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Er schlägt zu. Sie kostet das in vielen Fällen das Leben.

© Maurizio Gambarini/dpa

Mord und Gewalt in der Partnerschaft: Die eigene Wohnung ist für Frauen ein gefährlicher Ort

An jedem dritten Tag wird eine Frau von ihrem Mann, Freund oder Ex-Mann umgebracht. Die Regierung will dagegen jetzt vorgehen - Fragen und Antworten.

An 365 Tagen im Jahr werden Frauen Opfer einer Gewalttat ihres Partners oder Ex-Partners, jeden dritten Tag wird eine Frau von ihrem Mann, Freund, Ex- Mann oder Ex-Freund umgebracht. Anfang der Woche wurden in Jena eine 25-Jährige, ihr wenige Wochen altes Baby und ihr Freund Opfer einer Gewalttat, die vermutlich vom Ex-Partner der Frau begangen wurde. Kurz vor dem „Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“ am Sonntag hat Familienministerin Franziska Giffey am Dienstag die Studie zur „Partnerschaftsgewalt“ 2017 vorgelegt.

Mord, Totschlag und Gewalt gegen Frauen - was sagt die Statistik?

Die Zahlen sind nicht neu, sie wiederholen sich Jahr für Jahr. Tatsache ist, dass täglich ein Mann versucht, seine Partnerin zu töten. Alle drei Tage stirbt tatsächlich eine Frau durch den Partner oder Ex-Partner. 2017 starben in Deutschland 147 Frauen durch sogenannte Partnerschaftsgewalt. Fast tausendmal mehr, nämlich 140 000, erlitten Gewalt durch einen Mann, mit dem sie eine Ehe oder Partnerschaft führten oder geführt hatten - neben versuchtem oder vollendetem Mord und Totschlag wurden sie durch ihre Männer verletzt, vergewaltigt, sexuell bedrängt oder bedroht, es wurde ihnen fortgesetzt nachgestellt (Stalking) oder sie wurden zur Prostitution gezwungen. Zu mehr als 82 Prozent waren Frauen die Opfer von Gewalt ihrer Partner und etwa die Hälfte der Opfer (49,1 Prozent) lebte mit den Tätern zusammen. Das heißt nach Auswertung des Bundeskriminalamts, dass immerhin 16,5 Prozent dieser Delikte innerhalb von Partnerschaften geschahen.

Zwischen 2013 und 2016 stiegen die Zahlen sogar Jahr um Jahr. 2017 sind sie erstmals um ein knappes Prozent (0,8) gesunken – wenn man die Taten aus der Statistik herausrechnet, die bis 2016 nicht berücksichtigt wurden, nämlich Freiheitsberaubung, Zwangsprostitution und Zuhälterei.

Wer ist betroffen?

Das sogenannte Dunkelfeld, also die Taten, die gar nicht in die Statistik eingehen, weil sie nie angezeigt werden, ist im Fall der Partnerschaftsgewalt besonders groß. „Nur 20 Prozent der Betroffenen suchen direkt Hilfe“, sagte Frauenministerin Franziska Giffey am Dienstag, als sie die Auswertung vorstellte. Und es gibt keine sozialen oder ethnischen Unterschiede: Opfer, Täter, Taten – das alles ziehe sich „durch alle ethnischen Gruppen und durch alle Schichten“. In letzter Zeit wurden spektakuläre Fälle zwar bundesweit Thema, wenn die Täter oder Tatverdächtigen Nichtdeutsche waren – so im Fall Mia in der Südpfalz – aber die Statistik ist eindeutig: Von den 116 000 Tatverdächtigen, die die Polizei im vergangenen Jahr ermittelte, waren knapp 79 000 Deutsche, also 68 Prozent.

Welche Möglichkeiten haben betroffene Frauen? Wo finden sie Hilfe?

Es gibt Frauenhäuser, in die Gewaltopfer sich flüchten können, außerdem lokale Hilfestellen. Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben. Unter der Nummer 08000 116 016 und via Online-Beratung werden dort Betroffene aller Nationalitäten, mit und ohne Behinderung, 365 Tage im Jahr rund um die Uhr unterstützt. Auch Angehörige, Freundinnen, Freunde und Fachkräfte werden dort anonym und kostenfrei beraten. Die zentrale Hotline der Frauenhäuser in Berlin ist die von BIG: 030 611 03 00, täglich von 8 bis 23 Uhr, big-hotline.de
Was lässt sich tun? Was tut die Justiz?

Das erste, was Frauen mit gewalttätigen Partnern brauchen, ist ein Ende der Angriffe. "Es geht ihnen darum, dass die Gewalt aufhört und sie und ihre Kinder geschützt sind," sagt Petra Söchting, die Leiterin des Hilfetelefons "Gewalt gegen Frauen". Seit fünf Jahren gibt es die Hotline. Rund 143.000 Opfer von Gewalt haben sich seither gemeldet, sagt Söchting. Im vergangenen Jahr haben die 80 Beraterinnen rund 38.000 Fälle betreut. Der Großteil der Ratsuchenden, rund 60 Prozent, sind Opfer häuslicher Gewalt. Viele Frauen meldeten sich in den Abendstunden oder spätnachts, wenn andere Beratungsstellen geschlossen seien. Am Telefon gehe es meistens um direkte Nothilfe: von der Vermittlung von Schutzräumen und anderen Anlaufstellen bis zur "anonymen Spurensicherung", wenn Frauen ihre Verletzungen dokumentieren wollen - um vielleicht später gerichtlich gegen ihre Peiniger vorzugehen.

Doch die deutsche Justiz ist da nicht in jeder Hinsicht auf dem Stand internationaler Standards. Der Deutsche Juristinnenbund ging erst im Januar 2018 in einer Stellungnahme heftig mit dem Bundesgerichtshof ins Gericht. Der hatte 2008 entschieden, das Mordmerkmal „niedrige Beweggründe“ eher nicht anzunehmen, wenn der Täter der eigene Mann ist und sein Motiv die bevorstehende Trennung ist, falls "die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will". Das sei Opferbeschuldigung zugunsten des Täters, so der djb, und ein Freibrief für die patriarchale "Besitzkonstruktion", derzufolge die Frau "besser tot als allein und frei" sei. Bei sogenannten Ehrenmorden migrantischer Täter, so der Seitenhieb der Juristinnen gegen den Doppelstandard des höchsten Gerichts, werde dies ja auch nicht als relevant angesehen „obwohl sich faktisch auch dort Täter um die Tochter oder Schwester bringen, die sie häufig eigentlich nicht verlieren wollten".

Wie ist die Situation in Berlin?

2017 ist die Polizei in Berlin 14323-mal wegen häuslicher Gewalt ausgerückt, elf Frauen starben, in neun weiteren Fällen handelte es sich um versuchten Mord. „Häusliche Gewalt entsteht nicht, wie bei einer Kneipenschlägerei, aus einer konkreten Situation heraus“, schreibt die Berliner Polizei auf ihrer Webseite. „Sie ist vielmehr Ausdruck eines andauernden Macht- und Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Täter beziehungsweise Täterin und Opfer.“ Im Schnitt dauere es sieben Jahre, bis ein Opfer sich gänzlich aus der Situation lösen könne.

Die Berliner Initiative gegen Gewalt gegen Frauen (BIG) arbeitet seit mehr als 25 Jahren daran, die Rahmenbedingungen zu verbessern, um Gewalt zu verringern und Frauen besser zu schützen. Mit Erfolg:„Es ist eingedrungen, dass häusliche Gewalt ein strukturelles Problem ist“, sagt Patricia Kielinger, Koordinatorin bei BIG. Das bedeutet, dass alle betroffenen Instanzen – Polizei, Justiz, Frauenberatungsstellen und Jugendämter – zusammenarbeiten müssen. Die in den Neunzigern entwickelten Leitlinien für die Polizei sind mittlerweile Qualitätsstandards, ohne die kein Fall von häuslicher Gewalt abgeschlossen werden kann. Viermal im Jahr treffen sich die Vertreter der verschiedenen Polizeistellen bei BIG, um über die Koordinierung der Arbeit zu sprechen. Die BIG-Hotline ging 1999 ans Netz - als erstes Hilfetelefon für Betroffene häusliche Gewalt bundesweit.

Bundesweit einzigartig ist die Zentralstelle Individualgefährdung beim Landeskriminalamt, die seit September 2014 insgesamt 149 Frauen betreut hat. Diese waren zuvor als hochgefährdet eingestuft worden. Ob eine Frau in das Programm aufgenommen wird – dessen Inhalt streng geheim ist –, hängt von der Einschätzung der Polizei, der Frauenberatungsstellen und der Betroffenen selber ab. Es kann an der Tat liegen, aber auch am Verhalten des Täters gegenüber der Polizei.

Wie ist die Lage anderswo?

In Mexiko, einem Land mit spektakulär hoher Rate an Frauenmorden, verwendete schon in den 1990er Jahren die Soziologin Marcela Lagarde den Begriff des „Feminizids“ für die grassierende Gewalt. Frauen würden umgebracht, weil sie Frauen seien, und zwar in Gesellschaften mit einer machistischen Kultur, in der Frauen als randständig, also als Menschen zweiter Klasse betrachtet würden. Die Kritik der Strafrechtskommission des Deutschen Juristinnenbundes am Spruch des Karlsruher Gerichts von 2008 lässt erkennen, dass auch das deutsche Recht und die Justiz noch nicht so geschlechtergerecht ist wie vielfach angenommen – 70 Jahre nachdem das Grundgesetz nach harten Auseinandersetzungen in den Artikel 3 den Satz aufnahm: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“

Der Begriff des Feminizids hat sich vor allem im europäischen Süden inzwischen etabliert. Kürzlich verabschiedete das italienische Parlament ein Gesetz gegen den "femminicidio", das unter anderem die Festnahme des Täters zwingend macht, wenn er auf frischer Tat gestellt wird – und es als strafverschärfend wertet, wenn die Tat in oder nach Ende einer Liebesbeziehung geschieht. Bis Anfang der 1980er Jahre waren die Verhältnisse noch umgekehrt: Da erhielt ein Mann, der seine Frau mit einem andern erwischte und sie auf der Stelle tötete, einen erheblichen Strafnachlass.

Was plant Ministerin Giffey?

Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD vereinbart, die Hilfestrukturen für Frauen und Kinder zu verbessern, die von Gewalt betroffen sind. Auch ein bedarfsgerechter Ausbau sowie die finanzielle Absicherung der Arbeit von Frauenhäusern soll erreicht werden. Giffey sagte, dass ein Runder Tisch dazu von Bund, Ländern und Kommunen im September eingerichtet worden sei. Derzeit gebe es bundesweit 350 Frauenhäuser und 600 Fachberatungsstellen, die rund 30.000 Frauen und Kinder versorgen könnten. Der Bedarf sei aber wesentlich größer. Daher wolle der Bund im Jahr 2020 für die Umsetzung des Aktionsprogramms zur Prävention und Unterstützung von Gewalt betroffenen Frauen und Kindern 35 Millionen Euro aufwenden. Langfristig will die Ministerin erreichen, dass es einen Rechtsanspruch auf Schutz vor Partnerschaftsgewalt gibt.

Was sagen Kritikerinnen?

Kritik gab es von der Opposition: Die Frauenpolitikerin der Linken, Cornelia Möhring, bemängelt, dass Giffeys Zahlen nicht die ganze Tragweite des Problems spiegeln. Sie zeigten nicht, was außerhalb einer Beziehung passiere: Es seien 2017 zwar 147 Frauen von ihrem (Ex-)Partner getötet worden, aber "227 außerhalb einer Beziehung“, erklärte Möhring. Nötig seien nicht nur mehr Studien zu häuslicher Gewalt, sondern auch "umfassende Untersuchungen zu allen Formen der Gewalt an Frauen, damit diese wirksam bekämpft werden kann. Die letzte Dunkelfeldstudie zu häuslicher Gewalt ist 14 Jahre alt." Zu Tötungsdelikten außerhalb von Beziehungen lägen der Bundesregierung so gut wie gar keine Erkenntnisse vor. Außerdem müsse sichergestellt werden, dass kein Frauenhaus mehr eine bedrohte Frau abweisen müsse. Möhrings Grünen-Kollegin Ulle Schauws kritisierte, dass Giffey den Frauenhäusern lediglich projektbezogen Geld zukommen lasse. Das sei "keine Lösung für den flächendeckenden Schutz für Frauen vor häuslicher Gewalt, sondern leider wieder eine Umgehung des eigentlichen Problems. Frauenhäuser brauchen bundesweit eine verlässliche Finanzierung", erklärte Schauws.

Die Vorsitzende der Strafrechtskommission des Deutschen Juristinnen-Bundes djb, Leonie Steinl, erklärte, mehr als sieben Jahre nach der Verabschiedung der Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen sei es „höchste Zeit, dass Bund, Länder und Kommunen gemeinsam sicherstellen, dass alle Frauen in Deutschland sicher und frei von Gewalt leben können“. Steinl mahnte gegenüber dem Tagesspiegel aber weitere Maßnahmen an: Es fehlten nicht nur Tausende von Plätzen in Frauenschutzhäusern. Auch behinderte Frauen hätten kaum Zugang und „Schutzunterkünfte für männliche Opfer häuslicher Gewalt fehlen vollständig“.

Justiz, Staatsanwaltschaften und Polizei brauchten zudem Fortbildung zum Thema Partnerschaftsgewalt. Erfreulich sei, dass die Ministerin klargestellt habe, „dass Gewalt gegen Frauen keinesfalls ein Minderheitenproblem ist“, sagte Steinl. Sie werde fälschlicherweise unter Stichworten wie Ehrenmord, Zwangsehen und Genitalverstümmelung oft nur mit religiösen oder ethnischen Minderheiten in Verbindung gebracht. „Darüber darf allerdings nicht vergessen werden, dass Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt auch in der Mehrheitsgesellschaft verankert sind.“ Über die genannte tödliche Gewalt hinaus nannte sie Zwangssterilisationen behinderter Frauen oder Hate Speech gegen Frauen in Internet.

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