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Schweigeminute am Donnerstag im Bundestag für die 17 Opfer der Terroranschläge in Paris.

© AFP

Nach den Anschlägen von Paris: Deutsche Politik definiert ihr Verhältnis zum Islam

Im Bundestag wurde am Donnerstag über Schlussfolgerungen aus den Anschlägen von Paris diskutiert. Welche Haltung die Politik künftig zum Islam und zu den Muslimen im Land einnimmt, stand dabei im Zentrum.

Von Robert Birnbaum

Die anderen klatschen, die Union tut es nicht. Das ist an sich kein ungewöhnliches Bild im Bundestag, nur dass der einhellige Applaus von SPD bis Linkspartei an diesem Donnerstagmorgen der Bundeskanzlerin gilt – und das Schweigen der CDU/CSU auch. Angela Merkel hat erneut Ex-Bundespräsident Christian Wulff zitiert: Judentum und Christentum seien Teil der gemeinsamen Geschichte, „aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“. Gehört er nicht, antwortet das Schweigen der Fraktion.

Der Bundestag gedenkt der Toten von Paris. Aber acht Tage nach dem Mordanschlag bleibt es nicht bei Verneigung vor den Opfern und Appellen an Freiheit und Zusammenhalt. Langsam rücken die politischen Folgerungen ins Zentrum.

Das künftige Verhältnis zu den Muslimen in Deutschland gehört zu den Fragen, die die Attentate aufwerfen. Bundestagspräsident Norbert Lammert dankt dem Zentralrat der Muslime dafür, dass er am Dienstag zur Kundgebung vor dem Brandenburger Tor geladen hatte. „Unser Gegner ist nicht der Islam“, sagt Lammert, „sondern der Fanatismus.“ Trotzdem müssten sich nicht nur die Christen fragen, ob sie den Muslimen wirklich immer vorurteilsfrei entgegentreten – nein, auch die Muslime müssten sich damit auseinandersetzen, warum im Namen ihrer Religion gemordet werde.

Merkel applaudiert dem Satz von der Regierungsbank. Später wird sie selbst die „Geistlichkeit des Islam“ auffordern, „dringend“ das Verhältnis zwischen Islam und Terror zu klären. Da klatscht dann auch die Union ihr wieder zu. Übrigens ist in dieser Frage die Einigkeit breit im Hohen Haus; selbst Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter fordert einen „kritischen Diskurs innerhalb des Islam“.

Fraktionschef Volker Kauder aber zitiert in seiner Rede den Satz von Bundespräsident Joachim Gauck an die Teilnehmer der Kundgebung am Brandenburger Tor: „Wir alle sind Deutschland.“ Das ist in seiner unscharfen Unverbindlichkeit offensichtlich erträglicher für die Parteien mit dem C im Namen als Wulffs Zumutung. Auch Merkel hat versucht, die Irritation im eigenen Lager aufzugreifen: Viele Bürger seien unsicher über den Umgang mit Moslems und dem Koran, schon aus wechselseitiger Unkenntnis, und die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Islam und Terror sei ja berechtigt.

Aber jeder Generalverdacht verbiete sich: „Als Bundeskanzlerin nehme ich die Muslime in Deutschland in Schutz!“ Der Satz ist ihr wichtig. Merkel hat erkannt, dass der Terror von Paris eine Chance bietet, das verkrampfte Verhältnis zu den Muslimen in beide Richtungen zu öffnen – wobei sie als CDU-Chefin durchaus im Blick haben dürfte, dass ihre Partei im Zuwanderermilieu bisher nur schwach verankert ist.

Bei der CDU haben noch nicht alle diesen Zusammenhang begriffen, aber ansonsten sind sie ganz einverstanden mit ihrer Chefin. „Gotteslästerung“ nennt es Merkel, dass sich Terroristen anmaßten, als selbst ernannte „Stellvertreter Gottes“ andere Menschen zu töten und zu bestrafen. Lammert zieht die Kritik noch weiter: Scharf rügt er, dass ein Land wie Saudi-Arabien die Morde von Paris verurteile und zwei Tage später einen kritischen Blogger wegen angeblicher Beleidigung der Religion und der Autoritäten auspeitschen lasse. Solche Vorgänge mit einem Tabu zu beschweigen, helfe nicht weiter.

Der Bundestagspräsident lässt mit seiner viertelstündigen Rede auch sonst wenig übrig für die nachfolgenden Redner. Selbst zu „Pegida“ findet der CDU-Politiker klare Worte: Wer gegen eine „angebliche Islamisierung des Abendlandes“ mobilisiere, betreibe Demagogie statt Aufklärung.

Da bleibt dem Grünen-Fraktionschef Hofreiter kaum mehr als die Mahnung zu „Augenmaß“ in der Reaktion auf den Terror – was konkret meint: keine Vorratsdatenspeicherung. Und selbst der Linken- Fraktionschef Gregor Gysi kann nur noch seinerseits einen „Missbrauch“ der Anschläge durch die „Pegida“-Anführer geißeln, den anderen ein „Aufklärungsbündnis“ vorschlagen und selbstkritisch einräumen: „Beim Abbau von Ängsten haben wir alle versagt.“ Das Eingeständnis klingt weniger überraschend, seit man durch eine Studie weiß, dass unter den Demonstranten in Dresden auch allerlei früheres Linken-Klientel zu finden ist.

Weil er aber zehn Minuten Redezeit füllen muss, breitet Gysi einmal mehr die Theorie von der Schuld des Westens am Terrorismus aus. Dessen Wurzel liege in Hunger, Ungerechtigkeit und Feldzügen wie denen in Afghanistan oder gegen Saddam Hussein. „Ohne den falschen Krieg im Irak gäbe es den ,Islamischen Staat‘ nicht“, ruft er. Da meldet sich die Grüne Sylvia Kotting-Uhl zu Wort. Sie habe gegen jeden Bundeswehreinsatz gestimmt, auch gegen den in Afghanistan. Aber: „Der Terror war vor dem Einsatz in Afghanistan da!“ Gysi könnte antworten. Er verzichtet lieber. Robert Birnbaum

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