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Bundeskanzlerin Angela Merkel und der russische Präsident Wladimir Putin.

© Charles Platiau/AFP

Mord in Berlin-Moabit: Bundesregierung widerspricht Putins Aussagen über getöteten Georgier

Moskau hat von Deutschland nie die Auslieferung des später ermordeten Georgiers beantragt. Auch an anderen Behauptungen von Wladimir Putin gibt es Zweifel.

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Einem Staatspräsidenten öffentlich nachzuweisen, dass er die Unwahrheit gesagt hat, ist in der internationalen Diplomatie ein ziemlich ungewöhnlicher Vorgang. Das galt bisher insbesondere für das deutsch-russische Verhältnis.

Doch nachdem die Kanzlerin den russischen Präsidenten beim Ukraine-Gipfel in Paris aufgefordert hatte, bei der Aufklärung des Mordes an einem Georgier zu kooperieren, war Wladimir Putin zum Gegenangriff übergegangen: „Die russische Seite hat mehrmals die Bitte an die deutschen Kollegen geäußert, diesen Menschen, diesen Killer auszuliefern, und da sind wir leider auf kein Verständnis gestoßen.“ Das wies die Bundesregierung am Mittwoch nun kategorisch zurück: „Ein Auslieferungsersuchen Russlands zum Tatopfer ist der Bundesregierung nicht bekannt“, sagte ein Sprecher des Justizministeriums.

Der angebliche „Killer“, von dem Putin spricht, der Georgier Zelimkhan Khangoshvili, wurde im August in Berlin von einem Auftragsmörder erschossen. Die Bundesanwaltschaft sieht Anhaltspunkte für eine Beteiligung staatlicher Stellen in Russland. Der mutmaßliche Täter ist in Berlin in Haft. Nach den Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft muss er allerdings noch mindestens einen Helfer gehabt haben. Der Mordfall hat eine diplomatische Krise zwischen Deutschland und Russland ausgelöst, die Bundesregierung wies zwei Mitarbeiter der russischen Botschaft in Berlin aus.

Beim Ukraine-Gipfeltreffen in der Nacht zu Dienstag äußerte sich Putin nicht zu dem Mordfall selbst, sondern sprach ausführlich über das Opfer. Putin beschrieb Khangoshvili als Kämpfer, dessen Hände mit Blut befleckt gewesen sein sollen. Dieser sei gar kein Georgier gewesen. Er habe aktiv an Kampfhandlungen auf der Seite von Separatisten im Kaukasus teilgenommen. Richtig ist, dass Khangoschvili georgischer Staatsbürger war und der ethnischen Minderheit der Kisten angehörte, die eng mit den Tschetschenen verwandt sind. Er kämpfte im zweiten Tschetschenienkrieg auf der Seite der Separatisten gegen die russische Armee und galt als Weggefährte des Separatistenführers Aslan Maschadow.

Aber an der Theorie, dass mit dem Mord in Berlin alte Rechnungen beglichen worden sein könnten, gibt es auch in Russland massive Zweifel: Mehr als die Hälfte der männlichen Bevölkerung Tschetscheniens und fast die gesamte heutige Führung der Teilrepublik hätten sich an den Kampfhandlungen beteiligt, sagte der russische Journalist Roman Dobrochotow dem Sender „Echo Moskwy“. Das sei kein hinreichender Grund für einen Mord.

Khangoshvili war für georgischen Geheimdienst tätig

Doch glaubt man Putin, hat Khangoshvili nicht nur in Tschetschenien gekämpft, sondern sich auch an Anschlägen von Islamisten beteiligt: „Er war einer der Organisatoren der Terroranschläge in der Moskauer Metro“, sagte der Präsident. Gemeint sind offenbar die verheerenden Sprengstoffattentate im März 2010, bei denen 40 Menschen getötet worden waren.

Von diesem Vorwurf war allerdings in Russland vor dem Berliner Mord nichts zu hören. In den jahrelangen Ermittlungen zu den Anschlägen in Moskau seien nie Beweise für eine Beteiligung Khangoshvilis vorgelegt worden, sagte Dobrochotow, Chefredakteur des russischen Mediums „The Insider“, das gemeinsam mit der Rechercheplattform Bellingcat und dem Spiegel schon früh Hinweise auf eine Beteiligung staatlicher Stellen in dem Berliner Mordfall gefunden hatte.

Auch ein wichtiges Detail aus Khangoshvilis Leben steht im Widerspruch zum Bild des islamistischen Terroristen: Über längere Zeit soll er für georgische sowie für US-Nachrichtendienste tätig gewesen sein. Dabei gab er offenbar auch Informationen über Islamisten weiter.

Russen erwähnten nie angeblichen Terroranschlag

Deutsche Sicherheitskreise halten Putins Vorwürfe für substanzlos. Die Russen hätten Khangoshvili nie im Zusammenhang mit einem Anschlag auf die Moskauer Metro oder einem anderen Terrorangriff erwähnt, hieß es bei Experten. Es sei nicht nur kein Antrag auf Auslieferung bekannt. Die russische Botschaft habe zudem nie angeregt, Khangoshvili wenigstens in Deutschland vor Gericht zu stellen. Dabei sei die russische Botschaft „nicht zimperlich, wenn es darum geht, hier Druck aufzubauen“, sagte ein hochrangiger Fachmann.

Der russische Inlandsnachrichtendienst FSB hatte den deutschen Behörden lediglich mitgeteilt, Khangoshvili unterhalte Kontakte zu Terroristen im Kaukasus und sei Anhänger des „Kaukasischen Emirats“.

Er wurde in Deutschland deshalb zeitweise als Gefährder eingestuft. „Der Mann hatte eine bewegte Vergangenheit“, sagte ein Sicherheitsexperte. Doch über einen Anschlag hätten die Russen nichts berichtet.

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