zum Hauptinhalt
Mit der Beisetzung im Pantheon erwies Frankreich Simone Veil und ihrem Ehemann Antoin Anfang Juli die letzt Ehre.

© Zakaria ABDELKAFI/AFP

Mon BERLIN: Moderne Madonna gegen grotesken Löwen

Während Seehofer sein trauriges Politspektakel aufführt, erweist Frankreich Simone Veil die letzte Ehre. Welch eine Diskrepanz. Eine Kolumne.

Als würde das lächerliche, traurige Spektakel, das der CSU-Matador Horst Seehofer ablieferte, allein nicht schon genügen, um mich zu bestürzen – am 1. Juli stieß ich beim Zappen auf ein Ereignis, das sich gleichzeitig in Paris abspielte und das mir das Groteske an Seehofers Schau noch deutlicher vor Augen führte.

In München eine Parade von Staatskarossen, eine Mauer von Fotografen und mürrische Politiker in einer endlosen Sitzung hinter verschlossenen Türen. Hin und wieder kreuzt ein knurriger Riese mit hochgezogenen Schultern das Bild, ohne sich um die ihn anflehenden Mikros zu scheren. Nur gelegentlich lässt er einen kurzen Satz fallen. Sie mache „aus einer Mickymaus ein Monster“, sagt er. Oder auch: „Ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten.“ Er meint die Kanzlerin, wohlbemerkt. Ein Journalist erinnert an den Ausspruch Kohls: „Wenn der bayrische Löwe brüllt, dann verbreitet er nur noch Mundgeruch.“

Zur selben Zeit in Paris: republikanische Garden mit goldenen Helmen, ein riesiger Tempel mit einer Kuppel, eine ergriffene Menschenmenge und ein Präsident, der Simone Veil die letzte Ehre erweist, der ersten Präsidentin des Europaparlaments, der ehemaligen Gesundheitsministerin, die 1975 die Abtreibung legalisierte, der Auschwitzüberlebenden. Ein Jahr nach ihrem Tod wird sie mit ihrem Mann Antoine im Pantheon beigesetzt, diesem in Deutschland undenkbaren Mausoleum. „Den großen Männern dankt das Vaterland“, steht sinngemäß in goldenen Lettern am Giebel dieses weltlichen und republikanischen Tempels. Selten genug finden „große Frauen“ dort ihre letzte Ruhestätte. Simone Veil ist erst die fünfte. Sie wird in einer nagelneuen Krypta ganz in der Nähe von Voltaire, Victor Hugo, Marie Curie und Emile Zola ruhen, in der Nähe des Widerstandkämpfers Jean Moulin und der „Gerechten Frankreichs“, jener Franzosen, die während des Krieges Juden geholfen haben.

Ich denke gerade über Eleganz als Tugend in der Politik nach, als Macron der Menge zuruft: „Die Franzosen lieben Sie, Madame!“ Es ist billig, einen Spruch mit Stammtischniveau mit einer einfachen Huldigung zu vergleichen, in der das Wort Madame allen Respekt beinhaltet, den die Franzosen Simone Veil entgegenbringen. Es ist billig, einen bayrischen Terrier, der sich für einen Löwen hält, neben eine „moderne Madonna“ zu stellen. Ein merkwürdiger Vergleich für eine jüdische Auschwitzüberlebende, aber so nennt Bernard-Henri Lévy sie in einem Text, den er diesem „großen republikanischen Moment der Brüderlichkeit“ widmet.

Schade, dass die „Pantheonisierung“ Simone Veils diesseits des Rheins fast unbemerkt geblieben ist. Die Bayern hatten an jenem Sonntag die Bühne allein besetzt. Und während Horst Seehofer weiter seine Schau abzieht, ähneln die Europäer immer mehr Teppichhändlern, die sich ihre Ware hin- und herschieben: Schickst du mir Flüchtlinge, mache ich die Grenze dicht. Nehmt ihr nicht auch welche, dürft ihr nicht mehr in meinen Häfen anlegen. Währenddessen spricht Emmanuel Macron vor dem Sarg der Europäerin Simone Veil von den „üblen Winden, die wieder wehen“. Er hätte gerne, dass Simone Veils „Kämpfe“, ihre „Würde“ und ihre „Hoffnungen“ „ein Kompass bleiben in diesen unruhigen Zeiten, durch die wir gehen – weil sie das Schlimmste des 20. Jahrhunderts erlebt hat und dennoch dafür gekämpft hat, dass es ein Besseres wird.“

Aus dem Französischen übersetzt von Odile Kennel.

Zur Startseite