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Frauen und Kinder aus dem abgebrannten Lager Moria demonstrieren.

© Imago/ANE Edition/Panagiotis Balaskas

Nach dem Brand in Moria: Deutschland ist Europas Sonderfall

Alle Parteien in Berlin rufen nach einer europäischen Lösung. Wie aber denken andere EU-Länder über die Notaufnahme der Flüchtlinge? Eine Analyse.

In Deutschland ist die Lage nach der Brandstiftung im griechischen Flüchtlingslager Moria seit Tagen das herausragende Thema der Öffentlichkeit. Fernsehsender bringen Sondersendungen. Kommunen und Bundesländer äußern ihre Bereitschaft, Flüchtlinge von dort aufzunehmen.

Die Bundespolitiker von der Union über die SPD bis zu den Grünen agieren zumeist vorsichtiger als die kommunale und regionale Basis ihrer Partei. Eine „europäische Lösung“ müsse her, der nationale Alleingang von 2015 dürfe sich nicht wiederholen. Die Grüne Katrin Göring-Eckardt benutzt die gleiche Formel wie Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU): „Humanität und Ordnung“. Sie scheut ebenso wie Annalena Baerbock bei „Anne Will“ davor zurück, einen deutschen Alleingang bei der Aufnahme zu fordern.

Aber: Ist eine europäische Lösung heute wahrscheinlicher als 2015? Wie gehen andere EU-Länder mit der Situation in Moria um? Welchen Stellenwert hat die Notlage in den Nachrichten, wie groß ist die Aufnahmebereitschaft?

Österreich und Schweden sind nicht an Berlins Seite

Schweden und Österreich hatten Angela Merkel 2015 anfangs unterstützt. 2020 nicht mehr. „Schweden ist mit sich selbst beschäftigt“, sagt Lotta Lundberg, Korrespondentin des „Svenska Dagbladet“. Die wichtigsten Themen sind Corona und die Clan-Kriminalität sowie im Ausland Trump und Brexit.

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2015 hatte Schweden die meisten Flüchtlinge pro Kopf aufgenommen. Ihre Integration gilt als gescheitert, ebenso die gesamte europäische Flüchtlingspolitik. „Wir schaffen das nicht“, sei die Stimmung. „Unter Druck“ würde sich Schweden wohl an einer europäischen Lösung beteiligen. Wenn die Deutschen , Norweger und Dänen mitmachen, würden die Schweden sich schämen, es nicht zu tun.

In Schweden gelten Aufnahme und Integration als gescheitert. Migranten 2015 auf einer schwedischen Autobahn.
In Schweden gelten Aufnahme und Integration als gescheitert. Migranten 2015 auf einer schwedischen Autobahn.

© REUTERS

In Österreich gehört Moria zu den drei wichtigsten Themen, sagt Ewald König, Leiter des „Berliner Korrespondentenbüros“. Aber wegen der innenpolitischen Folgen. Aufnehmen oder nicht sei die Streitfrage in der türkis-grünen Koalition unter Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Die Grünen trauten sich nicht, die Koalitionsfrage zu stellen, weil sie damit die populistische FPÖ wieder ins Spiel bringen.

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Auch Österreich hat seit 2015, gemessen an seiner Bevölkerung, mehr Flüchtlinge aufgenommen als Deutschland. Kurz profiliere sich mit einer Doppelbotschaft aus Humanität und Härte. Er schickt Zelte mit Heizung und Hygieneeinrichtungen, Ärzte und Sanitäter nach Moria. Und warnt zugleich vor einer Aufnahme aller Flüchtlinge von dort in anderen EU-Staaten. Denn das wäre ein Signal, dass man nur Lager abfackeln müsse, um die Aufnahme zu erzwingen.

Frankreich will helfen, Italien sieht sich als Opfer

Für Frankreich ist Moria ein herausragendes Thema, wird aber nicht so intensiv und emotional diskutiert wie in Deutschland, sagt Pascal Thibaut, Korrespondent von Radio France Internationale. Es gebe keine vergleichbare Bewegung von Kommunen, die aufnehmen möchten. Präsident Emmanuel Macron wolle aber mit Merkel eine „Koalition der Willigen“ organisieren.

Italien sagt: Wir haben schon mehr als genug aufgenommen.
Italien sagt: Wir haben schon mehr als genug aufgenommen.

© Alberto PIZZOLI/AFP

In Italien zählt Moria zu den zehn wichtigsten Themen, meint Tonia Mastrobuoni von der Zeitung „Repubblica“, nicht aber zu den ersten drei. Die seien das Verfassungsreferendum, die nächsten Wahlen und die Lage in den Schulen. Italien sieht sich selbst nicht in der Pflicht, es habe bereits mehr als genug Flüchtlinge aufgenommen. Es begreift sich wie Griechenland als Opfer der fehlenden europäischen Migrationspolitik. Deutsche und französische Anstöße werden als hilfreich betrachtet. Die Bildung einer Koalition der Willigen sei aber keine Dauerlösung.

Abschottung ist der Trend in Dänemark und den Niederlanden

Dänemark und die Niederlande verfolgen seit Jahren eine restriktivere Migrationspolitik als Deutschland. Moria sei ein wichtiges Auslandsthema, aber „nicht Frontpage“, sagt Uffe Dreesen, Berlin-Korrespondent von „TV 2 Danmark“. Flüchtlinge werden eher als Problem gesehen, weniger als eine Aufgabe, die man lösen müsse. Es gebe keine breite Bewegung, die ihre Aufnahme fordert. Das Land beschweige das Thema lieber, als Politiker nach ihrer Meinung zu fragen. „Dänemark hat keine Lust auf eine europäische Lösung.“

In den Niederlanden sei Abschottung das Ziel der regierenden Konservativen. Konflikte, die aus der kolonialen Vergangenheit resultieren, wie der „Zwarte Piet“ und die Frage, ob das Königshaus die Goldene Kutsche benutzen dürfe, etwa bei der Fahrt zur Eröffnung des parlamentarischen Jahres, bewegten die Medien mehr als Moria, erläutert Rob Savelberg von der Zeitung „De Telegraaf“.

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Die grüne Bürgermeisterin von Amsterdam und der aus Marokko stammende Bürgermeister von Rotterdam drängten aber auf Flüchtlingsaufnahme. Der Kompromiss: Die Niederlande sind bereit, 500 Minderjährige und 500 weitere Flüchtlinge aufzunehmen. Unter einer Bedingung: Sie kommen nicht zusätzlich, sondern werden auf das Kontingent angerechnet, zu dem das Land schon vor dem Brand bereit war.

Die neuen EU-Länder im Osten nehmen nicht auf

In Polen kann man über Stunden die Nachrichten verfolgen, ohne ein einziges Wort über Moria zu erfahren. Auch in Tschechien ist die Notlage nur ein Randthema, sagt Pavel Polak von der Tageszeitung „Denik N“. Über den Brand wurde berichtet, nicht aber, was mit den Betroffenen geschehen soll. Die generelle Haltung, auch bei den mitregierenden Sozialdemokraten, sei: Wir nehmen nicht auf.

Ähnlich ist die Stimmung in anderen EU-Staaten östlich von Deutschland: der Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Freilich ist auch offen, wer von den Migranten überhaupt dort Aufnahme finden möchte.

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