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Brigitte Böhnhardt, Mutter des mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt, beim NSU-Prozess in München.

© dpa

Update

Mutter von Uwe Böhnhardt beim NSU-Prozess: "Stellt euch, stellt euch, stellt euch“

An diesem Dienstag ist beim NSU-Prozess in München erstmals zu hören, wie die Eltern eines der Täter gelitten haben. Und wie sie versuchen, sich das Unfassbare zu erklären. Die Mutter von Uwe Böhnhardt berichtet von Telefonaten mit dem untergetauchten Sohn - und erhebt schwere Vorwürfe gegen die Behörden.

Von Frank Jansen

Sie spricht kontrolliert, oft in klagendem Ton, doch Gefühlsausbrüche erlaubt sich Brigitte Böhnhardt nicht. „Wir haben vom ersten Telefongespräch an verlangt, dass sie sich stellen“, sagt die Mutter von Uwe Böhnhardt. Im Saal A 101 des Oberlandesgerichts München ist es still. Richter, Staatsanwälte, Verteidiger und Nebenklage-Anwälte hören der pensionierten Lehrerin zu, die Empore ist mit Journalisten und Zuschauern voll besetzt. „Wir“, damit meint die 65 Jahre alte Brigitte Böhnhardt sich und ihren Mann, hätten bei den Telefonaten mit dem untergetauchten Sohn immer wieder gesagt, das Leben im Untergrund, „das bringt gar nichts, das hat keine Zukunft“, und: „stellt euch, stellt euch, stellt euch“. Doch Uwe habe gesagt, „nein Mutti, das geht nicht“.

Der 57. Tag im NSU-Prozess ist besonders bedrückend. Am Dienstag ist erstmals ist zu hören, wie die Eltern eines der Täter gelitten haben – und wie sie versuchen, sich das Unfassbare zu erklären. Bei dem ersten Telefongespräch mit dem Sohn „haben wir Rotz und Wasser geheult“, sagt Brigitte Böhnhardt. Und sie schildert, wie der Kontakt zu dem verschwundenen Sohn zustande kam.

Einige Wochen, nachdem Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe im Januar 1998 abgetaucht waren, lag im Briefkasten der Eltern Böhnhardt in Jena ein Zettel. „Wir sollten an einer Telefonzelle warten“, sagt die Mutter, „und Uwe rief an“. Sie habe gar nicht gewusst, dass es möglich sei, in einer Telefonzelle angerufen zu werden. Aber sie sei froh gewesen, dass er noch lebt. „Er sagte auch, dass sie alle drei zusammen sind, dass es ganz gut geht“, erinnert sich Brigitte Böhnhardt.

Uwe Mundlos und Beate Zschäpe hingegen mieden die Kontakte zu Angehörigen

Es folgten weiteren Telefonate und sogar einige Treffen mit den drei Untergetauchten. Uwe Mundlos und Beate Zschäpe hingegen mieden die Kontakte zu Angehörigen. Uwe Mundlos habe, sagt Brigitte Böhnhardt, über ihren Uwe bitten lassen, sie solle seiner Mutter einen Gruß bestellen und nachschauen, ob sie ihre Arbeit behalten habe. Sie habe dann Mundlos’ Mutter angerufen und später die Eltern zufällig an einer Tankstelle getroffen. Da habe Vater Mundlos behauptet, „an allem sei mein Uwe schuld, der habe seinen Uwe da rein gezogen“. Sie habe sich umgedreht und sei gegangen, sagt Brigitte Böhnhardt. Aber sie habe auch Verständnis dafür gehabt, dass die Eltern Mundlos ebenfalls litten.

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl will wissen, warum Uwe Böhnhardt abgetaucht sei an jenem 26. Januar 1998. Die Polizei hatte in einer Garage, die Beate Zschäpe zugeordnet wurde, Sprengstoff entdeckt, zum Teil schon in Rohrbomben verbastelt. Uwe habe nicht noch einmal ins Gefängnis gewollt, sagt die Mutter. Bei der Razzia, schon vor dem brisanten Fund in der Garage, habe ein Polizist ihrem Sohn gesagt, „jetzt bist Du fällig, der Haftbefehl ist unterwegs“. Dann sei Uwe mit seinem Wagen weggefahren. So habe es ihr der Sohn später am Telefon erzählt.

Böhnhardt stand allerdings so oder so der Gang ins Gefängnis bevor. Wegen Volksverhetzung und anderer Delikte sollte er 1998 eine Strafe von zwei Jahren und drei Monaten antreten. Zuvor hatte er bereits, wie die Mutter berichtet, zweimal in Untersuchungshaft gesessen.

Brigitte Böhnhardt beschuldigt aber auch „die Behörden“. Sie behauptet, die Polizei habe ihrem Uwe bei früheren Durchsuchungen Waffen untergeschoben, eine Armbrust und drei Dolche. Und sie glaubt, die Polizei hätte überlegt, die drei Untergetauchten „auf der Flucht zu erschießen“. Ihr Misstrauen gegenüber den Sicherheitsbehörden resultiert auch aus seltsam anmutenden Verhandlungen mit dem Verfassungsschutz.

Böhnhardts Mutter spricht nicht über die NSU-Opfer

Ein früherer Verteidiger von Sohn Uwe sei zu ihr gekommen und habe gesagt, der Verfassungsschutz werde für eine reduzierte Strafe sorgen, wenn die drei sich stellen. Mit dem Anwalt sei sie dann bei der Staatsanwaltschaft Gera gewesen. Dort habe ihr ein Oberstaatsanwalt jedoch gesagt, Uwe stünden zehn Jahre Haft bevor. Brigitte Böhnhardt hebt jetzt doch ein wenig die Stimme, „zehn Jahre Haft! Das kriegt ja nicht mal ein Kinderschänder, der schon fünf Kinder getötet hat!“ Der Oberstaatsanwalt hielt dann aber auch fünf Jahre für möglich. Doch aus der Sache wurde nichts, die Staatsanwaltschaft verlor das Interesse und die drei blieben im Untergrund.

Bis 1999, gibt Brigitte Böhnhardt zu, hätten sie und ihr Mann dem Sohn im Untergrund finanziell geholfen, „damit er nicht klaut“. Etwa 500 D-Mark gaben die Eltern, so etwa einmal im Vierteljahr. Das Geld habe mal André K., ein Bekannter der drei aus der rechten Szene in Jena, abgeholt, dann ei anderer junger Mann. Zuvor hatte Uwe Böhnhardt seinen Eltern ein Losungwort mitgeteilt, dass die Abholer dann nannten. Als Richter Götzl fragt, will Brigitte Böhnhardt die „Parole“ zuächst nicht nennen. Dann sagt sie „Rippchen“. Das sei ein Spitzname ihres Sohnes gewesen, nachdem er sich als Kind bei einem Sturz zwei Rippen gebrochen hatte. Die Unterstützung hätten sie und ihr Mann dann 1999 eingestellt, als die drei nach dem nicht zustande gekommenen Handel mit der Staatsanwaltschaft bekräftigt hätten, sich keinesfalls zu stellen. „Wir hatten die Schnauze voll“, sagt die Mutter.

Sie sorgt sich nun allerdings, ihre finanzielle Hilfe könnte strafrechtlich als Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gewertet werden.Richter Götzl beruhigt sie – wenn nur bis 1999 gezahlt wurde, sei die Geschichte verjährt.

Die Eltern Böhnhardt hatten allerdings auch wenig Interesse daran, der Polizei zu helfen. Zu den Treffen mit den drei Untergetauchten, in Chemnitz, fuhren Vater und Mutter mit einem Mietwagen. „Weil wir nicht wussten, ob wir verfolgt werden“, sagt Brigitte Böhnhardt. Und sie macht den Sicherheitsbehörden einen ungeheuerlich klingenden Vorwurf: „Mir geht einfach nicht aus dem Kopf, was alles hätte verhindert werden könnnen, wenn Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft damals Wort gehalten hätten“.

Die Mutter, das zeigt nicht nur diese Äußerung, hat sich in ihrem Leid eine eigene Wahrheit gezimmert. Sie sieht ihren Sohn auch, vielleicht sogar vorrangig als Opfer. Und sie betont immer wieder, dass sie und ihr Mann dem Uwe gesagt hätten, sie würden ihn lieben. Nicht erst, als er untergetaucht war, sondern schon zuvor bei den vielen Fehltritten. Als Sohn Uwe die Schule schwänzte, als er mit dem Gesetz in Konflikt geriet, wegen Diebstahls und später auch wegen politisch motivierter Straftaten. „Ich habe ihm gesagt, wir schaffen das“, betont Brigitte Böhnhardt.

Über die Opfer des NSU, die zehn Ermordeten, die vielen Verletzten, darüber spricht sie nicht. Kein Wort zu den vielen Nebenklage-Anwalten, dass ihr die Taten des Sohnes leid tun. Ab und zu blickt Brigitte Böhnhardt hinüber zu Beate Zschäpe. Die guckt meist weg, manchmal vergräbt sie das Kinn in den aufgestützten Unterarmen. Und Brigitte Böhnhardt freut sich noch heute, dass ihr Uwe in den 1990er Jahren Zschäpe kennengelernt hat. „Uwe hatte Gottseidank Beate“, sagt sie, „ich bin ihr heute noch dankbar, dass er zu ihr gezogen ist“.

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