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War was? Nach dem Mord am Regimekritiker Jamal Khashoggi war die Empörung über Kronprinz Mohammed bin Salman groß. Davon ist nicht viel geblieben.

© SPA/dpa

Nach dem Mord an Jamal Khashoggi: „Der Königssohn scheint mächtiger denn je“

Ein Gespräch mit dem Experten Stephan Roll über Mohammed bin Salmans wachsende Macht in Saudi-Arabien und einen Staatsfonds von 300 Milliarden Dollar.

Stephan Roll leitet bei der Stiftung Wissenschaft und Politik die Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika. Wer glaubt, der saudische Thronfolger würde als "wohlmeinender autoritärer Machthaber" handeln, ist seiner Ansicht nach "naiv".

Herr Roll, acht Monate nach dem Mord am Regimegegner Jamal Khashoggi scheint der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman in Deckung gegangen zu sein. Wie mächtig ist er überhaupt noch?

Ich kann nicht erkennen, dass der Thronfolger in Deckung geht. Auf internationaler Bühne tritt bin Salman zwar weniger in Erscheinung. Denn sein Ansehen hat durch den Mord gelitten. Aber in Saudi-Arabien selbst ist der Prinz sehr präsent. Und geschwächt ist er auch nicht. Vielmehr scheint mir der Königssohn mächtiger denn je zu sein. Nach dem Mord hat die saudische Elite Angst vor ihm.

Berechtigterweise?

Ja. Keiner kann sich heute in Saudi-Arabien sicher sein. Der Staat setzt auf Kontrolle – und der Staat wird von bin Salman kontrolliert. Andere Machtzentren sind für mich nicht erkennbar.

Was bedeutet das für die von bin Salman initiierte „Vision 2030“, mit der er sein Land grundlegend modernisieren will?

Man kann sich schon fragen: Wie erfolgreich kann ein solches Reformprogramm sein, wenn zugleich der Staat ein zutiefst repressiver ist? Da sind Zweifel berechtigt. Aber die Vision hat vorrangig einen ganz anderen Zweck.

Welchen?

Bin Salmans Herrschaft zu konsolidieren. Der Glauben, hier würde ein wohlmeinender autoritärer Machthaber handeln, ist naiv. Übrigens: Ob die Vision vom Prinzen stammt, sei dahingestellt. Niedergeschrieben wurde sie jedenfalls maßgeblich vom Beratungsunternehmen McKinsey. Sicherlich soll mit der „Vision 2030“ die Abhängigkeit vom Öl beendet, das Land geöffnet werden. Doch letztendlich werden die Machtverhältnisse in der Wirtschaft auf den Kronprinzen ausgerichtet.

Inwiefern?

Der Thronfolger bekommt über die „Vision“ direktere Kontrolle über Teile der Staatsfinanzen und die Wirtschaft. Er hat das Sagen, wenn es um Investitionen im Ausland geht oder die Vergabe von Aufträgen. Das hat vor allem mit dem Herzstück der „Vision 2030“ zu tun: dem Aufbau eines saudischen Staatsfonds, des Public Investment Fund.

Was verbirgt sich hinter dem Staatsfonds?

Er ist im Grunde eine fiskalische Parallelstruktur. Wir haben auf der einen Seite den Staatshaushalt, in den alle Einnahmen des Staates hineinfließen und mit denen alle staatlichen Aufgaben finanziert werden. Auf der anderen Seite entsteht der Staatsfonds, der sich aus verschiedenen Kanälen speist und allein dem Kronprinzen untersteht. Er ist also derjenige, der letztlich entscheidet, was mit den Mitteln passiert. Da gibt es weder Kontrolle noch Transparenz. Das ist zwar nicht neu für die absolute Monarchie Saudi-Arabien. In der Vergangenheit wurde die Kontrolle über Staat und Wirtschaft aber deutlich stärker über die große Herrschaftsfamilie und nicht über ein einzelnes Mitglied ausgeübt.

Saudi-Arabien ist der beste Kunde der amerikanischen Rüstungsindustrie. US-Präsident Donald Trump und Kronprinz Mohammed bin Salman wollen daran nichts ändern.
Saudi-Arabien ist der beste Kunde der amerikanischen Rüstungsindustrie. US-Präsident Donald Trump und Kronprinz Mohammed bin Salman wollen daran nichts ändern.

© Mandel Ngan/AFP

Wie viel Geld steckt im Staatsfonds?

Er soll bis zum Jahr 2030 zwei Billionen US-Dollar schwer sein. Dann wäre der Staatsfonds der größte der Welt. Heute stecken vermutlich bereits mehr als 300 Milliarden US-Dollar in ihm. Davon dürften schätzungsweise 100 Milliarden im Ausland investiert sein. Das Ganze könnte schlagartig anwachsen, wenn dem Fonds der staatliche Ölkonzern Saudi Aramco unterstellt wird. Der ist mit Abstand die größte Einnahmequelle der Monarchie. Daraus wird sich künftig der Staatsfonds finanzieren.

Ist der Staatsfonds auch ein Herrschaftsinstrument?

Definitiv! Schon heute ist erkennbar, dass der Fonds über Beteiligungen der wichtigste Player im saudischen Bankensektor ist. Darüber könnte er künftig Einfluss zum Beispiel auf die Kreditvergabe im Unternehmenssektor nehmen. Aber der Fonds hat zudem eine erhebliche außenpolitische Bedeutung.

Welche?

Über den Staatsfonds wird massiv im Ausland investiert. Dadurch entstehen nun mal Abhängigkeiten.

Stephan Roll leitet bei der Stiftung Wissenschaft und Politik die Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika. Er hat gerade die Studie "Ein Staatsfonds für den Prinzen. Wirtschaftsreformen und Herrschaftssicherung in Saudi-Arabien" vorgelegt.
Stephan Roll leitet bei der Stiftung Wissenschaft und Politik die Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika. Er hat gerade die Studie "Ein Staatsfonds für den Prinzen. Wirtschaftsreformen und Herrschaftssicherung in Saudi-Arabien" vorgelegt.

© Promo

Was folgt daraus für die europäische und deutsche Wirtschaft?

Wir sehen momentan eine Form von Abhängigkeit vor allem in den USA. Saudi-Arabien ist der größte Käufer amerikanischer Rüstung. Der Staatsfonds spielt dabei eine große Rolle: Sein Tochterunternehmen Sami ist für Joint-Ventures mit ausländischen Rüstungsfirmen zuständig. Das sichert bin Salman direkten Einfluss. Ähnliches kann passieren, wenn sich der Staatsfonds noch mehr in Europa engagiert. In Deutschland ist bereits indirekt in kleine Firmen investiert worden.

Heißt das, der saudische Prinz sichert sich im Ausland viel Einfluss mithilfe von sehr viel Geld?

Das sehe ich so. Nach dem Mord an Khashoggi war die Empörung zunächst groß. Das galt auch für die Wirtschaft. Doch davon ist wenig geblieben. Das heißt im Klartext: Wirtschaftliche Macht wird in politische umgewandelt. Offene Kritik an Mohammed bin Salman dürfte somit künftig eher weniger werden.

Das Gespräch führte Christian Böhme.

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