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Nico Semsrott, Abgeordneter im Europäischen Parlament, hat "Die Partei" verlassen.

© Philipp von Ditfurth/dpa

Nach Austritt des EU-Abgeordneten Nico Semsrott: Auch „Die Partei“ steht nicht über den Dingen

Eigentlich will „Die Partei“ der Politik den Spiegel vorhalten. Doch sie kämpft mit ähnlichen Problemen wie die etablierte Konkurrenz.

Es kommt nicht oft vor, dass sich Martin Sonneborn öffentlich zerknirscht zeigt. Eigentlich pflegt der Satiriker und Europaabgeordnete der Spaßpartei „Die Partei“ ein ganz anderes Image: Frech und angriffslustig tritt er in der Regel auf – als einer, der alles nicht so ernst nimmt. „Mahlzeit, Frau Merkel!“, begrüßte er einmal die Kanzlerin in einer Rede vor dem EU-Parlament.

In dieser Woche sah sich Sonneborn gezwungen, andere Töne anzuschlagen, ernst und ohne „Zwinker-Smiley“, wie er ihn sonst in seine Beiträge in den sozialen Medien einbaut. Er habe die Wirkung seiner jüngsten PR-Aktion „unterschätzt“, schrieb er bei Twitter. Ihm sei nicht bewusst gewesen, „dass sich davon jemand rassistisch diskriminiert fühlen könnte“. Das tue ihm leid.

Gemeint war damit ein vorgeblich in China gedrucktes T-Shirt mit der Aufschrift „Au Widelsehern, Amlerika!“, in dem sich Sonneborn kürzlich fotografieren ließ. „Bei der Gestaltung dieses Shirts habe ich mich sprachlicher Stereotype bedient und billige Klischees aufgenommen“, gab er nun zu.

„Aus der Zeit gefallen und am falschen Ort“

Mit der ungewöhnlich kleinlauten Botschaft reagierte Sonneborn auf die scharfe Kritik seines Parlamentskollegen Nico Semsrott. Der Kabarettist, der neben Sonneborn 2019 ins EU-Parlament gewählt wurde, hatte am Mittwoch seinen Austritt aus der „Partei“ bekanntgegeben. Als Begründung führte er Sonneborns „ignoranten Umgang“ mit Rassismuskritik an dessen T-Shirt an, der in den sozialen Medien laut geworden war. Sonneborn hatte den Vorwurf zunächst als unbegründet zurückgewiesen.

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„Ich finde seine Reaktion auf die Kritik falsch und inakzeptabel“, schrieb Semsrott nun. Sonneborn sei „aus der Zeit gefallen und am falschen Ort“. Deshalb „sollte er gehen“. Nun geht Semsrott selbst. Sein Mandat im EU-Parlament will er behalten, ebenso wird er Mitglied der Grünen-Fraktion bleiben, der er seit 2019 angehört.

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Sein Streit mit „Partei“-Chef Sonneborn zeigt, dass die Satirepartei längst nicht mehr so über den Dingen steht, wie es viele der rund 50.000 Mitglieder wohl gerne hätten – und dass es auch dort die üblichen Probleme des Politikbetriebs gibt, PR-Desater, Affären und Flügelkämpfe inklusive.

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Rund 900.000 Menschen gaben der „Partei“ bei der Europawahl 2019 ihre Stimme. 2,4 Prozent erreichte sie insgesamt. Bei den Erstwählern lag sie bundesweit vor Sozialdemokraten und Liberalen. „Auch wenn wir beide glücklicherweise weit davon entfernt sind, irgendwo an nennenswerte politische Ämter zu kommen, tragen wir in unseren Rollen Verantwortung“, meint Semsrott heute.

Realos gegen Fundis

Der 34-Jährige gehörte bislang zum „Realoflügel“ der „Partei“. In Zirkeln wie der „Realpolitischen Plattform“ organisieren sich Funktionäre, die seriöse Politik machen wollen. Dem stehen jene Mitglieder gegenüber, die den Satirefaktor der „Partei“ betonen und sich an Leitsätzen wie „Das Bier entscheidet“ orientieren. Der Vorsitzende Sonneborn steht irgendwo dazwischen.

Martin Sonneborn ist ehemaliger Chefredakteur der Satirezeitschrift "Titanic".
Martin Sonneborn ist ehemaliger Chefredakteur der Satirezeitschrift "Titanic".

© Manfred Thomas Tsp

Gegründet hat er die „Partei“ 2004, um mit Spaßaktionen die Politik aufs Korn zu nehmen. Doch inzwischen ist es ernst. So klagten 2019 weibliche Mitglieder über „Grapschereien“ und sexistische Sprüche ihrer männlichen Kollegen. Aus Protest über mangelnde Aufklärung verließen zwei Funktionäre den Bundesvorstand. Auch der Rassismusvorwurf ist nicht neu. 2011 zeigte sich Sonneborn auf einem Plakat in „Blackface“, mit brauner Farbe im Gesicht, dazu der Spruch: „Ick bin kein Obama!“ Das würde er inzwischen nicht mehr machen, sagte er im vergangenen Jahr. Und erklärte: „Ich bin kein Rassist.“

Der Bundestagsabgeordnete Marco Bülow, Ex-SPD-Mann und seit November „Partei“-Mitglied, twitterte mit Blick auf den aktuellen Fall: „Was als Rassismus empfunden wird, bestimmen vor allem die Betroffenen.“

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