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Frankreichs Premier Manuel Valls und sein russischer Amtskollege Dmitri Medwedew am Samstag am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz.

© REUTERS

Münchner Sicherheitskonferenz: Paris lässt Angela Merkel abblitzen

Frankreich lehnt europaweite Verteilung von Flüchtlingen ab, Russland warnt vor „drittem Weltschock“ - ein Bericht von der Münchner Sicherheitskonferenz.

Der französische Premierminister Manuel Valls rät Deutschland, sich keine Hoffnungen auf eine solidarische Verteilung der Syrien-Flüchtlinge in der Europäischen Union zu machen. „Der EU-Gipfel wird keine neue Umverteilung beschließen“, sagte Valls im Gespräch mit deutschen Journalisten am Sonnabend am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz. Frankreich sei generell „gegen einen permanenten Umsiedlungsmechanismus in Europa“. Das Problem der Massenmigration müsse in den Herkunftsländern gelöst werden und durch eine verlässliche Sicherung der Außengrenze.

Damit stellt sich Frankreich gegen eine zentrale Forderung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Für den EU-Gipfel am kommenden Donnerstag und Freitag in Brüssel bergen die Äußerungen von Valls politischen Sprengstoff. Denn Merkel will erreichen, dass zumindest mittelfristig ein Teil der in der Türkei ankommenden Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien auf die EU-Staaten verteilt wird.

Was genau sagte Russlands Premier Dmitri Medwedew in seiner heftigen Rede?

Auch beim Thema Syrien wurde die Zerrissenheit der Diskutanten in München deutlich. Russlands Premier Dmitri Medwedew knüpfte demonstrativ an die Münchner Rede von Wladimir Putin im Jahr 2007 an, der damals die mangelnde Zusammenarbeit des Westens beklagte. In seiner Rede erklärte er: „Das Bild heute ist ernster als damals.“ Laut deutscher Übersetzung sagte er: „Wir sind heruntergerollt zu den Zeiten eines neuen Kalten Krieges“. Medwedew zählte auf, welche Partnerschaftsinitiativen geplatzt seien. Er frage sich manchmal, ob er im Jahr 2016 oder 1962 sei.

Zum Schluss seiner Rede verwies er allerdings darauf, dass heute nicht mehr wie vor 40 Jahren eine Mauer die Welt trenne. Medwedew nannte gemeinsame Erfolge wie das Atomabkommen mit dem Iran und fragte: „Brauchen wir einen dritten Weltschock“, um zusammenzuarbeiten? Das galt wohl vor allem den USA. Selbst der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche und Papst Franziskus hätten auf Kuba auch gerade nach einem Jahrtausend wieder einen Weg zueinander gefunden. Der gemeinsame Feind sei der „Islamische Staat“ (IS), der dem „Tierinstinkt“ folge und rücksichtslos nach dem Motto „Entweder wir oder sie“ töte. Wenn es erst ein über mehrere Länder reichendes Terrorkalifat des IS gebe, gäbe es nicht mehr viel zu diskutieren, sagte Medwedew.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warf Russland dagegen vor, ein Klima der Angst in den osteuropäischen Staaten zu verbreiten. „Russlands Rhetorik, Auftreten und die Manöver seiner Atomwaffen- Truppe zielen darauf, die Nachbarstaaten einzuschüchtern und das Vertrauen und die Stabilität in Europa zu untergraben.“

Wie war die Athmosphäre auf der Münchener Sicherheitskonferenz?

Die Debatten bei der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz schwanken zwischen Skepsis und Hoffnung. Diese Gefühle ringen mitunter in ein und derselben Person miteinander. US-Außenminister John F. Kerry sagte mit Blick auf die internationalen Herausforderungen, die Ordnungssysteme, die kaum noch ihren Zweck erfüllen, die Kriege, die Gewalt, die Fluchtbewegungen: „Womöglich hatte die Welt es noch nie mit so vielen Krisen und gescheiterten Staaten zugleich zu tun.“ Das klang pessimistisch. Kerry war es aber auch, der seinen Auftritt mit einer optimistischen Note beschloss: „Die heutigen Krisen werden uns nicht überwältigen.“ Europa und Amerika hätten schon größere Bedrohungen gemeinsam gemeistert.

Wie kam es zu der heftigen Äußerung von Manuel Valls gegen die Politik von Angela Merkel?

Immer wieder war der Zustand Europas der Anlass für besorgte Fragen und Kommentare. „Flüchtlinge, Arbeitsplätze, Eurokrise, Brexit“, zählte Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, die Stichworte auf. „Und um die Ukraine müssten wir uns auch mehr kümmern.“ Der französische Premierminister Manuel Valls fügte noch eine weitere Sorge hinzu: dass Deutschland und Frankreich in einer Kernfrage unterschiedliche Richtungen einschlagen.

Das geschah ungeplant. Valls hatte eine kleine Runde deutscher Journalisten, darunter den Tagesspiegel, zu einem vertraulichen Hintergrundgespräch beim Frühstück eingeladen. Ein Teilnehmer verletzte jedoch die Vereinbarung, dass darüber nicht berichtet werden solle, damit Valls offener reden könne. Und so machte die Nachricht mittags die Runde: Frankreich stellt sich gegen eine europäische Verteilung der Flüchtlinge, wird weder Kontingenten zustimmen noch einer festen Verteilungsquote innerhalb der EU.

Valls sprach in bemerkenswerter Offenheit. An die bestehende Vereinbarung über die einmalige Verteilung von 160000 Flüchtlinge, von denen Frankreich 30000 aufnehmen soll, werde er sich halten, bekräftigte er bei diesem Frühstück. Darüber hinaus werde sein Land aber keine Flüchtlinge aus anderen EU-Ländern aufnehmen. Er müsse das „ganz deutlich sagen: Die Franzosen sind besorgt. Sie haben den Eindruck, dass Europa nicht mehr Herr seines Schicksals ist.“

Deutschland solle sich in der Hinsicht auch keine Hoffnungen auf den kommenden EU-Gipfel machen: „Der EU-Gipfel wird keine neue Umverteilung beschließen.“ Das Problem müsse vielmehr in den Fluchtländern sowie an der Außengrenze gelöst werden. Die dringendste Aufgabe sei, „die Außengrenzen der EU wirksam zu schützen und Hotspots aufzubauen“. Dort könne man entscheiden, „wer asylberechtigt ist und wer abgeschoben werden muss“. Man müsse aber auch „ehrlich aussprechen: Europa kann nicht alle Migranten der Welt aufnehmen“. Dies sei auch „im Sinne derer, die unseren Schutz wirklich brauchen“. Heute gebe es oft „eine Vermischung zwischen Wirtschaftsmigranten und Kriegsflüchtlingen“.

Valls lobte Deutschland für seine „großzügige Aufnahmebereitschaft“, stellte aber klar, dass Deutschland die Folgen seiner Entscheidungen allein tragen müsse. „Die deutsche Regierung hat den Flüchtlingen gesagt: Ihr könnt kommen. Frankreich nicht.“ Auf die Frage, wie Deutschland sich aus der paradoxen Lage befreien könne, dass fast alle seine Politik loben, niemand aber den deutschen Weg der offenen Grenze mitgehen wolle, sagte Valls: „Wenn die Deutschen von Europa eine grenzenlose Solidariät bei der Flüchtlingsaufnahme erwarten, wird dieses Paradox noch sehr lange andauern.“

Welche Rolle spielte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier?

Bundesaußenminister Steinmeier, von dessen Arm eine grüne Swatch-Uhr in den Saal leuchtete, wandte sich mit einem dringenden Appell an den Saal: Die Flüchtlingskrise, so schwer sie zu beherrschen sei, dürfe „keine Ausrede sein, um uns abzuschotten, die Rolläden runter zu lassen“. Es koche gerade „ein ganzes Krisengebräu hoch“, doch den „Stürmen jenseits trotzen wir nur, wenn wir in der EU zusammenhalten“. Es stehe eine Menge auf dem Spiel. „Wir müssen um Europa kämpfen“, sonst werde man in München in einem Jahr nicht mehr das gleiche Europa haben, mahnte Steinmeier. „Nicht Abschottung, sondern mehr Europa“ müsse die Devise sein, denn beispielsweise ohne die Entschärfung des Konflikts in Syrien werde Europa dauerhaft nur an den Symptomen herumdoktern. „Starke Staaten tragen Verantwortung jenseits ihrer eigenen Grenzen“, mahnte er und machte deutlich, Außenpolitik seien „nicht nur runde Tische“. Deutschland habe gezeigt, dass es den ganzen Instrumentenkasten der Außenpolitik einzusetzen bereit sei.

Wie verhielten sich die anderen Nachbarn Deutschlands?

In der Diskussionsrunde mit fünf Präsidenten – die Staatsoberhäupter Polens, Litauens, der Ukraine und Finnlands sowie Martin Schulz – wurde freilich eine weitere potenzielle Bruchlinie in der EU sichtbar. Der Pole Andrzej Duda monierte, Deutschland lasse es mitunter an „wahrer Partnerschaft“ fehlen. „Es ist mein Traum, mit allen Nachbarn gute Beziehungen zu haben, aber auf Augenhöhe.“ Was meint er damit? „Respekt vor den Sitten und den nationalen Interessen eines Nachbarn.“ Die Northstream-Pipeline von Russland nach Deutschland „ist gegen Polens Interesse“. Polen habe das den Deutschen immer wieder gesagt, aber wenig überzeugende Ausflüchte gehört: Das sei ein Projekt der Privatwirtschaft, die Regierung habe damit kaum zu tun. „Hier geht es um strategische Interessen. Aber Deutschland missachtet ein zentrales Interesse seines Nachbarn.“

Neben Duda forderte auch die Litauerin Dalia Grybauskaite eine deutliche Ausweitung der Nato-Präsenz in der Region. Auf die Frage, was ihn nachts wach halte, antwortete der Finne Sauli Niinistö: „Das ist schwer zu sagen, weil wir nicht wissen, was kommt. Eines ist freilich klar: An allen Überraschungen ist immer Russland beteiligt, in unserer Region und ebenso in Syrien.“ Die Meinungsverschiedenheiten mit Moskau müsse man austragen, denn „Russland ist einfach da, vor unserer Tür“. Der Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, sprach von einer „Konfrontation der Wertesysteme“. Entscheidend sei, die freie Wahl zwischen diesen beiden Systemen zu haben. „Vor zwei Jahren gaben viele Ukrainer ihr Leben für ihren Traum, in Europa zu leben.“ Deshalb habe Russland einen Krieg begonnen, verwische aber mit falschen Begriffen die Verantwortung dafür. „Es gibt keinen Bürgerkrieg in der Ukraine, es gibt nur einen russischen Angriffskrieg. Es gibt keinen Bürgerkrieg auf der Krim, nur eine russische Besetzung.“

Wer verbreitete Optimismus?

Von der anderen Seite des Atlantiks verbreitete Außenminister John Kerry mit Blick auf Europa Optimismus und stellte sich demonstrativ an Merkels Seite. Dafür griff er auf die eigenen Kindheitserinnerungen zurück, wie er als Elfjähriger den ausgebrannten Ku’damm entlang geradelt sei und wie der Kalte Krieg sich 1963 verdammt heiß angefühlt habe. Doch der Kalte Krieg sei lange vorüber, sagte Kerry ohne Medwedew zu erwähnen, dem er mit auf den Weg gab, dass Russland die Sanktionen ganz einfach beenden könne, wenn es das Minsker Abkommen für die Ukraine in vollem Umfang umsetze. So lange aber seien sie nötig. Und er warnte davor, in Syrien jetzt nicht die Gelegenheit zu einer politischen Lösung zu verpassen. Wenn eine Seite eskaliere „wird es die andere auch tun“. Er hoffe, dass diese Woche der Wandel geschehe.

Den Europäern, die unter der Aufnahme der Flüchtlinge ächzen, rief der Mann aus Washington zu: „Wir sitzen nicht auf der anderen Seite des Teichs und sagen, das ist Europas Problem.“ Die USA verstünden „die fast existenzielle Bedrohung für Europa“. Dennoch sei er sicher, dass es wieder gestärkt aus der Krise herauskommen werde. Er halte es mit Kennedy, der schon 1963 gesagt habe: „Schauen Sie über die Gefahren von heute hinaus und blicken Sie auf die Hoffnung von morgen. Kerry endete leicht abgewandelt mit dem inzwischen geflügelten Wort Merkels: „Wir werden das schaffen.“

Wie ist das Verhältnis zu Russland?

Den ganzen Tag über wurde deutlich, wie angespannt das Verhältnis zu Russland ist. Steinmeier betonte aber ausdrücklich „Wir sind bestimmt nicht in einem Kalten Krieg.“ Er fügte hinzu: „Wir arbeiten dafür, dass die Welt nicht so bleibt, wie sie ist.“

Wie mühsam das ist, machten die Interpretationen des Syrienabkommens von Freitagnacht deutlich. Die Chancen auf die Umsetzung in dieser Woche bezifferte Steinmeier mit 51 Prozent. Als Russlands Außenminister Lawrow lamentierte, dass es nur um russische Bomben, nicht um die der USA und der Opposition gehe und er langsam Zweifel habe, was die vereinbarte Waffenruhe sein solle, meldete sich sein britischer Amtskollege Hammond zu Wort: Die Chance auf eine Umsetzung gehe eher gegen Null.

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