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Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).

© Michael Kappeler/dpa

Update

Nach der Bundestagswahl: Schäuble sieht gute Chancen für Jamaika-Bündnis

Der scheidende Finanzminister glaubt an einen Weg zur Jamaika-Koalition. Eine Obergrenze für Flüchtlinge hält Schäuble für überflüssig. Aus der CSU kommt eine neue Deutung des Begriffs.

Der designierte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) sieht gute Chancen für eine künftige Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen. „Ich rate zu Gelassenheit. Es wird sich ein Weg finden“, sagte Schäuble, dessen Stimme in der Union Gewicht hat, der „Bild am Sonntag“. Jamaika liege nahe, „denn wir brauchen eine stabile Regierung für unser Land“. Wirtschaft und Gewerkschaften forderten indessen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu einer raschen Regierungsbildung auf.

Den unionsinternen Streit um eine jährliche Obergrenze für Flüchtlinge hält der scheidende Finanzminister Schäuble für überflüssig. „Hier wird um einen Begriff ein Scheinstreit geführt, obwohl es inhaltlich keine wirklichen Differenzen gibt.“ Die Obergrenze habe im nächsten Koalitionsvertrag nichts verloren. Die CSU dringt darauf, dass eine Obergrenze von jährlich 200.000 Flüchtlingen festgeschrieben wird.

Der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, hat die Forderung seiner Partei nach einer Obergrenze für den Flüchtlingszuzug verteidigt, ihr zugleich aber eine umfassendere Bedeutung gegeben. „Die Obergrenze ist deutlich mehr als die Verengung auf ein Wort“, sagte er der „Augsburger Allgemeinen“. „Die Obergrenze hat einen thematischen Unterbau und der heißt: Fluchtursachen bekämpfen, Grenzen schützen, Integration fördern, Rückführungen beschleunigen.“

Koalitionsverhandlungen bis 2018? Nicht ausgeschlossen

Besonders mit dem Punkt Kampf gegen Fluchtursachen nimmt Dobrindt eine Argumentation von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, die eine Obergrenze ablehnt und noch im Wahlkampf garantiert hatte, dass es diese mit ihr nicht geben wird. Mit dem Punkt Integrationsförderung wiederum geht Dobrindt auf ein Anliegen besonders der Grünen ein.

Zugleich untermauerte Dobrindt aber auch die bisherige Sichtweise von CSU-Chef Horst Seehofer. „Die Integrationsfähigkeit unseres Landes hat eine Obergrenze. Deshalb brauchen wir eine substanzielle Begrenzung der Zuwanderung in unser Land. Das Wahlergebnis spricht hier eine klare Sprache. Und die politische Debatte darüber muss so geführt werden, dass sich nicht ganze Wählergruppen ausgeschlossen fühlen.“

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) argumentierte in der „Rheinischen Post“, nur ein Prozent der Asylbewerber sei asylberechtigt im Sinne des Grundgesetzes. Das spiele zahlenmäßig überhaupt keine Rolle. „Wir brauchen deshalb auch keine Verfassungsänderung für die Obergrenze, wie manche glauben.“ Derzeit gingen die Flüchtlingszahlen auch zurück. In diesem Jahr würden deutlich unter 200.000 erwartet. Aber: „Wir brauchen ein verlässliches Konzept, wie wir die Zahl der Flüchtlinge, die zu uns kommen, dauerhaft niedrig halten können.“

Wegen dieser Differenzen zwischen den Schwesterparteien CDU und CSU könnten sich Sondierung und Koalitionsverhandlungen mit Grünen und FDP verzögern. Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) hatte nicht ausgeschlossen, dass sich die Verhandlungen für eine neue Bundesregierung bis ins neue Jahr hineinzögen.

„Das Land verträgt keinen Stillstand“

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte von Merkel eine schnelle Regierungsbildung. „Das Land verträgt keinen Stillstand“, sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann der Deutschen Presse-Agentur. „Frau Merkel sollte rasch für eine stabile Regierungsmehrheit sorgen“, so Hoffmann. „Wir haben einen großen Reformdruck, auch in Europa.“ Hoffmann geht davon aus, dass eine Jamaika-Koalition wenig Perspektiven für Arbeitnehmer biete. Die FDP wolle unter anderem mehr Ausnahmen beim Mindestlohn und weniger Dokumentation von Arbeitszeiten. Zudem forderte er mehr Tarifverträge und mehr soziale Gerechtigkeit, vor allem im Osten. 

Zuvor hatten bereits der Industrieverband BDI und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) auf eine rasche Regierungsbildung gedrängt. Auch die wirtschaftspolitischen Sprecher der Unionsfraktionen aus Bund und Ländern machten entsprechend Druck.

„Unsere Unternehmen brauchen möglichst rasch Klarheit darüber, wie es politisch weitergeht in Deutschland“, sagte BDI-Präsident Dieter Kempf der dpa. DIHK-Präsident Eric Schweitzer fügte hinzu, Jamaika sei „kein Schreckgespenst für die deutsche Wirtschaft“.

„Totalblockade“ beim Datenschutz

Der CDU-Innenexperte Armin Schuster warnte die FDP vor einer „Totalblockade“ beim Datenschutz. „Wir brauchen mit der FDP, anders als in der vorletzten Wahlperiode, einen klugen Ausgleich zwischen Opfer- und Datenschutz“, sagte er der dpa. Andererseits gab er zu bedenken, dass eine Zusammenarbeit mit FDP und Grünen gute Chancen biete, „endlich unsere Sicherheitsarchitektur auf Vordermann zu bringen“. Dabei müsse dem Bund in der Terrorbekämpfung eine zentralere Rolle zugewiesen werden.

In der CDU wird nach den schweren Verlusten der Union bei der Bundestagswahl über die Verantwortung von Parteichefin Merkel und die richtige Aufstellung für die Gespräche mit FDP und Grünen diskutiert. Am kommenden Samstag stellt sich Merkel beim Deutschlandtag der Jungen Union in Dresden dem Parteinachwuchs. Am Sonntag will sie mit der CSU-Spitze über die künftige gemeinsame Linie beraten.

Offen zeigte sich Schuster, der dem konservativen CDU-Flügel zugerechnet wird, für die Besetzung von Schlüsselressorts durch FDP und Grüne: „Wenn die FDP den Finanzminister stellen würde, ist das kein Grund für schlaflose Nächte. Ein grüner Außenminister auch nicht.“

Die Union müsse jetzt unkonventionell und mutig vorgehen. „Warum sollte nicht Finanzen und Arbeit/Soziales an die FDP gehen, das Auswärtige Amt und Entwicklungshilfe an die Grünen und Innen und Justiz an die Union?“ Die Schwerpunkte der jeweiligen Partner sollten präzise im Koalitionsvertrag fixiert werden, sagte Schuster. Dazu sei auch eine frühe Vergabe der Ministerien sinnvoll.

Umfrage: 57 Prozent der Deutschen für Jamaika

Eine Jamaika-Koalition würde wohl auch der Mehrheit der Deutschen zusagen: Einer am Mittwoch veröffentlichten Forsa-Umfrage für das Magazin "Stern" zufolge sprachen sich 57 Prozent für diese Option aus. Eine große Koalition befürworteten dagegen nur noch 26 Prozent. Vor der Wahl war ein solches Bündnis von Union und SPD von den Befragten noch mehrheitlich befürwortet worden.

Besonders groß ist die Zustimmung zu einem Jamaika-Bündnis der Umfrage zufolge bei den Anhängern der Grünen mit 84 Prozent und bei den Anhängern der FDP mit 81 Prozent. Auch 58 Prozent der Unionsanhänger befürworten demnach diese Konstellation. Kompromissbereitschaft erwarten die Befragten besonders von der CSU. 72 Prozent aller Befragten erwarten von der Partei die Bereitschaft zu Zugeständnissen. Unter den CSU-Anhängern würden es 76 Prozent ihrer Partei übel nehmen, sollte sie Koalitionsverhandlungen an der Frage der Obergrenze scheitern lassen.

Das Forsa-Institut befragte am 28. und 29. September für den "Stern" 1003 repräsentativ ausgesuchte Bundesbürger. Die statistische Fehlertoleranz wurde mit plus/minus drei Prozentpunkten angegeben. (dpa)

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