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Im Handstreich hat Erdogan sich den Putschversuch zum Ausbau seiner Macht zunutze gemacht.

© Yagiz Karahan/Reuters

Nach dem Putsch in der Türkei: Erdogan ermächtigt sich selbst

Präsident Erdogan geht gestärkt aus dem abgewehrten Putsch hervor - und will allmächtig werden. Der Westen darf aber nicht alles hinnehmen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

So wie Wladimir Putin ganz sicher die Krim nicht überfallen hat, hat Recep Tayyip Erdogan nichts mit dem Putsch in seinem Land zu tun. Klingt hart, diese Kommentierung? Erstens kommt sie von Türkeikennern, auch von Türken selbst. Zweitens liegt in der bitteren Ironie trotzdem ein Gran Wahrheit. Und der wollen wir jetzt mal ins Auge blicken. Müssen wir auch, um unserer Werte willen.

Der Präsident, von dem wir hier reden, lässt sich Führer nennen. Schlimm genug, schon angesichts der Politik von Erdogan bisher. Aber wahr ist, dass er nicht nur Anhänger hat. Immer noch nicht. Trotz der jüngsten Ereignisse. So weit ist es noch nicht, obwohl Erdogan offenkundig alles daran setzt. Er will der Gesellschaft, ja, wie soll man sagen: Herr werden. 6000 Verhaftungen sind es inzwischen, ein Ende ist nicht abzusehen, Richter sind zu Tausenden aus ihren Ämtern entfernt, Militärangehörige, andere. Eine Welle von „Säuberungen“ rollt durchs Land, und genau dieses Wort, „Säuberungen“, benutzt Erdogan selbst. Das hört sich an wie weiland.

Erdogan nennt den Putsch ein „Geschenk Gottes“. Geht es noch zynischer? Damit lässt er alle Vermutungen ins Kraut schießen, er habe von einem bevorstehenden Putschversuch gewusst, nur vielleicht nicht auf die Minute genau. Immerhin Indizien gibt es. Dass in der Armee Beförderungen anstanden, wusste im Militär jeder. Und dass Erdogans Leute auf jeden Fall die von Anhängern seines Erzfeindes Gülen verhindert wollten, auch. Erdogan selbst will jetzt das „Gülen-Geschwür“ beseitigen. Also ... können die Verschwörungstheorien auch wahr sein.

Der Putsch ist abgewehrt. Das ist gut. Militär ist keine Lösung. Der Kampf gegen Erdogans Politik – oder genauer: gegen seinen Kurs Richtung Totalität – muss an der Wahlurne gewonnen werden. Aber dazu braucht es Pluralität in den Meinungen und bei den Parteien. Es braucht Menschenrechte und Bürgerrechte. Stattdessen schreitet die AKP-isierung des Landes voran.

Die Justiz, das Militär, die Polizei, die Medien, vor allem die werden fortgesetzt eingeschüchtert. Erdogan hat nach dem Putsch gleich geschaltet. Jetzt kommt der eigentliche Putsch, der gegen die Republik – auch wieder ein Kommentar von Türkeikennern. Und am Ende ist der Präsident allmächtig. Nicht dass ein Ermächtigungsgesetz in der Mache ist.

Das alles bei einem Nato-Partner, einem Mitglied des Europarats, einem Anwärter auf die EU-Mitgliedschaft. Gerade deshalb ist nicht alles hinnehmbar, was in der Türkei geschieht. Wenn wirklich noch die Todesstrafe wieder eingeführt wird, wie der Premierminister von Erdogans Gnaden laut überlegt, spätestens dann ist es Zeit für ein die Fronten klärendes Gespräch. Appeasement beeindruckt Erdogan nicht. Darum in einer Sprache, die er versteht: klare Ansagen, welche Folgen das hätte und welche Sanktionen möglich wären. Als Anhalt: Erdogan braucht die Nato für die Sicherheit und Europa für die Wirtschaft.

Den Tod von fast 300 Menschen während des, wie auch immer zu beurteilenden dilettantischen Staatsstreiches, als"Geschenk Gottes" zu bezeichnen, ist nicht nur eine politisch-menschliche Geschmacklosigkeit, sondern eine Gotteslästerung des angeblich gläubigen Moslems Erdogan.

schreibt NutzerIn civis42

Sage keiner, man könne mit ihm nicht ins Gericht gehen. Gut, vielleicht erstmal unter Ausschluss der Öffentlichkeit, aber getan werden muss es. Um der Werte willen. Da wird sich doch einer oder eine finden, Obama, Hollande, Merkel. Oder Boris Johnson will sich beweisen, der mit seinen türkischen Wurzeln. Es geht schließlich um die Erhaltung der Demokratie.

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