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Alle Opfer waren Kinder von Einwanderern - und das Motiv des Täters von Hanau war nicht rechtsextremistisch? Das legt ein BKA-Papier nahe.

© AFP

Nach dem Anschlag von Hanau: Die zweifelhafte Rassisten-Definition des BKA

Weil Tobias R. zu keiner rechtsextremistischen Gruppierung gehörte, zweifelt das Bundeskriminalamt am Tätermotiv Rassismus. Wie fatal! Ein Zwischenruf.

Ein Zwischenruf von Barbara John

Wer denkt jetzt noch an Hanau? Vor gerade sechs Wochen hat der 42 Jahre alte arbeitslose Bankkaufmann Tobias R. neun Menschen gezielt erschossen, mitten in der Stadt. Acht junge Männer und eine Frau. Bei allen handelt es sich um die erwachsenen Nachkommen  von Einwanderern aus verschiedenen europäischen Ländern. Im Haus des Täters fand die Polizei  ihn und seine 73-jährige Mutter tot vor; er hatte sie vor seinem Selbstmord ebenfalls erschossen.

Alle Informationen, die von den Sicherheitsbehörden zusammengetragen wurden, wiesen den Täter als einen von Verfolgungswahn Getriebenen aus mit einem geschlossenen rassistisch geprägten Weltbild. Dazu gehört die Auswahl der Opfer, die im Internet verbreiteten Botschaften wie die, dass „nicht jeder, der einen deutschen Pass besitzt" reinrassig und wertvoll sei, und Vernichtungsdrohungen gegenüber bestimmten Völkern.

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Vor wenigen Tagen machte allerdings eine andere Deutung der Tätermotivation die Runde, nachdem WDR, NDR und "Süddeutsche Zeitung" Einblick gewannen  in den gerade entstehenden Bericht des Bundeskriminalamts (BKA) über den Hanauer Terroranschlag. Danach seien  die Mordtaten zwar als rassistisch einzustufen, die Motive des Täters dagegen nicht, denn er sei in keiner seiner zahlreichen Videodateien als Anhänger rechtsextremistischer Ideologien hervorgetreten, war nicht aktiv in Netzwerken rechter Kreise. Es gäbe keine Anzeichen, dass er Gefolgsmann einer rechtsextremistischen Gesinnung gewesen sei. Er habe, nach eigener Erklärung, die Opfer strategisch ausgesucht, um maximale Aufmerksamkeit für seine Anliegen und für seinen Blick auf die Wirklichkeit zu erreichen. 

Fielen R. die Opfer ganz zufällig ein? Sicher nicht!

Sollte das nicht als Offenbarung verstanden werden, insbesondere beim BKA selbst, wie tief rassistisches Denken schon eingesickert ist, speziell in die Wahnwelt der Anhänger von Verschwörungsmythen? Rassismus ist eine der Mächtigsten. Tobias R. suchte sich für seinen Amoklauf  Personen als Opfer aus, die er generell als nicht-wertvoll  ansieht („Ausländer“) ansah - aber als wertsteigernd. für seine menschenverachtende Botschaft. Fällt ihm das ganz zufällig ein? Kaum. Er hat erkannt, dass Rassismus Teil des politischen  Klimas ist. Das war bei den NSU-Tätern nicht anders. Es ist schon was dran, wenn es heißt, die rassistische Botschaft suche sich die Anfälligen. Das weiß auch die AfD, aber nimmt es nicht ernst.

Für die Sicherheitsbehörden bedeutet dieser Fall,  dass sie endlich ihre viel zu eng geführten Definition aufgeben muss, wer als rechtsextremistischer Gefährder zu identifizieren  und zu beobachten ist und wer nicht. Das sind doch  längst nicht nur diejenigen, die einschlägigen, organisierten Gruppen oder Parteien angehören oder Bekennerschreiben abgeben, möglichst mit Nazisymbolen verziert. Die Grenzen zwischen politischen Organisationen und politisierten Einzeltätern, darunter auch Wahnkranken,  verschwimmen immer mehr. Das zu erkennen und sich darauf einzustellen, ist ein Gebot der Stunde.   

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