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Der Linken-Abgeordnete Klaus Ernst bei der Klausurtagung seiner Fraktion in Potsdam.

© Annette Riedl/dpa

Nach der Vergiftung von Alexej Nawalny: Schlagabtausch bei den Linken über die Haltung zu Russland

Bei den Linken ist ein offener Streit über die Haltung zu Russland entbrannt. Auslöser waren Äußerungen des Abgeordneten Klaus Ernst.

Ein Streit ist eigentlich genau das, was die Linke derzeit nicht braucht. Die Partei will sich gerade personell neu aufstellen. Die bisherigen Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger treten, wie bei der Linken vorgesehen, nach acht Jahren nicht mehr an. Am Freitag erklärte die hessische Fraktionschefin Janine Wissler ihre Kandidatur für den Bundesvorsitz. Der personelle Umbruch stehe in politisch schwierigen Zeiten an, schrieb die 39-Jährige in einer Erklärung. In einem Satz umriss sie die Themen, die für sie im Vordergrund stehen, so: Die Linke müsse „innerhalb und außerhalb der Parlamente für soziale Gerechtigkeit, ökologischen Umbau, Antirassismus, mehr Demokratie und konsequente Friedenspolitik“ eintreten, „konkrete Kämpfe“ unterstützen und eine „antikapitalistische Perspektive“ aufzeigen. Wenig später gab wie erwartet auch Thüringens Landespartei- und Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow ihre Kandidatur für den Bundesvorsitz bekannt.

Doch derzeit beschäftigt die Partei ein ganz anderes Thema: das Verhältnis zu Russland. Der Streit darüber wurde am Freitag nicht nur hinter verschlossenen Türen bei der Fraktionsklausur in Potsdam ausgetragen, sondern zum Teil auch öffentlich. Auslöser für den Krach sind sehr unterschiedliche Bewertungen des Giftanschlags auf den russischen Oppositionsführer Alexej Nawalny.

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Der Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch sprach am Donnerstag von einem „unfassbaren Vorgang“. Die Verantwortlichkeiten müssten aufgeklärt und die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen werden, forderte er. Dann folgte ein Satz, den man von führenden Vertretern der Linken sonst nicht hört: „Die selten harte Reaktion der Bundesregierung ist angemessen.“ Das klang nach einer Partei, die nebenbei ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis stellen will.

„Wem nutzt die Vergiftung Nawalnys?“

Ganz anders äußerte sich dagegen der Linken-Bundestagsabgeordnete Klaus Ernst. Er forderte nicht nur Ermittlungen und Aufklärung, sondern stellte in einem Tweet folgende Fragen in den Raum: „Wem nutzt die Vergiftung Nawalnys? Etwa Putin? War Nawalny so gefährlich, nach 76% für Putin 2018? Wer hat Interesse, die Beziehungen, besonders die wirtschaftlichen, zwischen Deutschland, der EU und Russland zu stören, was Röttgen schon fordert?“ Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), hatte gefordert, nach dem Anschlag auf Nawalny die russische Gaspipeline Nord Stream 2 zu stoppen. Mit seinen Fragen spielt Ernst offenbar auf eine in den sozialen Medien derzeit kursierende Verschwörungstheorie an, wonach in Wirklichkeit die Amerikaner hinter dem Anschlag auf Nawalny stünden, um die Pipeline zu verhindern.

Ernst ist im Bundestag Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Energie, seine uneingeschränkte Unterstützung für Nord Stream 2 stieß in der Fraktion bereits auf Widerspruch. In seiner Funktion als Ausschussvorsitzender hatte Ernst den Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) im Juli zu einer Anhörung im Bundestag eingeladen, damals ging es um die US-Sanktionen gegen Nord Stream 2.

Äußerungen von Ernst „katastrophal und inakzeptabel“

Die Äußerungen von Ernst seien „katastrophal und inakzeptabel“, sagte ein Fraktionsmitglied am Rande der Klausurtagung. Während die Fraktion in Potsdam eigentlich über inhaltliche Schwerpunkte diskutieren wollte, kam es am Freitag zum öffentlich ausgetragenen Schlagabtausch über die Haltung zu Russland. Der Abgeordnete Matthias Höhn entgegnete Ernst ebenfalls auf Twitter: „Wem nutzen solche Andeutungen? Etwa der Linken? Waren 76% für Putin ein demokratisches Ergebnis?“ Außerdem warnte Höhn davor, „über Menschenrechtsverletzungen hinwegzusehen, wenn es um Wirtschaftsbeziehungen geht“. Seinem Fraktionskollegen gab er schließlich noch eine Mahnung mit auf den Weg: „Aufklärung hat etwas mit Fakten und Vernunft zu tun.“

Allerdings ist Ernst mit seiner russlandnahen Position innerhalb der Partei nicht allein. Dem stellvertretenden Fraktionschef Andrej Hunko wird ebenfalls eine sehr kremlfreundliche Linie zugeschrieben. Parteiintern stießen zuletzt seine Äußerungen zur Lage in Belarus auf Kritik, wie ein Fraktionsmitglied berichtet.

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Auch der ehemalige Linken-Bundestagsabgeordnete Jan van Aken betonte, auf den Nervenkampfstoff Nowitschok, mit dem Nawalny vergiftet worden war, könnten sicher auch andere Geheimdienste zugreifen. Der Verdacht, es könne aus Moskau kommen, liege nahe, aber es könnte auch ein anderer Dienst involviert sein, der Russland die Tat in die Schuhe schieben wolle, sagte van Aken in der ARD. Das sei allerdings „Spekulation“.

Im Fall Skripal übernahm die Linke Fragen aus Russland

Die Debatte um die Haltung im Fall Nawalny weckt Erinnerungen an die Reaktion der Linksfraktion auf die Vergiftung des russischen Ex-Spions Sergej Skripal in Großbritannien. Skripal und seine Tochter waren 2018 ebenfalls Opfer eines Anschlags mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok geworden. Damals richtete die Fraktion unter Federführung der Abgeordneten Sevim Dagdelen eine kleine Anfrage an die Bundesregierung. Der Text stammte allerdings zum größten Teil nicht aus der Feder der deutschen Abgeordneten. Die Fraktion übernahm die Fragen zum Fall Skripal vielmehr direkt von der russischen Regierung.

Die Mehrheit der Abgeordneten unterstütze beim Thema Nawalny die Linie von Bartsch, wird innerhalb der Fraktion versichert. Dessen deutliche Worte werten Abgeordnete als „Fortschritt“.

Diesen Fortschritt dürfte die Linke dringend brauchen, wenn sie sich SPD und Grünen als möglicher Koalitionspartner im Bund präsentieren will. Dafür gilt gerade das Thema Außenpolitik als größte Hürde. Erst vor wenigen Tagen hatte es innerhalb der Partei Krach um Äußerungen des neuen außenpolitischen Sprechers Gregor Gysi gegeben, der im Tagesspiegel-Interview einem Austritt aus der Nato eine Absage erteilt hatte. Daraufhin bekräftigten zahlreiche Linken-Politiker in einem gemeinsamen Papier, dass die Partei an dieser Forderung festhalten müsse.

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