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Trauer und Trotz nach dem Anschlag von Berlin

© dpa/Michael Kappeler

Nach dem Anschlag in Berlin: Wie kann man mit der Angst umgehen?

Nach einem Anschlag wie jetzt auf dem Breitscheidplatz kommt bei vielen Menschen die Angst. Wie viel davon ist nützlich – und ab wann wird sie zum Problem?

Viele Menschen empfinden Angst, nicht erst seit dem Anschlag in Berlin. Im August dieses Jahres gaben 76 Prozent der Deutschen an, dass sie Angst vor Terroranschlägen im eigenen Land haben. Im Januar 2015, nach den Anschlägen auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ in Paris, waren es noch 45 Prozent gewesen. Die Gefahr schien räumlich noch ein Stück entfernt. Wie würden die Umfragewerte heute aussehen?

Je mehr und je detaillierter über einen Anschlag berichtet werde, als desto größer schätzten die Bürger die Gefahr ein, warnte schon im vergangenen Sommer der Psychologe und Risikoforscher Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Seine Befürchtung ist, dass Menschen sich dadurch neuen, eigentlich unnötigen Gefahren aussetzen. Das Paradebeispiel: Nach dem 11. September 2001 sind schätzungsweise 1600 Menschen im Straßenverkehr umgekommen, weil sie sich in keinen Flieger mehr setzen wollten. Gigerenzer fordert seit Jahren, Risikokompetenz schon in der Schule zu lehren.

Anschläge, die plötzlich mitten in größere Menschenmengen hinein verübt werden, haben allerdings eine besondere emotionale Qualität, die es schwer macht, kühl abzuwägen. Nach der Gewalt, die eine umschriebene Menschengruppe direkt und brutal trifft, schlägt die Angst zu. Und das sozusagen flächendeckend.

Angst - ein guter Ratgeber?

Eine starke Emotion. Wie soll man mit ihr umgehen? Bis zu welchem Punkt ist sie hilfreich, ab wann nimmt sie so überhand, dass das krank machen kann?

Einerseits sind Angst- und Panikstörungen ein umschriebenes psychiatrisches Krankheitsbild. Andererseits sprechen Denker wie der Philosoph Hans Jonas von der „Heuristik der Furcht“ und loten aus, inwiefern sie ein guter Ratgeber sein kann. Sicher ist es eine Frage des Maßes. „Doch eine eindeutige Grenze wurde nie gezogen“, sagt Bettina Hitzer. Die Historikerin arbeitet am MPI für Bildungsforschung im Forschungsbereich „Geschichte der Gefühle“ und forscht seit Jahren zur Frage, wie die Angst in verschiedenen geschichtlichen Epochen gesehen und bewertet wurde.

In einer der Untersuchungen des Forschungsbereichs geht es darum, wie mit Angst im Laufe der Zeit in Kinderbüchern und in Erziehungsratgebern umgegangen wurde. „Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts herrschte die Anschauung vor, dass der Weg über die Angst gebraucht wird, um zum Mut zu kommen“, berichtet die Forscherin. Nach dem Grauen des Ersten Weltkriegs sei dann die Befürchtung entstanden, man könne Heranwachsende dadurch zu stark verunsichern.

Später, ab den 40er Jahren, wurde Angst wiederum als etwas zutiefst Menschliches verstanden. In Astrid Lindgrens „Mio mein Mio“ oder in Tolkiens „Der kleine Hobbit“ überwinden eher furchtsame, verletzliche Kinder in märchenhaften Situationen ihre Angst und werden dadurch zu den eigentlichen Helden, mit denen sich die Leser identifizieren können, weil sie für das Gute kämpfen. In den 80er Jahren werden die Szenarien um Atomkrieg und Reaktorkatastrophe dann in den Büchern von Gudrun Pausewang erschreckend realistisch – und bewusst politisch.

Die Anschläge, die uns seit dem 11. September 2001 umtreiben, sind jedoch anders geartet. Sie verstören, weil der Einzelne keine konkreten Gegenmaßnahmen treffen kann und weil kein Ende abzusehen ist. Tagelange ausführliche Berichterstattung birgt sicher die Gefahr in sich, Ängste zu verstärken. Die Dinge zu bereden, Heranwachsenden und sich selbst das Handwerkszeug für eine rationale Bewertung der Risiken zu verschaffen, wirkt dem entgegen.

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