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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erinnern nahe der nordfranzösischen Stadt Compiègne an das Ende des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren.

© Kay Nietfeld/dpa

Mon BERLIN: Deutsch-französische Traurigkeit

Es sind nicht die Gespenster der Vergangenheit, es ist die Zukunft, die besorgniserregend ist. Eine Kolumne.

Als Ort für den Abschluss der Gedenkfeiern zum 100-jährigen Ende des Ersten Weltkriegs hat Emmanuel Macron Berlin auserwählt. Am Sonntag wird er vor dem Bundestag das Wort ergreifen und sich am Nachmittag mit Angela Merkel im Kanzleramt unterhalten. Man hat die beiden in den vergangenen Tagen ziemlich oft Arm in Arm gesehen. Sie haben alles getan, um ihre Einvernehmlichkeit und Solidarität zu betonen, den Frieden, der schon so lange zwischen ihren beiden Ländern herrscht. Aber ich muss zugeben, dass die große Show der deutsch-französischen Versöhnung mich dieses Mal ziemlich ratlos zurückgelassen hat. Waren die Gesten vielleicht ein wenig zu demonstrativ? Oder kann es sein, dass es immer schwieriger wird, sich vorzustellen, dass das kleine Frankreich und das bescheidene Deutschland irgendetwas am Lauf dieser krisengeschüttelten Welt ändern könnten?

Es fehlt die symbolische Kraft von Mitterand und Kohl in Verdun

Mehr als der Festakt unter dem Arc de Triomphe in Paris, mehr als die 80 Staatsoberhäupter nebeneinander bei der ewigen Flamme für den unbekannten Soldaten, mehr als die schöne Rede unseres Präsidenten hat mich ein Foto ergriffen: Angela Merkel und Emmanuel Macron in ihre Mäntel gehüllt, wie sie sich auf der Lichtung von Rethondes aneinanderklammern, dort, wo vor 100 Jahren der Waffenstillstand unterzeichnet wurde. Es ist das erste Mal seit Gründung der Bundesrepublik, dass ein/e deutsche/r Kanzler/in diesen Ort besucht. Sie ist blass, lehnt ihre Wange an die des jungen Präsidenten. Er legt den Arm um sie. Diesen Gesten fehlt die selbstbewusste Energie der Umarmungen zwischen Schmidt und Giscard, als Europa noch im Bau begriffen war. Es fehlt ihnen die symbolische Kraft des Händehaltens von Mitterrand und Kohl 1984 in Verdun. Das Bild von Rethondes strahlt Traurigkeit aus. Längst muss um die deutsch-französische Versöhnung nicht mehr gerungen werden. Es sind nicht die Gespenster der Vergangenheit, die diesen Tag überschatten. Die Zukunft ist es, die besorgniserregend ist. Theresa May hat es vorgezogen, in London zu bleiben. Donald Trump hat sich wegen des Regens geweigert, an einigen Gedenkfeiern teilzunehmen. Stattdessen hat er wütende, an Macron gerichtete Tweets versandt und ihn daran erinnert, dass Europa besser seinen Anteil am Budget der Nato zahlte, statt eine eigene Armee zu gründen, und dass die USA die größten Geldgeber der Nato seien.

Zuversichtlich stimmen einen die Gesten von Rethondes nicht

In diesem Kontext kann man in der etwas ungeschickten Umarmung leicht eine Geste der Verzweiflung sehen. Eine erschöpfte Kanzlerin, die in Kürze die politische Bühne verlassen wird, klammert sich an einen zur Zuversicht verdammten Präsidenten, der nicht bereit ist aufzugeben. Man könnte die Rollen aber auch vertauschen: Ein junger, in seinem Land unbeliebter Präsident, dessen große Europapläne wie Schnee in der Sonne dahinschmelzen, versucht, die Kanzlerin und verlässliche Partnerin noch ein wenig zu halten. Wer weiß, wer ihr bald folgen wird. Hat sich Macron bei seiner Rede vor den aus aller Welt angereisten Gästen unter dem Arc de Triomphe gefragt, wie dieser Jahrestag 2018 zukünftig interpretiert werden wird? „Das Symbol eines dauerhaften Friedens zwischen den Nationen oder der letzte Moment des Einvernehmens, bevor die Welt erneut im Chaos versinkt.“ Ob man will oder nicht – zuversichtlich stimmen einen die Gesten von Rethondes nicht. Eher schon denkt man an das Ende einer Epoche.

Aus dem Französischen übersetzt von Odile Kennel.

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