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Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD).

© Julian Stratenschulte/dpa

Update

Mitgliederentscheid über Groko: Weil moniert falsche Themensetzung der SPD

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil fordert einen Kabinettsposten für sein Land Niedersachsen - und übt deutliche Kritik an seiner Partei. Altkanzler Schröder lobt dagegen den Koalitionsvertrag.

Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Stephan Weil sieht die Schwäche seiner Partei hingegen auch in einer falschen Themensetzung begründet. „Systemdiskussionen interessieren kaum jemanden. Bei meinen Bürgerversammlungen hat mich kein einziger Mensch auf die Bürgerversicherung angesprochen. Auch die Debatten über Freihandelsabkommen oder Vorratsdatenspeicherung interessieren dort kaum jemanden“, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Die Partei habe aber über Jahre darauf verzichtet, streitige Sachfragen zu klären, etwa zur Aufnahme von Flüchtlingen oder in der Energiepolitik. Im Wahlkampf habe die SPD auch deshalb profillos gewirkt, da zuvor unter dem Vorsitz von Sigmar Gabriel keine Klärungen erfolgt seien. Allerdings hatte auch Gabriel im Dezember einen ähnliche Analyse abgegeben. Er sprach sich damals im „Spiegel“ auch für eine offene Debatte über Begriffe wie „Heimat“ und „Leitkultur“ aus.

SPD steckt im Umfragetief

Die SPD hatte bei der Bundestagswahl im September mit 20,5 Prozent abermals ihr schlechtestes Ergebnis eingefahren. Angesichts zahlreicher Personalquerelen ist sie inzwischen in einer Insa-Umfrage für die „Bild“-Zeitung gar auf 15,5 Prozent gefallen und liegt damit erstmals bundesweit hinter die AfD mit 16 Prozent.

Das hat in der Partei einen weiteren Schock ausgelöst. Er könnte allerdings beim am Dienstag begonnenen SPD-Mitgliederentscheid über eine neue große Koalition noch zu einem anderen Effekt führen: dass nämlich mancher Skeptiker doch mit Ja stimmt, weil eine Neuwahl die SPD-Krise noch weiter verschlimmern könnte. Die Abstimmung erfolgt schriftlich per Brief, das Ergebnis soll am 4. März verkündet werden.

Weil forderte, dass die niedersächsische SPD mit ihrem „richtig guten Personalangebot“ einen der künftigen SPD-Kabinettsposten erhält. Über eine mögliche Regierungszukunft des geschäftsführenden Außenministers Gabriel, der dem Landesverband angehört, wollte er sich nicht äußern.

Die designierte SPD-Vorsitzende, Bundestagsfraktionschefin Andrea Nahles, verlangte angesichts der Umfragewerte mehr Disziplin in der Partei. Die SPD brauche „mehr Teamarbeit und mehr kommunikative Disziplin“, sagte Nahles dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Wenn wir uns nicht dauernd nur mit rückwärtsgewandten Debatten beschäftigen, haben wir eine Menge Anknüpfungspunkte.“

Selbstkritisch äußerte sich Nahles über den Abgang von Martin Schulz, der zunächst Außenminister werden wollte, dann aber wegen des öffentlichen Drucks zurückzog. „Das ist in der Tat ein Einschätzungsfehler gewesen, den wir zusammen gemacht haben“, sagte sie. Parteivize Thorsten Schäfer-Gümbel sagte der „Tageszeitung“: „Es war eine kollektive Fehleinschätzung.“

Die Kandidatin für das Amt der SPD-Bundesvorsitzenden Simone Lange positioniert sich gegen eine erneute Regierungsbeteiligung ihrer Partei. „Ich habe beschlossen, mich gegen die Groko auszusprechen“, sagt Lange, die Flensburger Oberbürgermeisterin ist, in einem Gespräch mit der Regionalausgabe der "Zeit" im Osten. „Ich glaube, der Geist des Koalitionsvertrages ist weder gut für das Land noch für die SPD.“ Bislang hatte Lange ihre Haltung zu einer möglichen großen Koalition offen gelassen.

Lange, die in der vorigen Woche überraschend verkündet hatte, bei der Wahl zur SPD-Vorsitzenden gegen Nahles anzutreten, kritisiert in der ZEIT die ausgehandelten Ergebnisse für einen Koalitionsvertrag: „Ich finde auf den 180 Seiten zu viel Unverbindlichkeit. In dieser Vereinbarung stehen zu oft die Wörter ‚wollen‘ und ‚beabsichtigen‘ statt ‚werden‘.“ Und weiter: „Gleichzeitig verpflichten wir uns, alle Entscheidungen in der Koalition einvernehmlich zu treffen“, sagt die 41-jährige SPD-Politikerin

Die SPD wählt auf einem Bundesparteitag am 22. April eine neue Parteispitze. Unter mehreren Mitgliedern, die sich neben Bundestagsfraktionschefin Andrea Nahles zur Wahl stellen, ist Simone Lange die prominenteste Kandidatin.

Gerhard Schröder beim SPD-Parteitag im Juni 2017 in Dortmund.
Gerhard Schröder beim SPD-Parteitag im Juni 2017 in Dortmund.

© Wolfgang Rattay/REUTERS

SPD-Fraktionsvize Eva Högl sieht den anstehenden Beschluss der Parteimitglieder für oder gegen eine große Koalition unterdessen als politisch bindend für die SPD-Bundestagsabgeordneten an. „Es ist nicht vorstellbar, dass die SPD-Bundestagsfraktion für eine Koalition stimmt, wenn die Mitglieder das mehrheitlich abgelehnt haben“, sagte Högl der „Rheinischen Post“ und fügte hinzu: „Auch wenn wir kein imperatives Mandat haben.“

Der Altkanzler und frühere SPD-Vorsitzende Gerhard Schröder warb eindringlich für die Zustimmung seiner Partei zu einer Neuauflage der großen Koalition. Die neue Führung der Sozialdemokraten müsse und werde um eine positive Entscheidung der SPD-Mitglieder zum Koalitionsvertrag kämpfen. Auch das gebe Anlass zu der Hoffnung, dass sich die „kollektive Vernunft engagierter Mitglieder durchsetzt“, heißt es in einem Redemanuskript Schröders für eine Wirtschaftsveranstaltung in München, das der „Süddeutschen Zeitung“ vorliegt. Die Verhandler der SPD hätten ein Ergebnis erreicht, dass „sich wahrlich sehen lassen kann.“ (dpa)

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