zum Hauptinhalt
Fahndungsbilder von RAF-Terroristen nach der Schleyer-Ermordung, rechts: Silke Maier-Witt.

© imago/ZUMA/Keystone

Nach Entschuldigung von Silke Maier-Witt: Wie RAF-Terroristen mit Reue und Wahrheit umgehen

Für Angehörige der Opfer des RAF-Terrors bleibt trotz der jüngsten Entschuldigung der Terroristin Silke Maier-Witt vieles ungewiss – und qualvoll. Zu viele Fragen sind noch offen.

Die Zeugin starrte wütend über den Tisch. Damit rechnete Silke Maier-Witt nun überhaupt nicht. Klaus Pflieger hatte ihr gerade vorgeworfen, sie sei 1977 Teil einer Telefonkette gewesen, mit der die Entführer von Arbeitgeber-Präsident Hanns Martin Schleyer in Kontakt standen. Die Rote Armee Fraktion (RAF) hatte den Industriellen verschleppt, während seine vier Begleiter erschossen in ihrem Blut lagen. Maier-Witt war beteiligt an der Entführung, bei der Schleyer nach 43 Tagen erschossen worden war, sie hatte unter anderem die RAF-Post transportiert. Als Pflieger mit ihr redete, im Oktober 1992, saß sie in der Vollzugsanstalt Vechta, verurteilt zu zehn Jahren Haft. Und nun holte sie die Vergangenheit wieder ein.

Pflieger war Oberstaatsanwalt bei der Bundesanwaltschaft, er arbeitete den Komplex Schleyer neu auf. Von RAF-Kronzeugen, die 1990 in der DDR verhaftet worden waren, hatte er erfahren, dass Maier-Witt nicht bloß die Randfigur war, als die sie sich in ihrem Prozess präsentiert hatte. Da zeigte sie zwar Reue, sie erzählte auch viel über die RAF, nur: Die ganze Wahrheit verschwieg sie. Kein Wort über ihre Rolle in der Telefonkette. Deshalb sagt Pflieger heute: „Ich habe zweifelhafte Erfahrungen mit ihr gemacht. Sie hatte ein taktisches Verhältnis zur Wahrheit.“ Damals.

Und heute? „Ich meine, dass sie inzwischen in Bezug auf ihre eigenen Tatbeiträge reinen Tisch gemacht hat“, sagt Pflieger. „Ob dies auch für ihr Wissen über Schleyers Mörder gilt, weiß ich nicht.“ Maier-Witt, nach fünf Jahren Haft entlassen, hatte Jörg Schleyer, einen der Söhne von Hanns Martin Schleyer, im Oktober in einem Brief um Verzeihung gebeten. Kurz darauf traf sie ihn, „Bild“ dokumentierte das Gespräch. Maier-Witt, 67 Jahre alt, sagte: „Es klingt so platt. Aber ich möchte erst einmal um Verzeihung bitten.“

Echte Reue? Wenig spricht dagegen. Sie hatte sich schon vor vielen Jahren von der RAF distanziert, sie sprach mit Journalisten über Reue und entschuldigte sich bei Angehörigen von Opfern. Sie gehörte zu den zehn Terroristen, die 1980 zermürbt aus der RAF ausstiegen und in der DDR Unterschlupf fanden. Jörg Schleyer nimmt ihr die Reue ab.

Sie sprach mit ihm auch über die letzten Begleiter von seinem Vater. Einer von ihnen musste Hanns Martin Schleyer getötet haben. Aber sie konnte nichts Wesentliches sagen. Wer Schleyer erschoss, ist bis heute nicht bekannt.

Reue von Ex-RAF-Mitgliedern gibt es in Abstufungen

RAF und Reue, ein schwieriges Thema. Reue von Ex-RAF-Mitgliedern gibt es in Abstufungen. Es gibt Leute wie Silke Maier-Witt. Die zeigt viel und glaubwürdig Reue, aber sie hat früher auch mit der Wahrheit nur taktiert. Und es gibt Ex-RAF-Mitglieder, die zwar von Reue sprechen, denen man dies aber nur begrenzt abnimmt. Denn sie reden nicht über Täter. Und damit lassen sie die Angehörigen in der quälenden Ungewissheit, wer, je nach Familienstand, den Vater, den Mann, den Opa ermordet hat.

Und es gibt Leute wie Werner Lotze.

Auch Lotze war 1980 in die DDR übersiedelt. Doch zehn Jahre später wurden die zehn RAF-Aussteiger verhaftet. Gegen Lotze lag nur ein Haftbefehl wegen zwei Banküberfällen vor. Doch kurz vor seinem Haftprüfungtermin saß Lotze dem RAF-Ankläger Pflieger gegenüber. Sekunden nach Gesprächsbeginn begann er hemmungslos zu weinen. Nun brach alles aus ihm heraus. Er gestand einen Polizistenmord 1978 in Dortmund, er gestand seine Beteiligung am Attentat auf NATO-Oberbefehlshaber Alexander Haig in Belgien. Die Ermittler hatten bis dahin keine zielführenden Erkenntnisse über dieses Attentat.

Ein RAF-Kommando hatte versucht, Haigs Mercedes am 25. Juni 1979 in die Luft zu jagen. Weil die Bombe um einen Sekundenbruchteil zu spät gezündet wurde, explodierte nur die Fahrbahn hinter Haigs Wagen. Der General blieb unverletzt. Lotze war dabei, als Rolf Clemens Wagner die Bombe zündete. Nun nannte Lotze auch seine Mittäter, unter anderem Wagner. Aber auch Maier-Witt lieferte Erkenntnisse zum Haig-Attentat.

Silke Maier-Witt gehörte gehörte zur zweiten Generation der RAF
Silke Maier-Witt gehörte gehörte zur zweiten Generation der RAF

© Jose Giribas/SZ Photo/laif

Doch gerade Lotze redete, als könnte er endlich eine riesige Last loswerden. Später entschuldigte er sich bei der Witwe des erschossenen Polizisten. Öffentlich forderte er die RAF zum Ende des bewaffneten Kampfes auf. Er wurde zu elf Jahren Haft verurteilt.

Die DDR-Aussteiger kommen der Vorstellung von echter Reue noch am nächsten. Sie nützten die Kronzeugenregelung, sie packten aus. Und einige zeigten Mitleid. Hennig Beer gestand seine Beteiligung an einem Banküberfall in Zürich im November 1979. Bei der Flucht schossen RAF-Mitglieder und ein Polizist aufeinander, eine Kugel traf eine Passantin in den Hals. Sie starb sofort. Der Polizist wurde schwer verletzt. Beer nannte Peter-Jürgen Boock als Mittäter. Der hatte bis dahin beteuert, er habe „kein Blut an den Händen“. Das Urteil für Beer: sechs Jahre Haft.

Am intensivsten ist Susanne Albrecht mit Angehörigen eines RAF-Opfers verbunden. Jürgen Ponto, Ex-Vorstandssprecher der Dresdner Bank, war Patenonkel von Susanne Albrechts Schwester Julia. Susanne Albrecht sorgte dafür, dass ein RAF-Kommando in Pontos Haus kommen konnte. Doch die geplante Entführung ging schief, Ponto wurde erschossen.

In ihrem Prozess sprach Susanne Albrecht von „kaltblütiger Brutalität“ der Gruppe. Sie bezeichnete Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt als Mittäter. Susanne Albrecht erhielt zwölf Jahre Haft. Pontos Ehefrau, die den Mord mit ansehen musste, schrieb nach der Tat: „Ich bin ein Stein und ohne Tränen.“

Die RAF-Hardliner bleiben ihrem Schweigen treu

In der Kölner Innenstadt entführten RAF-Terroristen am 5. September 1977 den Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer.
In der Kölner Innenstadt entführten RAF-Terroristen am 5. September 1977 den Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer.

© imago/United Archives International

Das sind die Gefühle der Angehörigen eines Opfers. Und Lutz Taufer gehört zu den früheren RAF-Mitgliedern, die zwar Reue zeigen, die sich aber nicht wirklich schmerzhaft in die Seelenlage dieser Angehörigen versetzen wollen. Taufer hatte mit fünf weiteren RAF-Mitgliedern 1975 die deutsche Botschaft in Stockholm überfallen. Das Kommando wollte 26 inhaftierte RAF-Mitglieder freipressen. Um Druck auszuüben, erschossen die Terroristen Militärattaché Andreas von Mirbach und Wirtschaftsattaché Heinz Hillegaart. 20 Jahre saß Taufer im Gefängnis. Jetzt sagt er: „Die grausame Tötung von zwei Geiseln war ein Verbrechen.“ Aber bis heute sagt er nicht, wer geschossen hat.

Karl-Heinz Dellwo gehörte auch zu den Stockholm-Attentäter. Er wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, Stockholm bezeichnete er als „politischen und moralischen Fehler“. Doch zum Thema Reue sagte er vor Jahren auch, diese Diskussion empfinde er „als Gradmesser, wie weit man sich unterwirft“.

Birgit Hogefeld gehörte zur dritten RAF-Generation, die unter anderem den US-Soldaten Edward Pimental mit Genickschuss ermordete. Hogefeld, zu lebenslanger Haft verurteilt, sagte im Schlusswort ihres Prozesses: „Wir waren denen, die wir bekämpfen wollten, in dieser Hinsicht sehr ähnlich und sind ihnen wohl immer ähnlicher geworden.“

Die dritte Generation erschoss auch Gerold von Braunmühl, einen Mitarbeiter des Auswärtigen Amts. Von Braunmühls Brüder schrieben einen bewegenden Brief an die Täter. Ihr Bruder habe sich über Krieg und Ungerechtigkeit empört. „Wisst ihr das überhaupt? Treffend sind nicht Eure Argumente, treffend sind nur Eure Kugeln.“ Patrick von Braunmühl, einer der Brüder, besuchte mal Hogefeld im Gefängnis. Jetzt hätte er Antworten bekommen können. Doch Hogefeld, sagte er später, habe keine gegeben.

Alle verurteilten RAF-Mitglieder sind längst wieder frei, doch die Hardliner unter ihnen bleiben ihrem Schweigen treu. Der Riss geht sogar durch die RAF selber. Auf Initiative einer Ex-RAF-Frau aus der ersten Generation trafen sich Ex-Terroristen unter Leitung von Psychotherapeuten zu Sitzungen. Thema: Aufarbeitung der Vergangenheit. Hardliner trafen auf Menschen, die sich von ihren Taten distanzierten. Nach vier Sitzungen war die Gruppe so zerstritten, dass sie sich spaltete. Auch Stockholm-Attentäter Dellwo gehörte zur Therapiegruppe.

Ein Gespräch mit Christian Klar? Sinnlos

Zu den Hardlinern gehört Christian Klar, verurteilt wegen neunfachen Mordes. In einem TV-Interview sagte er über die Angehörigen von Opfern: „Ich überlasse der anderen Seite ihre Gefühle und respektiere sie, aber ich mache es mir nicht zu eigen.“ Rolf Heißler, beteiligt an der Schleyer-Entführung, betrachtete dieses Attentat auch nach 22 Jahren Haft gefühllos. „Das war eine militärische Entscheidung, wie wir den in die Hände kriegen.“ Mit Angehörigen habe er nicht versucht, Kontakt aufzunehmen. „Warum auch?“

Einer der Söhne des ermordeten Arbeitgeber-Präsidenten: Jörg Schleyer.
Einer der Söhne des ermordeten Arbeitgeber-Präsidenten: Jörg Schleyer.

© Franziska Kraufmann/dpa

Warum auch? Weil Schleyers Söhne wissen möchten, wer ihren Vater erschossen hat. Weil Michael Buback, der Sohn des ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback, wissen möchte, wer seinen Vater erschossen hat. Die Antwort könnte Klar geben, er wurde wegen des Bubacks-Mordes verurteilt. Aber Klar schweigt. Nach 26 Jahren Haft kam er 2008 auf Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart frei. Im Gespräch war auch eine Begnadigung Klars durch den damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler. Sigrun Schmidt, Witwe eines von der RAF erschossenen Polizisten, schrieb in dieser Zeit fassungslos an Köhler: „Ich kann nicht glauben, dass Sie ernsthaft darüber nachdenken, Klar freizulassen.“ Köhler lehnte die Begnadigung ab.

Klar war auch an dem Banküberfall in Zürich beteiligt. Nach Klars Entlassung sagte Bernhard Pfister, der Polizist, der bei der Schießerei verletzt wurde der „Neuen Züricher Zeitung“, er würde gerne wissen, wer auf ihn geschossen habe. Aber ein Gespräch mit Klar? Sinnlos. „Wir würden uns bloß stumm anschauen.“ Und so bleibt unbekannt, wer Pfister traf. Ebenso bleiben neun Morde der dritten Generation ungeklärt.

„Eure Sprache ist wie Beton. Fest verbarrikadiert gegen kritisches Denken, gegen Gefühle und gegen jede Wirklichkeit, die sich ihrer erstarrten Begriffen nicht fügen will.“ Das schrieben die Von-Braunmühl-Brüder 1986 an die RAF.

Der Beton ist immer noch steinhart. Im Mai 2010 veröffentlichten „einige, die zu unterschiedlichen Zeiten in der RAF waren“, eine Erklärung, weil das Thema Reue medial groß aufbereitet wurde. Lapidare Botschaft der Ex-RAF-Mitglieder: Wir werden nie über unsere Taten reden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false