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Weiße Kreuze erinnern an 26 Menschen, die Devin Patrick Kelley am 5. November 2017 während eines Sonntagsgottesdienstes erschoss.

© Scott Olson/AFP

Nach dem Massaker in Sutherland Springs: Der Attentäter von Texas - ein fanatischer Atheist?

In Amerika tobt eine Deutungsschlacht, befeuert von rechten Medien, über Devin P. Kelley, der in einer Kirche 26 Menschen ermordet hatte. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Malte Lehming

Warum geht ein Mann an einem Sonntag in die Kirche, brüllt „everybody dies motherfuckers“ und ermordet mit einem halbautomatischen Gewehr 26 Menschen, davon die Hälfte Kinder? Der Mann war 26 Jahre alt, sein Name Devin Patrick Kelley, und er starb am Ende selbst. Verübt hat er das Massaker am vergangenen Sonntag in der First Baptist Church in Sutherland Springs in Texas. Es war das Attentat mit den meisten Toten, das je in einer amerikanischen Kirche begangen wurde.

Allerdings war es weder das erste noch das einzige. Erinnert sei an die Unitarian Universalist Church in Knoxville, Tennessee (2008, zwei Tote), die Emanuel African Methodist Episcopal Church in Charleston, South Carolina (2015, neun Tote), die Burnette Chapel Church of Christ in Antioch, Tennessee (September 2017, eine Tote). Die Attentäter hatten jeweils unterschiedliche Motive, sie waren psychisch gestört, Rassisten – oder wollten sich an Rassisten rächen.

Im jüngsten Fall ist das Motiv unklar. Kelley diente einige Jahre in der US Air Force, war zeitweise in psychiatrischer Behandlung, wegen häuslicher Gewalt gegen seine Ehefrau und seinen Stiefsohn zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt worden, hätte aufgrund der Vorstrafe keine Waffe besitzen dürfen, wurde erst degradiert, dann unehrenhaft aus der Armee entlassen, misshandelte seinen Hund und belästigte Ex-Freundinnen, stritt sich auch mit seiner zweiten Ehefrau, vor allem mit deren Eltern. Die Schwiegermutter erhielt Drohungen von ihm per SMS.

Der Attentäter erschoss auch die Großmutter seiner Ehefrau

Frau und Schwiegermutter gingen oft in die First Baptist Church, waren aber am vergangenen Sonntag nicht anwesend. Kelley erschoss allerdings die Großmutter seiner Ehefrau. Laut Strafermittlungsbehörden verübte er das Massaker weder aus rassistischen noch religiösen Gründen. Vermutet werde ein familiäres Motiv.

Soweit die Fakten. Dass im Internet auch viel Unsinn verbreitet wird, überrascht nicht. So ist das heute eben. Kelley sei zum Islam konvertiert, heißt es dort, sei Demokrat, habe mit der Antifa sympathisiert. Gestreut werden solche Gerüchte von extrem rechten Gruppen, die damit einerseits von der Waffenbesitzdebatte ablenken, andererseits ihr Feindbild nähren wollen. Unter der Überschrift „Antifa, Moslem, Demokrat: Diese Fake News kursieren derzeit über den Texas-Attentäter“ haben die Yahoo-Nachrichten das Lügen-Panoptikum dokumentiert.

Keine Fake News dagegen ist, dass Kelley sich seit ungefähr drei Jahren zu einem fanatischen Atheisten entwickelt hat. Bekannte von ihm berichten, dass sie sich deswegen auf Facebook von ihm getrennt hätten. Eine von ihnen, Nina Rose Nava, sagt: „Er sprach immer darüber, wie dumm die Menschen seien, die an Gott glauben, und er predigte fortwährend seinen Atheismus.“ Prompt lauteten die Schlagzeilen in rechten Medien: „Texas church shooter was a militant atheist“ (The New York Post), „Report: Texas church shooter was atheist, thought Christians ,stupid'“ (Breitbart), „Killer ,Preached Atheism'“ (Drudge Report). Wer bei Google den Namen „Devin Kelley“ und den Begriff „atheist“ eingibt, findet inzwischen weit mehr als 100 000 Einträge.

Das Bild zeigt Devin Patrick Kelley und wurde vom Texas Department of Public Safety zur Verfügung gestellt.
Das Bild zeigt Devin Patrick Kelley und wurde vom Texas Department of Public Safety zur Verfügung gestellt.

© Uncredited/Texas Department of Public Safety/dpa

Die Deutungsschlacht tobt täglich heftiger. Die konservative „Washington Times“ lästert über „Mainstream-Medien“, die es „geliebt hätten, aus Kelley einen glühenden Christen, auf die Bibel pochenden Republikaner oder Tea-Party-Anhänger“ machen zu können. Stattdessen sei er ein Atheist ohne moralischen Kompass. Die liberale „New Republic“ kontert mit dem Vorwurf, die Opfer Kelleys würden von rechten Kreisen als christliche Märtyrer dargestellt, um davon abzulenken, dass das Recht auf Waffenbesitz besonders von weißen Evangelikalen verteidigt wird. Auf der Webseite „getreligion“ wird gefragt, warum die Ermittlungsbehörden so absolut sicher sein könnten, dass Kelleys Tatmotiv keine antireligiöse Komponente enhalten habe, zumal ja weder Ehefrau noch Schwiegermutter zur Tatzeit in der Kirche gewesen seien. „Um es hart auszudrücken: Kelley hasste Christen. Das bewies er in sozialen Medien.“

Ein Täter, ein Verbrechen, zwei Deutungswelten, in denen nur noch wahrgenommen wird, was die eigene Ideologie stützt: Drastisch illustriert der Fall Kelley, wie jene Filterblasen funktionieren, die zum Kennzeichen polarisierter Debatten geworden sind. Was nicht sein darf, das nicht sein kann. Auf der Strecke bleibt jene Neugier, die von der einfachen Frage beflügelt wird, warum etwas geschah und ob nicht alles auch anders gewesen sein könnte.

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