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Am Tag danach: Bundeskanzlerin Angela Merkel verspricht stark belasteten Städten mehr Geld für saubere Luft.

© dpa

Nach dem TV-Duell: Merkel hat der Auftritt nicht geschadet

Um den Umfragetrend drehen zu können, hätte Martin Schulz beim TV-Duell klar punkten müssen. Das aber ist dem SPD-Kanzlerkandidaten nicht gelungen. Ist die Wahl schon entschieden?

Von Robert Birnbaum

"Jetzt reichtet!“ murmelt Martin Schulz mehr für sich selbst ins Mikrofon. Dann zieht er das Jackett aus und krempelt die Hemdsärmel hoch. Der SPD-Kanzlerkandidat hat sich schnell in Hitze geredet im Festzelt auf dem „Gillamoos“. Das Volksfest im niederbayerischen Abensberg ist alljährlich Austragungsort eines Politiker-Synchronwettredens; ein Zelt weiter rockt am Montag Karl-Theodor zu Guttenberg die CSU, noch eins weiter gibt FDP-Chef Christian Lindner den Alleinunterhalter.

Für Schulz ist es der erste Auftritt nach dem TV-Duell. Das Zelt dampft vor Bier und Entschlossenheit. Hier fühlt er sich sichtlich wohler als gut zwölf Stunden vorher im nüchternen Studio H in Adlershof. Der Kandidat schunkelt rheinisch-bayerisch mit zur Blasmusik der Stadtkapelle Berching, die sie hier schon mal in „Bundeskanzlerkapelle“ umgetauft haben. Das Duell, ruft der SPD-Bezirkschef Christian Flisek, „ist für uns eine richtig gute Grundlage gewesen für die letzten drei Wochen“ im Wahlkampf. Das ist die amtliche Sicht. Die inoffizielle klingt deutlich gedämpfter: Wenn der Martin doch im Fernsehstudio sinnbildlich auch die Jacke ausgezogen hätte!

Tatsächlich sind beide Seiten nicht richtig glücklich über den Ablauf der Fernsehschlacht. „Viele wichtige Fragen“ seien gar nicht gestellt worden, rügt Schulz selber in Abensberg. In Angela Merkels Unterstützertruppe schimpfte schon am Abend vorher mancher darüber, dass sich das Duell zu großen Teilen um Themen von gestern drehte – wer wann was in der Flüchtlingskrise oder bei der Maut falsch gemacht hat oder nicht. Merkel hätte den Moderatoren die Regie aus der Hand nehmen und zu ihren Themen überleiten müssen, findet ein führender Christdemokrat. Mancher Sozialdemokrat hätte sich vom eigenen Chef die gleiche Chuzpe gewünscht.

Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz machte am Tag danach Wahlkampf auf dem Gillamoos-Volksfest in Abendsberg.
Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz machte am Tag danach Wahlkampf auf dem Gillamoos-Volksfest in Abendsberg.

© AFP

Da endet freilich die Gemeinsamkeit. Merkel hat der Auftritt offenbar nicht geschadet. Blitz-Umfragen sahen sie sogar mal mehr, mal weniger deutlich als Siegerin des TV-Schaukampfs. Für die CDU-Chefin ein ungewohnter Erfolg – über ein demoskopisches Patt gegen Peer Steinbrück ist sie bei ihren drei Duellen vorher nie hinausgekommen.

Schulz tröstet sich und seine Fans tags drauf mit Kleingedrucktem: „Bei den 18- bis 35-Jährigen liege ich mit 48 zu 23 Prozent vorne!“ Er kandidiert aber nicht fürs Jugendparlament, das hilft also wenig. Gemessen an den Erwartungen, die seine eigene Partei in die Fernsehdebatte als einen Wendepunkt im Wahlkampf gesetzt hatte, ist es sogar nahezu nichts. „Die Umfragen müssten wenigstens wieder in Richtung bergauf gehen“, hatte ein Spitzengenosse kurz vor dem Duell noch gehofft. Genau weiß man das erst in ein paar Tagen. Aber die Chancen auf eine Aufholjagd erscheinen gering nach einem Auftritt des Herausforderers, der in den eigenen Reihen eher in die Kategorie „solide“ eingestuft wird. In Schulnoten entspricht das in etwa einer Drei minus.

Beim Thema Türkei erwischte Schulz einen heiklen Punkt

Dabei erwies sich Merkel keineswegs als unantastbar. Am deutlichsten machte das Schulz’ Überraschungsangriff in Sachen Türkei. Dass der SPD-Chef kurzerhand einen jahrzehntelangen Kurs über Bord werfen und das Ende der EU-Beitrittsgespräche mit Ankara fordern würde, erwischte die CDU-Chefin unvorbereitet. In diesen Minuten fühlte sich das Duell an wie verkehrte Welt, war doch bisher ein Nein zur EU-Vollmitgliedschaft CDU-Programm. Merkel zog dann halb und halb nach: Wenn die SPD ihre Position ändere, müsse man darüber im Kreis der Europäer noch einmal reden.

Tatsächlich hat Schulz mit dem Thema einen heiklen Punkt erwischt. Nicht zufällig reklamierte am Montag im Nachbarzelt Guttenberg das Copyright für eine „privilegierte Partnerschaft“ mit der Türkei für CDU und CSU (sowie sich selbst). Die SPD habe das Konzept immer als „antieuropäisches Denken“ gegeißelt, ihr Kandidat sei also jetzt „in keiner Weise glaubwürdig“. Die Sorge war förmlich hörbar, dass Schulz die Union ausgerechnet auf einem Feld überholen und kaltstellen könnte, das für viele konservative Anhänger mit zu den letzten zählt, auf dem sie der Chefin immer noch aus vollem Herzen applaudieren konnten.

Andererseits birgt der Reißschwenk auch für Schulz Risiken. Viele Deutsch-Türken sind SPD-Wähler; sie könnten das Manöver leicht als Zurückweisung übel nehmen. Tags darauf brachten jedenfalls beide Seiten vorsichtige Korrekturen an. Schulz bekräftigte in Abensberg, als Kanzler werde er die Nachbarn in Europa um einen Abbruch der Gespräche bitten. Er schränkte die Forderung aber zugleich um ein entscheidendes Stückchen ein: „So wie die Türkei heute ist, die Türkei Recep Tayyip Erdogans“, diese Türkei der Willkür und eines „Gegenputschs“ also könne nicht EU-Staat werden – eine andere, demokratische, rechtstaatliche hingegen schon.

Merkel wiederum ließ durch ihren Sprecher Steffen Seibert ausrichten, vor der Wahl werde das Thema in Europa sowieso nicht akut, weil der nächste EU-Rat erst im Oktober wieder zusammenkommt. Dort werde die Kanzlerin darüber reden, „ob“ man die Gespräche abbricht. Wohlgemerkt: „ob“, nicht „dass“.

Ob wiederum das außenpolitische Geplänkel für den Wahlausgang eine Rolle spielen wird – zweifelhaft. Doch es zeigt, dass hinter der allseits zur Schau getragenen Siegeszuversicht beträchtliche Unsicherheiten lauern. Unter den Profis in der SPD-Führung ist der Glauben an einen Sieg nicht größer geworden – um den Umfragetrend der vergangenen Monate zu wenden, hätte Schulz vor den rund 16 Millionen Fernsehzuschauern klar punkten müssen. Dass Merkels Umfrage-Sieg im Duell womöglich bloß ein Spiegelbild ihres generellen Vorsprungs war, macht die Sache nicht tröstlicher.

Bei der Union aber trauen sie dem Braten nicht. Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet erinnerten am Sonntagabend in Adlershof daran, dass bei ihren Landtagswahlen an Saar und Ruhr die wahren Kräfteverhältnisse erst kurz vor dem Wahltag deutlich wurden. Und dann bleibt da noch die lästige Unbekannte namens AfD. Der „Schulz-Effekt“ im Frühjahr hatte als Nebenwirkung auch die Rechtspopulisten Zuspruch gekostet. Seit es so aussieht, als könne der SPD- Mann die Kanzlerin doch nicht stürzen, legen sie wieder zu.

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