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Ein Kornfeld in Indiana - und kein Späti weit und breit.

© Reuters

Mon Berlin: Chinchin aus Indiana - und Bordeaux für Berlin

Was macht man am Wahltag in den USA, wenn man sich gerade in einem Dry County aufhält? Von den umständlichen Vorbereitungen auf einen süffigen Abend. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Pascale Hugues

Heute mal einen Tapetenwechsel. Ich schreibe Ihnen nicht aus Berlin, sondern aus jenem Land, das seit einigen Monaten, mehr als jedes andere, die Unterhaltungen zwischen Schöneberg und Mitte dominiert – den Vereinigten Staaten. Unverzichtbare Maßnahme für den kommenden Dienstagabend: Alkohol auf Vorrat kaufen. Nahezu alle Umfragen sehen zwar Hillary Clinton als klaren Sieger, doch ist man nie vor Last-Minute- Überraschungen gefeit. Was, wenn Donald Trump gewählt würde? Meine erste Maßnahme, bevor die Farce zur Realität wird: Ein Gläschen trinken oder zwei oder drei. Für den Berliner wäre das kein Problem. Der schlendert durch seinen Supermarkt und kauft sich eine Flasche. Hier aber, in einem Städtchen im Midwest, versteckt in einem gigantischen Meer aus Maisfeldern, ist das nicht ganz so einfach. Erstens musste man früher lange Zeit seine alkoholischen Wahlvorbereitungen im Voraus treffen. Denn am Wahltag, einem Dienstag, war es den Händlern verboten, Alkohol zu verkaufen. Erst wenn die Wahllokale schlossen – 18 Uhr –, konnte man sich wieder seinen Stoff besorgen. Und wer nicht in der Dunkelheit in unendlichen Schlangen auf seinen Muntermacher für die lange Wahlnacht warten wollte, musste sich eben im Voraus eindecken. Das Gesetz kommt aus dem 19. Jahrhundert. Es sollte verhindern, dass die Mächtigen die Stimmen der Arbeiter mit einem Freibier erkaufen. Das Gesetz wurde 2010 in Indiana, wo ich gerade bin, abgeschafft. Die Logik funktionierte einfach nicht mehr: In Indiana kann man seinen Zettel schon einen Monat vor dem Wahltag in die Urne werfen. Diese Early Vote Lokale sind jeden Tag geöffnet, für jene, die am Wahldienstag arbeiten oder verreist sind. Außerdem verhindert Wählen im Voraus Stau in den Wahlbüros. Würde das Gesetz also heute noch gelten, stünde die gesamte Bevölkerung von Indiana einen ganzen Monat lang unter Prohibition. Untragbar.

Im 300-Meter-Radius um Kirchen und Schulen gibt es keinen Alkohol

Zweite Hürde: Wenn ein Laden, der Alkohol verkauft, weniger als 300 Meter von einer Kirche, Schule oder Universität entfernt ist, haben Sie ebenfalls ein Problem. Das Gesetz fordert diesen Minimalabstand zwischen Orten der Spiritualität und denen des Spiritus. Also immer einen Zollstock im Einkaufskorb führen.
Drittes Problem: Sonntags einkaufen geht auch nicht. Der Alkoholverkauf ist am Tag des Herrn verboten, zumindest in Indiana, in diesem Bundesstaat, in dem die seltsamsten evangelikalen Kirchen wie Champignons aus dem Boden schießen. Die Blue Laws, die blauen Gesetze, wie man sie poetisch nennt, sind die staatlichen Pendants zu religiösen Vorschriften. Übrigens: Auch kein Alkoholverkauf an Heiligabend!
Besorgt, dass ich am Abend des D-Day auf dem Trockenen sitze, bin ich also schon vergangenen Donnerstag zu Big Red Liquors gefahren. Eine Flasche Sekt für Hillary und einen starken Schnaps für Donald. Als ich mit meinem prall gefüllten Einkaufskorb vor dem pausbäckigen und etwas abwesenden Kassenjunge stehe und mein Portemonnaie auspacke, fragt der nach meinem Ausweis. Mein Ausweis? Ich sehe ihn verdutzt an. Ich bin schon ein paar Jahre älter als 21. Ja, sagt der Junge, aber ich bin verpflichtet, von jedem einen Ausweis zu verlangen, der mir jünger erscheint als 40.

Wählt man besser mit Schwips?

Seit 2010 gibt es in Indiana dieses Gesetz, dass sich alle, die Alkohol kaufen wollen, an der Kasse ausweisen müssen. Resultat: unendliche Schlangen. Sogar 80-Jährige mussten ihre Ausweise zeigen. Das Gesetz wurde dann ziemlich schnell, 2011, dahingehend geändert, dass jeder, der vom Verkäufer auf unter 40 geschätzt wird, seinen Ausweis zeigen muss. Gesichtskontrolle wie beim Zoll. Normalerweise würde ich bei solcher Willkür an die Decke gehen. Normalerweise.... Diesmal aber zückte ich mit einem strahlenden Lächeln meinen Führerschein und verließ das Geschäft; vergnügt wie ein junges Mädchen. Ich muss mir trotz allem die Frage stellen: Ist man nicht vielleicht besonders geeignet, seine bürgerliche Pflicht mit einem kleinen Schwips zu erfüllen? Alkohol entspannt ja. Er besänftigt die Seele, löst Knoten in Magen und Kopf. Der Rausch ist der beste Zustand für das Wahllokal: weniger Wut, weniger Frust, weniger Ich-zeig’s-euch-da-oben! Was, wenn wir bei der Bundestagswahl im nächsten Herbst ein Gläschen Bordeaux an den Eingängen der Wahllokale ausgeben? Würde diese Geste das Wahlergebnis der AfD beeinflussen? Sicher ist: Eine solche Maßnahme hätte großen Einfluss auf einen anderen Wert: die Wahlbeteiligung.

- Aus dem Französischen übersetzt von Fabian Federl.

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