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Mitglieder des Senats im US-Kapitol.

© Uncredited/Senate Television/AP/dpa

Update

Mögliche Zeugin löst Chaos aus: Dramatische Stunden im Impeachment-Prozess – eine Rekonstruktion

Erst schien es so, als ob das Impeachment-Verfahren verlängert werden könnte. Dann machten die Demokraten einen Rückzieher – und Trump wurde freigesprochen.

Begonnen hat alles mit der Abgeordneten Jaime Herrera Beutler. Die Republikanerin hatte in der Nacht zu Samstag über ein Telefonat zwischen Donald Trump und dem republikanischen Minderheitsführer im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, während der Erstürmung des Kapitols am 6. Januar berichtet und damit den Ex-Präsidenten erneut belastet.

Während McCarthy der Schilderung zufolge Trump in dem Gespräch mit Nachdruck aufforderte, einzuschreiten und seine Anhänger sofort zur Umkehr aufzufordern, soll der sich gleichgültig gezeigt haben. Stundenlang gelang es den überforderten Sicherheitskräften nicht, die Lage in den Griff zu kriegen, weil Verstärkung ausblieb. Am Ende waren fünf Menschen ums Leben gekommen, darunter ein Polizist, viele weitere wurden verletzt.

Wegen des Angriffs hatten die Demokraten im Repräsentantenhaus das bereits zweite Impeachment-Verfahren gegen Trump eingeleitet. Sie werfen ihm vor, seine Anhänger zu dem Aufstand angestachelt zu haben, um die Bestätigung des Wahlsiegs von Joe Biden im Kongress zu verhindern.

Explosive neue Informationen

Beutlers Aussage war aus Sicht der Ankläger im Impeachment-Prozess gegen Trump so explosiv, dass die sich entschieden, von ihrem Plan abzuweichen und doch noch Zeugen aufzurufen. Denn ihre Äußerungen zu dem Telefonat legten nicht nur nahe, dass Trump Hilferufe ignorierte und zurückwies, sondern auch, dass er mit den Angreifern sympathisierte.

Nachdem die Verteidigung am Freitag nur drei der ihr zustehenden 16 Stunden in Anspruch genommen hatte, war eigentlich erwartet worden, dass das Verfahren an diesem Samstag rasch und ohne weitere größere Aufregung zu Ende geht - nach gerademal fünf Verhandlungstagen, die es durchaus in sich hatten.

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Und nachdem der Fraktionschef der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, in einer E-Mail an Kollegen mitgeteilt hatte, dass er sich entschieden habe, nicht mit den Demokraten für eine Verurteilung Trumps zu stimmen, schien auch früh klar, wie der Samstag ausgehen würde: mit einem zweiten Freispruch Trumps in einem Impeachment-Verfahren. Ausgeschlossen schien, dass die Demokraten noch 17 Republikaner auf ihre Seite ziehen könnten.

Doch als der Chefankläger der Demokraten, der Abgeordnete Jamie Raskin, am Samstagmorgen um 10 Uhr an das Rednerpult im Sitzungssaal des US-Senats schritt, zündete er eine Bombe, die den weiteren Fortgang des Verfahrens über mehrere Stunden völlig ungewiss machte. Raskin erklärte, man wolle nun doch mindestens eine Zeugin anhören, die Abgeordnete Beutler solle eine Stunde lang per Videoschalte zugeschaltet werden.

Stürmische Zeiten im US-Kongress, wo die zweite Impeachment-Anklage gegen Donald Trump verhandelt wurde.
Stürmische Zeiten im US-Kongress, wo die zweite Impeachment-Anklage gegen Donald Trump verhandelt wurde.

© Al Drago/REUTERS

In der darauffolgenden Abstimmung schlossen sich zunächst vier Republikaner der Forderung der Demokraten an, doch noch Zeugen zu hören: Mitt Romney, Susan Collins, Lisa Murkowski und Ben Sasse, alles Senatoren, die angekündigt hatten, Trump schuldig sprechen zu wollen.

Lindsey Graham drohte mit extremen Verzögerungen

Nach kurzem Zögern änderte auch der Trump-Getreue Lindsey Graham seine Meinung und stimmte ebenfalls dafür, den Prozess zu verlängern, indem Zeugen zugelassen und neue Unterlagen angefordert werden könnten. Am Morgen hatte er getönt, dass er den Prozess extrem in die Länge ziehen würde, sollten die Demokraten sich für die Zulassung von Zeugen entscheiden.

Ein sichtlich verärgerter Trump-Anwalt Michael van der Veen polterte, falls Zeugen vorgeladen würden, würde er dann im Gegenzug auch „mehr als 100 Aussagen“ brauchen, „nicht nur eine“. Van der Veen drohte, auch die Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, sowie Vizepräsidentin Kamala Harris vorladen zu wollen.

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Auf einmal befand sich der Kongress in einer nie dagewesenen Situation. Ratlose Kommentatoren in den US-Medien versuchten, herauszufinden, was nun als nächstes passieren würde. Zeitgleich versuchten die Verantwortlichen des Prozesses, in intensiven Beratungen einen Weg zu finden, der den Zeitplan des Verfahrens nicht komplett über den Haufen werfen würde. Auf beiden Seiten war das Interesse, weitere Zeit in einen Prozess zu stecken, dessen Ausgang sicher schien, überschaubar.

Biden will seine Corona-Hilfen durch den Kongress bringen

Aus Sicht der Demokraten wäre eine Verzögerung um möglicherweise Wochen plus eine sich weiter zuspitzende Polarisierung im Kongress eine gefährliche Entwicklung gewesen. US-Präsident Joe Biden versucht derzeit, sein ambitioniertes Corona-Hilfspaket durch den Kongress zu bringen.

Dieses Vorhaben hätte dadurch erschwert werden können. Anvisiert ist eine Verabschiedung im März, da dann unter anderem zusätzliche Hilfen für Arbeitslose auslaufen. Die Republikaner, so wurde berichtet, hatten damit gedroht, alles Gesetzesvorhaben der Regierung zu verzögern, wenn der Impeachment-Prozess verlängert werden würde.

Am Ende ging es ganz schnell

Wie sehr am Samstag gepokert wurde, zeigten Trumps Anwälte, die sich mit Zettelstapeln fotografieren ließen, auf denen in gut lesbaren Großbuchstaben die Drohung stand: „Zeugenliste 301 (bisher)“. Schwer vorstellbar war einerseits, dass die Demokraten Dutzende angebliche Zeugen zulassen würden, die das Verfahren aus der Bahn werfen könnten. Über jeden Zeugen müsste abgestimmt werden, 51 Senatoren jeweils zustimmen. Andererseits wäre es auch schwer vermittelbar, dass die Demokraten eigene Zeugen durchsetzen, aber der Verteidigung das gleiche Recht verwehren könnten, da die Republikaner nur 50 Senatoren stellen.

Am Ende wurde dann doch auf Zeugen verzichtet, stattdessen wurde einmütig beschlossen, Beutlers Bericht in die Prozess-Unterlagen aufzunehmen. Die Demokraten, gerade noch für ihre überzeugende Verhandlungstaktik gefeiert, gaben nach – durchgesetzt hatte sich offenbar die pragmatische Sicht, nach der das Erbe der Ära Trump am besten mit einer erfolgreichen Regierungsbilanz bekämpft werden könne. Nicht mit den Schlachten der Vergangenheit.

Ganz am Ende äußerte sich Mitch McConnell

In ersten Reaktionen war dennoch viel Kritik und Enttäuschung zu hören. Den Demokraten wurde vorgeworfen, sich verzockt zu haben. Nichtsdestotrotz begannen danach die Abschlussplädoyers - und beide Seiten schöpften hier ihre Zeit gar nicht mehr aus. Noch am Samstag wurde Trump dann wie erwartet freigesprochen. Zwar stimmten sieben Republikaner für seine Verurteilung. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit wurde damit aber verfehlt.

Und dann, nachdem auch er Trump nicht hatte verurteilen wollen, ergriff der Republikaner McConnell das Wort, der so lange erklärt hatte, sich noch nicht entschieden zu haben. Was er zu sagen hatte, deckte sich zu erstaunlich großen Teilen mit dem, was die Demokraten gegen Trump vorgebracht hatten.

Trump habe seine Anhänger wochenlang mit Lügen zu seiner angeblich haushoch gewonnenen Wahl aufgehetzt. Er habe die Erstürmung „orchestriert“ und habe seine Pflichten als Präsident „schändlich“ verletzt. Trump sei „praktisch und moralisch“ für die Erstürmung des Kapitols durch seine Anhänger verantwortlich. Darum habe er auch ein Impeachment verdient, sagte McConnell. Nur: Da er nicht mehr im Amt sei, könne man ihn auch nicht verurteilen.

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