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November 2020: Konfrontation der "Querdenker"-Demonstranten mit der Polizei.

© Sebastian Kahnert/AFP

Nach eskaliertem Corona-Protest: Berliner Verfassungsrechtler fordert Obergrenze für Demos

Großdemonstrationen wie am Wochenende in Leipzig hält der Verfassungsrechtler Christian Pestalozza für unverantwortlich. Er sieht Handlungsbedarf.

Der Rechtswissenschaftler Christian Pestalozza ist emeritierter Professor an der Freien Universität Berlin.

Herr Pestalozza, die aus dem Ruder gelaufene Corona-Demonstration von „Querdenken“ am Wochenende in Leipzig schlägt noch immer Wellen. Hätte sie aus Ihrer Sicht überhaupt stattfinden dürfen?
Ich bin jedenfalls sehr erstaunt darüber, dass das Oberverwaltungsgericht Bautzen das erlaubt hat. Man hatte ja bereits Erfahrung mit diesen Veranstaltern und den Teilnehmern. Und bereits im Vorfeld war die Rede von 16.000 Teilnehmern. Es ist doch klar, dass es bei einer solchen Versammlung im innenstädtischen Raum zu Gedränge kommt. Es war absehbar, dass von Corona-Maßnahmen-Gegnern die Auflagen nicht eingehalten werden. Ich finde es unmöglich, so etwas in Corona-Zeiten zuzulassen. Zur gleichen Zeit dürfen im privaten Raum nur noch wenige Personen zusammenkommen.

Es gab nach der Demo massive Kritik an der Polizei. Hätte die anders handeln müssen?
Die Polizei konnte oder wollte die Auflagen nicht durchsetzen. Sie hat sich entschieden, das laufen zu lassen – auch nachdem die Auflösung der Versammlung angeordnet wurde. Dadurch wollte die Polizei offenbar verhindern, dass es körperliche Auseinandersetzungen gibt. Das ist verständlich. Aber es war eben auch vorhersehbar. Mein Punkt ist: Man darf es im Vorfeld gar nicht zulassen, dass es zu einer Situation kommt, in der der Staat einfach aufgibt. Was wird dann wohl bei der nächsten zugelassenen Versammlung passieren? Der Unwille, sich an Auflagen zu halten, wird weiter wachsen, weil man sieht: Der Staat setzt sich mit seinen Vorgaben nicht durch.

An anderen Orten werden Corona-Demos durchaus eingeschränkt. In München gab es Anfang des Monats die Auflage für eine „Querdenker“-Demo die Auflage: statt 5000 nur 1000 Teilnehmer auf der Theresienwiese. Was ist der Grund für diese Unterschiede?
Die Versammlungsbehörden entscheiden vor Ort und die Gerichte immer den konkreten Fall. Wenn die Lage anders ist, kommen naturgemäß andere Entscheidungen heraus. Hinzu kommt aber, dass wir keine eindeutigen, bundesweiten Vorgaben im Gesetz haben.

Was für eine Art Regelung fänden Sie sinnvoll?
Die Bundesländer sollten sich auf ein einheitliches Vorgehen verständigen und in den Corona-Verordnungen der Länder Obergrenzen für die Teilnehmerzahl von Demonstrationen festlegen. Man muss sich überlegen: Ab welcher Größenordnung ist es unwahrscheinlich, dass die Polizei die Dinge noch im Griff haben wird, wenn sich die Menge weigert, die Corona-Auflagen einzuhalten? Das bindet ja auch jedes Mal wahnsinnig viel Personal bei der Polizei, das in dem Moment nicht zur Verbrechensbekämpfung zur Verfügung steht. Es wäre sinnvoll, diese Obergrenze festzuschreiben und sich vorzubehalten, die Grenze sogar noch weiter abzusenken – je nach den konkreten Umständen. Auch die Auswirkungen einer Demo auf die Verbreitung des Virus müssen ja bedacht werden.

Eine solche Obergrenze wird in Sachsen auch diskutiert. Aber ist es aus demokratietheoretischer Sicht nicht gut, dass bislang das Grundrecht der Versammlungsfreiheit so hoch gewichtet wird?
Dass wir in Deutschland grundrechtssensibel sind, ist gut. Aber in Pandemiezeiten muss die Versammlungsfreiheit hinter dem Gesundheitsschutz zurücktreten. Derzeit stellt ja das Versammeln an sich eine Gefahr da. Ich verstehe auch nicht, warum sich Leute während einer Pandemie unbedingt körperlich versammeln wollen. Auf den verschiedensten Plattformen im Netz können wir heute unseren Anliegen Ausdruck verleihen und uns Gehör verschaffen. In anderen Staaten ist das anders: Da gehen die Leute im öffentlichen Raum auf die Straße, weil die Medien nicht frei sind und im Internet blockiert sind. Sie müssen sich auf der Straße zeigen, um deutlich zu machen: Wir sind gegen die Diktatur. Aber wir leben in einem hochzivilisierten Land und in einer luxuriösen Situation, was die Friedfertigkeit des Staates den Bürgern gegenüber anbelangt. Darauf sollten wir uns mal besinnen.

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