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IS-Kämpfer in Syrien.

© picture alliance / ZUMAPRESS.com

Nach Forderung von Donald Trump: Wie umgehen mit deutschen IS-Kämpfern?

Deutschen IS-Kämpfern soll in ihrer Heimat der Prozess gemacht werden. Das verlangt Donald Trump. Warum tut sich die Bundesregierung damit so schwer?

Der Streit schwelt schon länger, jetzt hat ihn US-Präsident Donald Trump weiter angeheizt. Auf Twitter forderte er am Wochenende, Deutschland, Frankreich und weitere europäische Staaten sollten die aus ihren Ländern stammenden IS-Kämpfer, die in den Kurdengebieten Nordsyriens gefangen gehalten werden, zurücknehmen und vor Gericht stellen. Wenn nicht, wären die USA gezwungen, die Kämpfer freizulassen. Die Amerikaner sind mit den Syrian Democratic Forces (SDF) verbündet, die gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ kämpft. In der SDF dominiert die Kurdenmiliz YPG, sie unterhält mehrere Gefangenenlager in Rakka, Qamischli und weiteren Orten. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) reagierte am Sonntag skeptisch auf Trumps Forderung, sie sei „außerordentlich schwierig zu realisieren“.

Geht es Trump nur um die Sache?

Es ist altbekanntes Motiv, eines, das bei seinen Anhängern gut ankommt. Der US-Präsident zeigt mit dem Finger auf Verbündete und fordert, dass sie mehr tun beziehungsweise mehr zahlen sollen. Die USA hätten sich viel zu lange und viel zu stark um andere gekümmert, jetzt gehe es vor allem wieder um das eigene Land. „America First“ eben. Den Abzug aus Syrien hat er seinen Wählern versprochen, das soll möglichst rasch geschehen. Dazu muss der IS zumindest als „Kalifat“ militärisch besiegt sein, so viel hat Trump seit seiner überraschenden sofortigen Rückzugsankündigung, die er gegen den Rat seiner eigenen militärischen Führung ausgesprochen hat, lernen müssen.

Zu gerne würde er ganz bald und möglichst medienwirksam verkünden: „Mission accomplished“. Leichter machen würde das Ende des US-Einsatzes für ihn natürlich, wenn die Europäer mehr Verantwortung in dem Konflikt übernähmen. Dazu gehört die Frage, wie mit den vor allem von den kurdischen Verbündeten festgenommenen IS-Kämpfern und ihren Familien nach einem offiziellen Ende des Konflikts umgegangen werden soll. Sie einfach nur der syrischen Regierung des Machthabers Baschar al Assad zu übergeben, dem schwere Verbrechen vorgeworfen werden, wäre aus humanitärer Sicht katastrophal.

Daher verweist Trump auf internationales Recht, demzufolge ausländische gefangene Kämpfer nach einem Konflikt zwischen Staaten in ihre Heimat zurückgebracht werden. Allerdings ist dieser Fall komplizierter, da es sich bei dem „Islamischen Staat“ nicht um einen Staat im völkerrechtlichen Sinne handelt. Das „Kalifat“ wurde von keinem anderen Land anerkannt. Die Kämpfer sind Terroristen, der Wunsch in ihren Herkunftsländern, sie zurückzunehmen und damit die eigene nationale Sicherheit zu gefährden, ist daher begrenzt.

Um wie viele IS-Kämpfer mit deutschem Pass handelt es sich?

Die Zahlen gehen auseinander. Deutsche Sicherheitskreise sprechen von um die 40 Männer und Frauen, die von der YPG festgehalten werden. Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, äußert vage, es gehe um eine „mittlere zweistellige Zahl“ von Deutschen. Der in der Bundesrepublik aktive Verein „Kurdische Gemeinde“ sagt, in Nordsyrien befänden sich „etwa 60 deutsche IS-Anhänger“ in Haft. Unklar bleibt, wie viele davon Frauen und Kinder sind. Der deutschen Öffentlichkeit sind nur einige Fälle bekannt. Die ARD hat kürzlich über den Bonner Fared S. berichtet.

Medien meldeten auch die Anfang Februar erfolgte Festnahme von Martin L. aus Sachsen-Anhalt. Der Dschihadist war mit seinen zwei deutschen Frauen und deren Kindern nahe der syrisch-irakischen Grenze unterwegs, als die YPG zugriff. Martin L. soll im Geheimdienst des IS tätig gewesen sein und eine jesidische Sklavin gekauft haben. Gegen L. ermittelt die Bundesanwaltschaft.

Wie gefährlich sind die gefangenen Dschihadisten?

Unter den Gefangenen befinden sich nach Erkenntnissen der deutschen Behörden IS-Leute mit Kampferfahrung. Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen mehr als ein Dutzend Männer und Frauen wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in der Terrormiliz, zum Teil auch wegen weiterer Delikte. Der Fall Sabine S. zeigt, welche Risiken die deutschen Behörden einkalkulieren müssen.

Die Frau aus Baden-Württemberg hatte im Dezember 2013 Deutschland verlassen, sie begab sich zum IS, heiratete einen hochrangigen Kämpfer und brachte zwei Kinder zur Welt. Nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft ließ sich Sabine S. an Schusswaffen ausbilden, außerdem soll sie im Internet für den IS und auch für gezielte Tötungen geworben haben. Im September 2017 nahmen Kurden die mit einer Pistole bewaffnete Sabine S. fest und brachten sie in ein Gefangenenlager in Nordsyrien.

Im April 2018 kam sie nach Deutschland zurück, wurde aber trotz eines laufenden Ermittlungsverfahrens der Bundesanwaltschaft nicht festgenommen. Der Bundesgerichtshof lehnte den Haftbefehl ab. Sabine S. ließ sich in Baden-Baden nieder. Da sie weiterhin als gefährlich galt, war eine gezielte Überwachung nötig. Details nennen die deutschen Behörden nicht – bekannt ist aber, dass für die längere Observation einer Person rund um die Uhr mindestens 20 Beamte eingesetzt werden müssen.

Erst drei Monate nach der Rückkehr von Sabine S. konnte die Polizei sie festnehmen. Die Bundesanwaltschaft hatte mit einer Beschwerde beim Bundesgerichtshof erreicht, dass doch ein Haftbefehl erlassen wurde. Ende Dezember wurde Sabine S. angeklagt wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft beim IS und weitere Straftaten.

Warum tut sich die Bundesregierung so schwer, diese deutschen Staatsbürger zurückzunehmen?

Außenminister Maas ist nur dann für eine Rücknahme, „wenn sichergestellt ist, dass diese Menschen hier sofort auch einem Verfahren vor Gericht zugeführt werden, wenn sie auch in Untersuchungshaft kommen“. Wie schwierig das sein kann, lässt sich am Fall Sabine S. ablesen. Die deutschen Sicherheitsbehörden halten die meisten deutschen Gefangenen in Nordsyrien für gefährlich, können aber nicht mit Gewissheit sagen, dass die eigenen Erkenntnisse für einen Haftbefehl reichen. Der Bundesnachrichtendienst befragt in den kurdischen Lagern deutsche Dschihadisten, doch solche Gespräche erbringen nicht zwangsläufig gerichtsfeste Beweise.

Das Bundeskriminalamt redet zudem mit der Kurdenmiliz YPG, aber solche Kontakte spielen sich in einer Grauzone ab. Das Auswärtige Amt betont, seit der Schließung der Botschaft in Damaskus 2012 sei eine konsularische Betreuung „weiterhin faktisch nicht möglich“. Und das von der YPG beherrschte Territorium im Norden und Osten Syriens, auch „Rojava“ (Westkurdistan) genannt, ist kein Staat, folglich gibt es dort auch kein deutsches Konsulat. Unterdessen hat ein Hamburger Anwalt mehrerer Familien, deren Angehörige in Nordsyrien einsitzen, der Bundesregierung vorgeworfen, sie stelle sich „taub und blind“.

Wie gehen andere Länder mit ihren Extremisten in Syrien um?

Mehr als 40.000 Ausländer aus mehr als 120 Staaten haben sich in den vergangenen Jahren dem „Islamischen Staat“ (IS) oder anderen Gruppen in Syrien angeschlossen. Darunter sind schätzungsweise rund 5000 aus westeuropäischen Ländern. In Lagern der mit den USA verbündeten Kurdenmiliz YPG werden bis zu 1100 ausländische IS-Kämpfer und fast 2000 Familienmitglieder festgehalten. In der nordwestsyrischen Provinz Idlib sind zudem mehrere tausend ausländische Kämpfer des Al-Qaida-nahen Islamistenverbandes HTS und anderer Gruppen von syrischen Regierungstruppen eingekesselt. Unter ihnen sind viele Tschetschenen und Usbeken. Die Reaktion der Heimatländer der Dschihadisten ist unterschiedlich.

Die russische Regierung etwa hat mindestens 50 Kinder von IS-Mitgliedern bei Verwandten in Russland untergebracht. Bei den Kämpfern selbst kennt Moskau jedoch kein Pardon. Russland wolle die Extremisten in Idlib „auslöschen“ und sie so an der Heimkehr hindern, meint Marc Pierini von der Denkfabrik Carnegie Europe. Unterdessen bereiten die USA laut Medienberichten das berüchtigte Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba für die Unterbringung amerikanischer IS-Kämpfer vor.

Großbritannien hat zwei besonders berüchtigten IS-Mitgliedern die Staatsbürgerschaft entzogen und ist mit ihrer Überstellung nach Guantanamo einverstanden. Gleichzeitig wird über die Rückkehr der 19-jährigen Shamima Begum diskutiert, die vor vier Jahren als „IS-Braut“ nach Syrien ging und jetzt nach Hause möchte. In Belgien will die Regierung ein Gerichtsurteil anfechten, das zwei Witwen von IS-Kämpfern und ihren sechs Kindern die Heimkehr erlauben soll. Frankreich und Norwegen wollen ihre Staatsbürger nach einer Rückkehr vor Gericht stellen.

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