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Mann mit Kippa in der Synagoge in der Berliner Rykestraße (Archiv).

© Caro Fotoagentur / Andreas Teich

Nach Anschlag in Halle: Worte mit vielen Anschlägen

Sprache der Erschütterung und erschütterndes Sprechen – Notizen nach der Terrortat von Halle.

Von Caroline Fetscher

Das geplante Attentat auf eine versammelte jüdische Gemeinde misslang nur durch Glück und Zufall. Der rechtsradikale Täter nahm statt seiner Zielgruppe in der Synagoge zwei anderen Menschen in der Stadt das Leben. Enthemmte Worte, heißt es nun treffend, seien der Auftakt zur Eskalation. Mit einhegenden Worten will sich die Öffentlichkeit wehren. Doch auch solche Worte, haben es in sich - und sie haben es an sich, Fragen aufzuwerfen. Denn wenn auch ohne Absicht spiegeln manche Formulierungen einen Teil der Täterlogik wieder.

Oft heißt es, dass die getöteten Menschen „sterben mussten“, oder wie jetzt im Fall Halle, dass nur der Zufall verhinderte, „dass in Halle noch mehr Menschen sterben mussten.“ Was soll das bedeuten, sie „mussten“ sterben? Welche Macht soll das verfügt haben? Nein, sie „mussten“ nicht sterben, sie wurden ermordet. Stets wird nach solchem Terror der „feige Anschlag“ verurteilt und von „unschuldigen Opfern“ gesprochen. Seltsam genug, dass die Betonungen nötig scheinen: Könnten denn solche Anschläge jemals „mutig“ sein und könnte es „schuldige Opfer“ geben?

Ist der politische und gesellschaftliche Wille stark genug?

Außenminister Maas beschwor auf Twitter die Formel, Antisemitismus und Fremdenhass hätten „keinen Platz in der Gesellschaft“. Nachgerade verzweifelt meldete der Minister außerdem seine Hilflosigkeit: „Wann hört das auf? Warum geschieht das in unserem Land?“ Das hört auf, wenn der politische und gesellschaftliche Wille stark genug ist, dass es aufhört. Das geschieht in Deutschland, weil alte und neue Rechtsextreme als besorgte Bürger auftreten dürfen. Leugnen fegt diesen Platz nicht leer.

Umso klarer der Kommentar zum Anschlag, mit dem Remko Leemhuis für das Berliner American Jewish Committee erklärt: „Der nun oft getroffenen Aussage, dass Antisemitismus keinen Platz in Deutschland hat, müssen wir deutlich widersprechen. Wo ´Jude´ auf Schulhöfen ein geläufiges Schimpfwort ist, wo in Qualitätsmedien von jüdischen Verschwörungen fabuliert wird, wo die Obsession, Israel zu kritisieren, vorherrscht, wo man sich nicht dazu durchringen kann, offen antisemitische Terrororganisationen zu verbieten, wo mittlerweile im Bundestag die Zeit des Nationalsozialismus und die deutschen Verbrechen verharmlost oder heruntergespielt werden, dort hat Antisemitismus einen Platz. Diese gesellschaftliche Stimmung ist der Nährboden des antisemitischen Terrors und daher war der Mörder auch kein Einzeltäter.“

„Wenn wir wollen, schlagen wir euch tot!“

Aus Worten würden Taten, heißt es. Das wissen alle rechtsnationalen Saboteurinnen und Saboteure der Demokratie. Aus der Bewegung „Pegida“ heraus entstand 2014 das Bündnis „Wir für Deutschland“. Nationalflaggen schwenkend zogen jüngst, am 3. Oktober, rund tausend seiner Mitglieder durch Berlin. Nicht nur ihr Lynchbedürfnis in Richtung Lügenpresse taten sie kund („Ein Baum, ein Strick, ein Pressegenick!“) und riefen das übliche „Merkel muss weg“, sondern skandierten auch eine pauschale Drohung, wie sie typisch ist für tyrannische Willkür: „Wenn wir wollen, schlagen wir euch tot!“ Strafrechtliche Konsequenzen hatte das erstaunlicherweise offenbar bisher nicht, obwohl auf Videos mit klar zu erkennenden Rufenden festgehalten.

Weil Sprechakte Handlungen sind und Straftaten darstellen können, nennt das Bürgerliche Gesetzbuch den Tatbestand der Beleidigung wie den der „Volksverhetzung“, 1871 entstanden in sich ein Begriff zum Zusammenzucken. „Volksverhetzung“ steht für politisierte Hass-Sprache, kombiniert jedoch die belasteten Termini „Volk“ und „Verhetzung“, und das zudem substantivierend, in einer Wortform, die Viktor Klemperer als eines der Charakteristika der Sprache des Dritten Reiches erkannt hatte. Der Dresdner Philologe veröffentlichte 1946 sein Werk „LTI. Lingua Tertii Imperii“, noch und wieder lesenswerte Beobachtungen eines verfolgten Juden zum Wandel der Sprache während der deutschen Diktatur.

Die leidlich Mitgemeinten – wenn Sprache ausgrenzt

Aktuelle Ausgrenzungsimpulse können sich auch verbergen in der gemütlich klingenden Benennung einer Institution als „Heimatministerium“ oder in der gut gemeinten Rede von „unseren jüdischen Mitbürgern“. Michael Wuliger, Autor von „Der koschere Knigge“, schrieb 2016 in der Jüdischen Allgemeinen über die Bezeichnung „jüdische Mitbürger“, er sei „glücklicherweise aus dem Sprachgebrauch verschwunden. Das ´Mit´ vor dem ´Bürger´ implizierte stets etwas Zweitrangiges: deutsche Bürger und jüdische Mitbürger.“

Vollends verschwunden ist die Formulierung freilich keineswegs. Auch nach den Taten in Halle taucht sie in der öffentlichen Sphäre wieder auf, etwa wenn in Medien die Rede davon ist, dass sich Amtsträger „an die Seite unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger gestellt“ haben. Wie irritierend wäre es, von „katholischen Mitbürgern“ zu hören, oder von „hinduistischen Mitbürgern“? Irritation angesichts der Mikrospuren von Diskriminierung wahrzunehmen, und die Irritation zu übersetzen ins Aussprechen, Ansprechen, Fragen und Bezweifeln, alles kann Rechtsnationalismus ebenso eindämmen, wie das Kriminalisieren manifester Hass-Sprache. Auch die nimmt ihren Anfang in der Latenz, in „normalen“ Wörtern, die nicht hinterfragt wurden.

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