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Horst Seehofer (CSU), Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, am Donnerstag vor dem Reichstagsgebäude.

© Kay Nietfeld/dpa

Nach der Einigung im Koalitionsausschuss: Reicht Seehofer sein eigener Kompromiss?

Die CSU muss bei ihren Forderungen an die europäischen Nachbarn zur Abweisung von Flüchtlingen deutliche Abstriche machen. Ein Überblick.

Von
  • Robert Birnbaum
  • Hans Monath

Das „Sommertheater“ sei nun vorbei, verkündete Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) nach der Einigung auf eine Neuordnung der Asylpolitik, mit der die bislang schwerste Krise der Bundesregierung vorübergehend entschärft schien. CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte mit seiner Drohung eines nationalen Alleingangs bei der Zurückweisung von Flüchtlingen seine Entlassung und den Bruch der CSU mit Kanzlerin Angela Merkels CDU riskiert. Nun präsentierte Seehofer sich als Gewinner: „Sie sehen einen zufriedenen Innenminister“, sagte er nach der Einigung – nicht, ohne schon am Freitag einen nationalen Alleingang wieder in den Raum zu stellen. Was haben Union und SPD im „Paket zur Neuordnung der Asylpolitik“ tatsächlich vereinbart – und wer hat sich durchgesetzt?

Keine Neubauten

Seehofer selbst sagt, es gehe um sehr wenige Fälle, womöglich fünf am Tag. Flüchtlinge, die schon in einem anderen EU-Staat einen Asylantrag gestellt haben und an der bayerisch-österreichischen Grenze abgefangen werden, sollen in Einrichtungen der Bundespolizei in unmittelbarer Grenznähe untergebracht werden. Neubauten sind nicht geplant. Die SPD hatte sich vehement gegen den Begriff „Transitzentren“ gestemmt, weil der an geschlossene Lager für Tausende von Migranten erinnert, welche die Sozialdemokraten 2015 für indiskutabel erklärt hatten. Von „Transitzentren“ ist deshalb nun keine Rede mehr – und auch Seehofer vermeidet seinen ursprünglichen Begriff.

Keine Lager

Seehofer sagt nein: „Da gibt’s keinen Stacheldraht oder Ähnliches, und es geht um keine Massenlager.“ Doch legt er nahe, dass die dort Untergebrachten nicht einfach vor die Tür spazieren können – dann würde sich ja auch die Frage nach der Notwendigkeit dieser Einrichtungen stellen. „Sie können, wenn sie wollen, jederzeit in jedes Land der Welt ausreisen. Aber sie dürfen in Deutschland nicht einreisen.“ Mit anderen Worten: Die Menschen können sich aus den „Transferzentren“, wie er sie nennt, von den deutschen Behörden jederzeit außer Landes bringen lassen. Bewegungsfreiheit im klassischen Sinne ist das nicht.

Kurzer Aufenthalt

Wie beim bestehenden Flughafenverfahren reisen die Personen rechtlich nicht nach Deutschland ein – „Fiktion der Nichteinreise“ nennt sich das. Die Zurückweisung soll innerhalb von 48 Stunden erfolgen. Also wird es ohnehin maximal zwei Übernachtungen im Bundespolizei-Gebäude geben. Das Verfahren soll nur an der Grenze zu Österreich zum Einsatz kommen. Damit es funktioniert, müssen bilaterale Abkommen gerade mit Italien und Griechenland ausgehandelt werden, woher die meisten Migranten kommen, die schon Asyl beantragt haben. Ohne Vereinbarung kann es nicht angewendet werden, dann dürfen die Personen einreisen und erhalten ein reguläres Prüfverfahren.

Merkel und Nachbarländer sollen helfen

Seehofer muss nun als Innenminister selbst die Vereinbarungen aushandeln, die Voraussetzung für das Funktionieren des Plans sind. Der CSU-Chef sagt, das Problem sei so kompliziert, dass auch Kanzlerin Merkel in der Pflicht sei. CSU und CDU hatten in ihrem Kompromiss vereinbart, Flüchtlinge, die das ursprünglich zuständige EU-Land nicht zurücknimmt, nach Österreich abzuweisen. Doch dessen Regierung sperrt sich. Ob Seehofer die Herkunftsländer Italien und Griechenland zu einem Abkommen bewegen kann, ist eine offene Frage.

Weniger Betroffene

Ursprünglich wollte der Innenminister noch deutlich mehr Menschen an der Grenze zu Österreich zurückweisen. In seinem „Masterplan Migration“ für den CSU-Vorstand hieß es, nicht nur Flüchtlinge mit laufendem Asylverfahren eines anderen EU-Staates sollten an der Grenze zurückgewiesen werden, sondern auch dort schon lediglich registrierte. In der Vereinbarung zwischen CDU und CSU war nur noch vage die Rede von „Asylbewerbern, für deren Asylverfahren andere EU-Länder zuständig sind“ – und im Kompromiss mit der SPD geht es nur noch um „Personen, die bereits in einem anderen Mitgliedsstaat einen Asylantrag gestellt haben“. Nicht jeder Schutzsuchende, der zum Beispiel in Italien oder Griechenland registriert wird, stellt dort auch einen Asylantrag: Viele werden dort registriert, wollen aber weiter nach Deutschland.

Mehr Fahndung auch an nicht bayerischen Grenzen Deutschlands

Mobile Grenzkontrollen und Schleierfahndungen bis zu 30 Kilometer hinter der deutschen Grenze sollen verstärkt werden. Dadurch soll schneller geklärt werden, welcher EU-Staat für den Asylantrag eines Flüchtlings zuständig ist. Nach den europäischen Dublin-Regeln ist das häufig das Land, in dem Migranten zuerst den Boden der EU betreten haben, aber auch der Aufenthaltsort von Angehörigen spielt eine Rolle. Bei dieser „Zuständigkeitsprüfung“ wird der Asylantrag selbst noch gar nicht bewertet. Bisher dauerten Prüfung und die Überstellung laut Seehofer mindestens ein Vierteljahr. In dem Papier steht nun als Ziel, dieses Verfahren künftig „in wenigen Tagen“ abzuschließen. Das betrifft laut Seehofer 46.000 Menschen im Jahr, die schon in anderen EU-Staaten registriert wurden – als deutlich mehr als beim Transit-Modell. Die Beschleunigung ihrer Verfahren hatten CDU und SPD vorgeschlagen.

Die SPD hat ein Einwanderungsgesetz durchgesetzt

Vor allem der SPD lag daran, mit dem Einwanderungsgesetz einen Erfolg im Asylstreit mit der Union vorweisen zu können. Das Vorhaben, das schon im Koalitionsvertrag vereinbart war, soll nun noch in diesem Jahr verabschiedet werden. Damit sollen Fachkräfte für Mangelberufe angeworben werden, denn der Wirtschaft fehlen heute schon hunderttausende hoch qualifizierte Fachkräfte.

Einigung auf Wiedervorlage

Viele in der SPD höhnen nun, Seehofer sei als bayerischer Löwe gestartet und als Bettvorleger gelandet, er werde die Abkommen mit anderen EU-Staaten nie erreichen. Sobald die Aussichtslosigkeit einer Verhandlungslösung deutlich wird, könnte der Innenminister sich aber erneut auf den CSU-Plan zur Zurückweisung an der Grenze berufen – und damit sofort auch wieder den Streit mit Merkel und der CDU eskalieren lassen. In einem „Spiegel“-Interview hat er genau das jetzt schon einmal angedroht. Denn die Umfragen für die CSU vor den Landtagswahlen im Oktober stehen nicht gut. (mit dpa)

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