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Aus dem Stegreif und unter Vorbehalt. Neun Punkte hat die Kanzlerin ausgemacht, bei denen nach den Attentaten ihrer Einschätzung zufolge Handlungsbedarf besteht.

© Tobias Schwarz/AFP

Nach den Attentaten: Kanzlerin und CSU: die Sicherheits-Union

Bayern will sich profilieren und gibt sich daher vollmundig. Doch in vielen Punkten ähneln die CSU-Pläne zur Abwehr von Attentaten Merkels Vorschlägen.

Von Robert Birnbaum

Neun Punkte zählte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag auf, bei denen sie nach den Wochen der Attentate Handlungsbedarf sieht; neun Seiten umfasst das Programm „Sicherheit durch Stärke“, das das bayerische Kabinett am gleichen Tag verabschiedet hat. Direkt vergleichbar ist das eine mit dem anderen nicht. Die bayerische Kabinettsklausur zur Inneren Sicherheit war seit Monaten geplant, das Konzept von Innenminister Joachim Herrmann enthält darum auch Passagen zu Wohnungseinbruch oder Widerstand gegen Polizeibeamte. Merkels Liste entstand aus dem Stegreif und mit dem Vorbehalt, man müsse Weiteres prüfen.

Trotzdem zeigt die Gegenüberstellung: So unterschiedlich, wie man das nach Tonfall und Lautstärke vermuten könnte – „größte Sicherheitsoffensive in der Geschichte Bayerns“ nennt das Kabinett in landesüblicher Bescheidenheit sein Papier –, sind die Rezepte aus München und Berlin nicht. In beiden tauchen neben einigen wenigen Neuigkeiten viele längst beschlossene Maßnahmen auf. In beiden finden sich die vage Floskeln, dass man etwas „verstärken“, „ausbauen“ oder „verbessern“ wolle, weit häufiger als konkrete neue Zahlen und Projekte. Und in beiden sind erst Ansätze von Ideen enthalten, die die Taten von Würzburg, München und Ansbach erschwert hätten.

Datenschutz und Schweigepflichten

Aus Merkels Punkte-Reihe sticht dabei das Wort „Frühwarnsystem“ heraus. Die drei Attentäter waren vorher nicht als Radikale aufgefallen – jedenfalls nicht den richtigen Leuten. Wie sich zum Beispiel verhindern ließe, dass wie im Fall Ansbach die Warnung eines Gerichtsgutachters folgenlos zu den Akten wanderte, ließ die Kanzlerin offen. Tatsächlich ist ein solches System nicht banal, schon weil Datenschutz und Schweigepflichten nicht ignoriert werden dürfen. Ein zweiter Punkt in Merkels Liste weist in die gleiche Richtung: Forschung speziell zum islamistischen Terror und zu Gegenstrategien soll verstärkt werden.

Bayern ist bei der Prävention dort präziser, wo es als Bundesland zuständig ist. So gibt es die Zusage, die Prävention in Haftanstalten zu verstärken. Ausbauen will Bayern kommunale „Präventionsnetzwerke“ und psychologische Krisendienste. Konkrete Zahlen nennt das Land nur für die ehrenamtliche „Sicherheitswacht“ – sie soll von 770 auf 1500 verdoppelt werden. Gänzlich unkonkret bleibt die Ankündigung von „Überwachungsmaßnahmen“ in Asylunterkünften.

Mehr professionelles Sicherheitspersonal und bessere Ausrüstung versprechen Bundeskanzlerin wie Landesregierung. Bayern, auch hier als Land vorrangig zuständig, kündigt 550 Polizisten mehr pro Jahr bis 2020 an, zusammen rund 2000. Dazu soll neue Schutz- und Kommunikationsausrüstung kommen. Hier hatte selbst der viel gelobte Einsatz in München einige Defizite offenbart.

Minister Herrmann will außerdem Schwerpunkte neu setzen: bei Beobachtungs- und Spezialkräften etwa oder der Internet-Polizei, inklusive stärkerer Überwachung des „Darknet“. Auf diesem anonymen Weg war der Münchner Amokschütze an die Waffe gekommen. Ausgeweitet werden soll die Videoüberwachung öffentlicher Räume. Neu ist eine „Zentralstelle Extremismus“ bei der Generalstaatsanwaltschaft und ein Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik.

Der Bund hat ein solches Amt schon seit 1991, das BSI. Beschleunigt werden soll nach Merkels Willen der Aufbau der neuen „Zentralen Stelle für Informationstechnik im Internet“ (Zitis). Dort werden nach bisheriger Planung ab 2017 rund 60 Mitarbeiter schwerpunktmäßig daran arbeiten, verschlüsselte Kommunikation zu knacken. Bayern dringt zusätzlich auf Rechtsänderungen, um solche Abhörmaßnahmen zu erleichtern. Merkel verspricht personelle und materielle Aufstockung der Bundessicherheitsbehörden „wo immer notwendig“ bei den Haushaltsberatungen im Herbst.

Einsatz der Bundeswehr im Inneren?

Einig sind sich Bundes- wie Landesregierung darin, dass die Bundeswehr bei Terror-Großlagen hilfsweise zum Einsatz kommen und das demnächst mit der Polizei zusammen üben soll. Die CSU-Landesregierung fordert darüber hinaus den Einsatz von Soldaten etwa als Hilfstruppe bei der Grenzsicherung. Das ginge aber nur nach einer Grundgesetzänderung – angesichts der Bedenken der SPD ein aussichtsloses Unterfangen.

In die Abteilung der schaufensterpolitik-verdächtigen Forderungen gehört auch der Ruf der Bayern wie der Kanzlerin nach europaweiter Vernetzung der Datenbanken von Nachrichtendiensten und Polizei. Merkel hat aber immerhin noch die Möglichkeit, in Brüssel zögernde EU-Partner zu bearbeiten – auf Bayern hört dort niemand. Die konkreten Fälle berührt diese Frage ohnehin nicht. Der Amokschütze von München war Deutscher; die Flüchtlinge, die zu Attentätern wurden, waren bei der ordnungsgemäß absolvierten Kontrolle unauffällig.

Konkret bedeutsamer wäre die von Merkel angekündigte rasche Umsetzung des EU-Waffenrechts, denn es enthält Schritte gegen Waffenkauf per Internet. Letzter Punkt auf ihrer Liste: Abschiebungen. Die CDU-Chefin stellt sich hinter die CSU-Forderung, abgelehnte oder straffällig gewordene Asylbewerber auch in Krisengebiete abzuschieben, zum Beispiel nach Afghanistan oder Nordafrika. Neu ist die Idee nicht. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) war schon im Februar zu Gesprächen in Kabul mit dem Ziel, Flüchtlinge zurückzuschicken in Gebiete am Hindukusch, die als relativ ungefährlich gelten können.

Obergrenzen, "aufgewärmt"

An Widerständen in der Koalition in Berlin gescheitert sind bisher Vorstöße von „Transitzentren“ bis „Obergrenze“, die der Freistaat nun aufwärmt. Neu im Bayern-Katalog: die „elektronische Fußfessel“ für verurteilte Extremisten, von denen weiter Gefahr ausgeht. Das Land will die Rechtsbasis schaffen und fordert vom Bund das Gleiche. Neu auch die Forderung, keine Visaerleichterungen für Drittstaaten in die EU mehr zuzulassen, bevor die Außengrenzkontrollen sichergestellt seien. Bei der Gelegenheit verlangt Horst Seehofers Kabinett gleich das Ende der Beitrittsgespräche mit der Türkei. Schließlich sollen Flüchtlinge, die bis Ende 2015 per Fragebogen anerkannt wurden, nachträglich überprüft werden.

Andere Forderungen hingegen sind längst gegenstandslos: Es gibt seit Monaten keine „unkontrollierten Einreisen“ mehr, und über mangelnde „Kontrollen der Binnengrenzen“ hat sich auch lange keiner beschwert. Die Bayern wissen das natürlich. Dieser Teil der neun Seiten fällt also wohl unter eine Kategorie, die Merkel höflich „landestypisch“ nannte.

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