohne ausländische Wurzeln, die Alltag und Freizeit gemeinsam verbringen, untergehen. Ihre Lebenswelten, ihre Erfahrungen und ihre Ansichten über Gesellschaft und Politik werden nicht wahrgenommen. Sie haben keine Vertreter. Jeder wird immer in eine Schublade gepackt, Muslim, Kurde, Türke, Christ. Es schmerzt sehr, dass diese Menschen nicht nur Opfer von Hass und Hetze werden, sondern auch von medialen Machtspielen. Die Spaltung findet auch in den öffentlichen Debatten und in den Medien statt – beteiligt sind Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Die Herkunft spielt hier keine Rolle.

Cigdem Toprak

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