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Der britische Brexit-Minister David Davis (links) und EU-Chefverhandler Michel Barnier.

© imago/ZUMA Press

Nach dem EU-Gipfel in Brüssel: Der Brexit-Poker kann beginnen

Bald könnte es zwischen London und den EU-27 ans Eingemachte gehen. EU-Chefverhandler Barnier sollte sein Blatt nicht vorschnell aus der Hand geben. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Es ist die Nacht der langen Messer. Nach stundenlangen zähen Verhandlungen stimmt der britische Brexit-Minister David Davis einer Berechnungsmethode zu, aus der sich die britische EU-Austrittsrechnung ergibt. EU-Chefverhandler Michel Barnier hat sich nicht in allen Punkten durchsetzen können, was wiederum der britischen Regierungschefin Theresa May in ihrer Heimat bei der Gesichtswahrung hilft. So könnte es laufen in den kommenden Wochen vor dem nächsten EU-Gipfel im Dezember, wenn London und die EU-27 endlich vorrücken wollen aufs nächste Feld: die Gespräche über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen.

Es gehört zur Dramaturgie von Verhandlungen wie im Fall der Brexit-Gespräche, dass sich lange Zeit erst einmal nichts bewegt, bevor öffentlichkeitswirksam eine Lösung präsentiert wird. Allerdings schleppen sich die Brexit-Gespräche inzwischen schon ziemlich lange hin, nämlich seit Juni. In der Frage, wie sich Londons finanzielle Verpflichtungen beim EU-Austritt beziffern lassen, sind beide Seiten nicht weitergekommen.

Einige wollen es auf das "No deal"-Szenario ankommen lassen

Der ungewöhnlich lange Stillstand hängt mit einem ungewöhnlichen Gezerre in London zusammen. Theresa Mays Tories sind immer noch unentschieden, welchen Kurs sie beim Brexit einschlagen sollen. In den Köpfen einiger Brexiteers geistert weiterhin die Überlegung herum, dass man es ruhig auf ein Scheitern der Verhandlungen ankommen lassen und das Risiko in Kauf nehmen könne, am Ende ohne einen Deal mit der der Europäischen Union dazustehen.

Wie sehr May zu Hause unter Druck steht, machte sie auch beim jüngsten EU-Gipfel deutlich. Sie appellierte an die übrigen Staats- und Regierungschefs, dass die Brexit-Vereinbarung so gestaltet werden müsse, dass sie damit auch den britischen Wähler unter die Augen treten könne. Das war ein deutlicher Wink mit dem Zaunpfahl. Mays Appell bedeutet so viel wie: Kommt mir bitte entgegen, sonst kann ich für nichts garantieren!

Falls es bei den Finanzverhandlungen zwischen Barnier und Davis in den nächsten Wochen tatsächlich ans Eingemachte gehen sollte, so wird sich auch Brüssel flexibel zeigen müssen. Für Barnier wird es ein Gebot der politischen Klugheit sein, seine Karten nicht über Gebühr auszureizen. Wenn in Brüssel davon die Rede ist, dass die britische EU-Austrittsrechnung am Ende zwischen 60 und 100 Milliarden Euro betragen könnte, dann illustriert das den vorhandenen Spielraum.

Würde irgendein Deal bei der "Sun" Gnade finden? Wohl kaum

Unterm Strich täte sich die EU allerdings auch keinen Gefallen, wenn Barnier das Blatt völlig aus der Hand geben würde. Mag sein, dass May sich vor der Reaktionen fürchtet, die eine Austrittsvereinbarung in ihrer Heimat heraufbeschwören könnten. Andererseits: Ist angesichts des anti-europäischen Meinungsklimas in Großbritannien überhaupt ein „Deal“ vorstellbar, der beispielsweise bei der Boulevardzeitung „Sun“ Gnade finden könnte? Wohl eher nicht.

Hinzu kommt, dass auch die 27 verbleibenden EU-Staaten nichts zu verschenken haben. Der Brexit wird ein milliardenschweres Loch in die EU-Kasse reißen. Und wo es Haushaltslöcher gibt, da wächst selten die Bereitschaft zu einem bedingungslosen Kompromiss.

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