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Bedürfnis nach Ruhe. Medienanwalt Ralf Höcker, der bisher auch als Sprecher der Werte-Union auftrat.

© imago images/Hoffmann

Morddrohungen gegen Politiker: Mehr als Ausdruck verrohter Sitten

Im politischen Streit haben sich sprachliche und körperliche Gewalt erschreckend breit gemacht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Werner van Bebber

Wieder einer. Ralf Höcker, Sprecher der konservativen „Werte-Union“, hat alle Ämter niedergelegt, tritt aus der CDU und anderen Organisationen aus und sagt, er wolle nur noch seine Ruhe haben. Begründet hat er dies mit einer Morddrohung, die so „glaubhaft und unmissverständlich“ war, dass er sich dem Druck beuge.

Würde es sich nicht so zynisch lesen, müsste man schreiben: Morddrohungen – mit der Betonung auf „Drohung“ – gehören doch heute zum schlechten Ton in Debatten und Auseinandersetzungen. Cem Özdemir und Claudia Roth sind mit dem Tod bedroht worden, der thüringische CDU-Vormann Mike Mohring und der SPD-Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby, auf dessen Büro wurde sogar geschossen. Der WDR berichtete im Herbst, dass allein 2017 dem nordrhein-westfälischen Innenministerium zufolge 19 Politiker mit Mord bedroht wurden. Und dann muss man natürlich den erschossenen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und die mit einem Messer lebensgefährlich verletzte Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker erwähnen. Diese brutalen Angriffe zeigen, dass die Annahme, einer Drohung würde eine Tat folgen, berechtigt ist.

"Du wirst sterben" - schlicht, roh, brutal

Sprachliche und vor allem eben auch die körperliche Gewalt haben sich wieder breit gemacht im politischen Streit. Das Wort Verrohung wird immer wieder erwähnt. Eher noch kann man von einer Brutalisierung sprechen. Vergleiche mit Weimarer Zeiten mag man ziehen, aber es gibt auch viele Unterschiede. Wichtiger sind Ursachenforschung und ein Konsens darüber, was die Folgen solcher Morddrohungen und Morde sind.

Über viele Jahre hat es das hierzulande nicht gegeben. Der politische Mord – das war etwas, das eher nach Sizilien gehörte oder nach Mexiko. Die Deutschen waren spätestens seit den Zeiten der Rote Armee Fraktion in den 1970er Jahren geheilt von dieser Art der politischen Auseinandersetzung.

Die Morddrohung von heute, die Mail an Politiker mit Sätzen wie „Du musst sterben“ kommt anders daher: schlicht, roh, brutal. Seit dem großen Streit um Migration, Flüchtlinge und Einwanderung scheint sie zum – eskalierten – Streit um politische Themen dazuzugehören.

Der Mensch als des Menschen Wolf

Nehmen dabei diejenigen, die mit „Du sollst sterben“ drohen, nicht geradezu wie in Schubumkehr auch Sitten aus Ländern auf, in denen von Staats wegen oder im Namen der Religion gefoltert und gesteinigt, enthauptet und aufgehängt wird – also auch aus den Ländern, aus denen die Menschen geflohen sind?

Auf diesen Gedanken sollte man sich nicht zu weit einlassen. Er würde letztlich bedeuten, dass alle zivilisatorischen Errungenschaften hierzulande, vor allem das Gewaltmonopol des Staates und das Recht, bloß Schönwetter-Eigenschaften des Landes und seiner Bewohner wären. Er würde bedeuten, dass die Umstände bloß negativ genug sein müssen, damit der Mensch wieder des Menschen Wolf wird. Wenn man sich so ein Menschenbild zu eigen macht, gehören irgendwann auch Morddrohungen dazu. Motto: Harte Zeiten – harte Sitten. Dazu passen Äußerungen wie etwa von Bundesinnenminister Horst Seehofer, die Morddrohungen mit in die beklagenswerten Anzeichen für dramatische Gesellschaftsverrohung einordnen. Aber Morddrohungen sind noch mal etwas anderes.

Mehr als eine Variante von Schimpfanfällen

Sie sind nicht bloß eine weitere Variante von unkontrollierten Schimpfanfällen, nicht nur deren letzte Steigerung, sie haben mit verloren gegangenen Umgangsformen, mit Sitten und Benimmfragen nichts zu tun. Sie sollten auch nicht als solche verharmlost werden. Morddrohungen sind Ausdruck von Terrorbereitschaft.

Mag sein, dass die Zivilisation im Sinn des Soziologen Norbert Elias immer aufs Neue von der Brutalität auf die Probe gestellt wird. Mal sind die Zeiten friedlicher – dann werden sie wieder gefährlicher. Das macht Morddrohungen nicht akzeptabler. Ein Staat, der Folter rechtfertigt, wenn ihm Gefahr von innen droht, verwirkt seine Legitimität. Wer anderen mit Mord droht, begibt sich raus aus der Demokratie. Morddrohungen sind Fälle für Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte. Und für Innenpolitiker, die dieser Demokratie verpflichtet sind.

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