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Ein Straßenwärter hält an der Autobahn ein Schild mit der Aufschrift "130" in den Händen.

© Patrick Seeger/dpa

Mon BERLIN: Aggressiv auf der Rennbahn

Die Debatte über das Tempolimit ist absurd: Luftverschmutzung senken, Stress und Unfälle vermeiden - eine ausgezeichnete Idee! Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Pascale Hugues

Das erste Lied, das ich in der Schule im Deutschunterricht gelernt habe, sagt viel über deutsche Prioritäten aus. Nein, es handelte sich nicht um „Alle meine Entchen“, und schon gar nicht um das „Deutschlandlied“. Es war ein ziemlich blöder Refrain, den wir im Chor anstimmten: Autofahren ist so schön, wide wide wid bum bum. Wie sagen jetzt auf Wiederseh'n... wir fahren durch die ganze Welt, wide wide wid bum bum ... Der Lehrer, Herr Sturm, ein alter autoritärer Elsässer, hielt sich für einen Maestro und dirigierte mit beiden Händen unseren Kanon.

An diesen Refrain musste ich in den letzten Wochen denken, wenn ich die absurde Debatte über das Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen verfolgte, die dieses Land mehr zu beschäftigen scheint als der Brexit oder Donald Trumps Provokationen, mehr als die beunruhigend krisengeschüttelte Welt. Kilometerweise Kommentare in den sozialen Medien, noch und noch Leserbriefe an die Zeitungen hinsichtlich einer Maßnahme, die mir nur vernünftig erscheint. Die Luftverschmutzung senken, Stress und Unfälle vermeiden, was für eine ausgezeichnete Idee!

Es schockiert mich immer wieder, was für eine aggressive Stimmung auf den deutschen Rennbahnen herrscht. Es ist wohl kaum ein Zufall, dass man von der Auto-„Bahn“ spricht und nicht von der Auto-„Straße“. Man wird auf deutschen Autobahnen oft überholt, manchmal auch von rechts, und oft von einem selbsternannten Rennfahrer, der mit 200 Kilometern pro Stunde oder sogar noch schneller unterwegs ist und auf die Lichthupe drückt, damit man aus dem Weg geht.

Welche unterdrückte Aggression bricht sich hier Bahn? Ich hasse diese Drängler, die fast schon meine Stoßstange mit der Schnauze berühren wie ein wildgewordenes Tier, das hinter seiner Beute her ist.

Ganz anders die oft autoleeren US-amerikanischen Highways, wo imposante Schlitten mit der Geschwindigkeit von Tretrollern ruhig durch die unendlichen Weiten der Prärien gleiten. Sogar in Italien fährt man im Vergleich zu Deutschland ruhig und friedlich. Und wie angenehm ist es, auf eine französische Autobahn zu wechseln und sich vom gleichmäßigen Fluss der Autos tragen zu lassen!

Die Gegner von Tempo 130 wedeln drohend mit ihrer gelben Weste. Vorsicht! Volkswut! Rühr mein Auto nicht an! Sehen Sie nur, was bei Tempo 80 auf den französischen Nationalstraßen los ist! Wenn ihr keine gelben Westen in Deutschland wollt, dann begrabt dieses Projekt besser gleich.

Dabei übersehen sie unwillentlich oder willentlich, dass die Gelben Westen in Frankreich keine wohlhabenden Bürger sind, die Kreisverkehre besetzen, um in ihrem Mittelklassewagen einmal so richtig aufs Gaspedal drücken zu können. Ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen durchzusetzen ist ungefähr so vergeblich wie ein Waffenverbot in den USA oder ein Jagdverbot in Frankreich. Ein Selbstmord-Unternehmen für jeden Anwärter auf ein politisches Amt.

Freie Fahrt für freie Bürger! So ganz leuchtet es mir allerdings nicht ein, wieso das Recht, auf einer Autobahn zu rasen, ein Ausdruck von Freiheit sein soll. Und das in einer Gesellschaft, die ansonsten extrem geregelt und von Verboten nur so gepflastert ist! Arme Freiheit.

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