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Der Regenwald im Amazonas brennt. Meist sind die Feuer gelegt.

© Bruno Kelly/Reuters

Mit Drohungen, Anschlägen und Mord: Wie Brasiliens Präsident die „Regenwald Mafia“ wüten lässt

Indigene und Umweltschützer in Brasilien werden schon lange bedroht. Seit der Amtsübernahme von Präsident Bolsonaro ist ihre Arbeit lebensgefährlich.

Der Mörder von Maxciel Pereira dos Santos feuerte zwei Kugeln ab. Sie trafen den Mitarbeiter von Brasiliens Indio-Behörde Funai in den Kopf. Santos fuhr gerade mit dem Motorrad durch die Stadt Tabatinga, seine Frau war bei ihm, es war kurz vor 19 Uhr, der Mörder fühlte sich offenbar sicher. Tabatinga liegt im Dreiländereck zwischen Brasilien, Kolumbien und Peru ganz im Nordwesten des Amazonasgebiets.

Es sieht alles danach aus, dass Santos Anfang September gezielt umgebracht wurde, von einem „Vergeltungsmord“ spricht die Indio-Behörde Funai, für die Santos zuletzt im Vale do Javari gearbeitet hatte, einem der größten Indigenen-Reservate Brasiliens. Rund 5000 Ureinwohner verschiedener Ethnien leben dort auf einer Fläche von der Größe Österreichs. Das Reservat ist die Heimat von mehr als einem Dutzend kleiner Indio-Gruppen, die so gut wie keinen Kontakt mit der Außenwelt haben. Sie leben noch wie vor Hunderten von Jahren.

Trotz seiner enormen ökologischen und kulturellen Bedeutung ist das Vale do Javari in Gefahr, weil immer häufiger illegale Jäger, Holzfäller und Goldsucher eindringen. Sie bringen Krankheiten mit und vertreiben die Ureinwohner, oft mit Gewalt.

Maxciel Santos arbeitete vor seinem Tod an einem isolierten Funai-Stützpunkt im Vale do Javari. Seine Funktion: der Schutz einer Waldregion.

Zuletzt mussten sich die Funai-Mitarbeiter jedoch vor allem selbst schützen. Ihre Station wurde dieses Jahr immer wieder angegriffen, im Juli schossen Wilderer auf das Gebäude. Hinter dem Mord an Santos vermuten seine Kollegen daher Jäger, Holzfäller oder Goldsucher.

Der Mordfall passt zu einer beunruhigenden Entwicklung: In Brasilien werden Umweltschützer sowie Ureinwohner und ihre Verbündeten immer häufiger Ziele von Anschlägen und Drohungen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat jetzt einen Bericht veröffentlicht, in dem sie vor einer drastischen Verschlimmerung der Lage unter Präsident Jair Bolsonaro warnt.

Bolsonaro attackiert Umweltorganisationen als „Instrumente ausländischer Mächte“

Bolsonaro hat klar gemacht, dass er Umwelt- und Indigenenschutz für überflüssig hält. Sie stünden der wirtschaftlichen Entwicklung im Weg. Häufig attackiert Bolsonaro Umweltorganisationen als „Instrumente ausländischer Mächte“, die es auf Brasiliens Bodenschätze abgesehen hätten. Zudem diskreditiert er staatliche Behörden wie die Funai oder die Umweltinstitute ICMBio und Ibama. Letztere beschimpfte er als „Strafzettelindustrie“, ihre Spitzen ließ er mit Militärs besetzen, ihre Strafaktionen gegen Umweltsünder aussetzen.

Die Grüne Lunge bewahren – das wollen die indigenen „Waldwächter“.
Die Grüne Lunge bewahren – das wollen die indigenen „Waldwächter“.

© Ueslei Marcelino/Reuters

Bolsonaro bester Verbündete ist sein Umweltminister Ricardo Salles. Einmal reiste Salles persönlich zu illegalen Holzfällern, um sich für eine Ibama-Aktion zu entschuldigen. Ein anderes Mal lud er illegale Goldsucher in den Präsidentenpalast ein, um ihre Sorgen zu hören.

Das Signal, das die Regierung sendet, ist unmissverständlich: Umweltsünder dürfen unter Bolsonaro mit Nachsicht und sogar Unterstützung rechnen. Menschen, die sich ihnen entgegenstellen, leben hingegen noch gefährlicher als schon zuvor.

Der Bericht von Human Rights Watch trägt den Titel „Regenwald Mafias: Wie Gewalt und Straffreiheit die Entwaldung in Brasiliens Amazonasregion verstärken“. Es werden darin Dutzende Fälle von Morden, Mordversuchen und Morddrohungen gegen

Jair Bolsonaro ist seit Anfang des Jahres Präsident in Brasilien.
Jair Bolsonaro ist seit Anfang des Jahres Präsident in Brasilien.

© Adriano Machado/Reuters

Umweltaktivisten aus den vergangenen fünf Jahren berichtet. Die Zahlen stammen von der Landpastorale (CPT), einer Organisation der katholischen Kirche. Demnach wurden bereits seit 2009 mehr als 300 Menschen bei Landkonflikten im Amazonasgebiet getötet. Nur in 14 Fällen kam es am Ende zu einem Prozess.

Bei den Fällen, die Human Rights Watch genauer unter die Lupe nimmt, gibt es ein klares Muster: Die Umweltschützer stellten sich mächtigen Interessen in den Weg. In so gut wie allen Fällen gab es schwere Versäumnisse der Behörden. Häufig erschienen nicht einmal Polizisten an den Tatorten, obwohl sie in einigen Fällen unweit von einer Polizeiwache lagen. Die Polizei stellte immer nur dann Untersuchungen an, wenn ein Mord für überregionale Aufmerksamkeit sorgte. Anzeigen wegen Morddrohungen aber nahm sie nie auf.

Ein besonders brutaler Fall ereignete sich in diesem Jahr. Die Umweltschützerin Dilma Ferreira Silva und fünf weitere Menschen wurden im Bundesstaat Pará ermordet, weil sie sich gegen Großgrundbesitzer gewehrt hatten, die illegale Rodungen begingen. Um illegale Entwaldungen ging es auch 2018 in einer Siedlung mit dem Namen Terra Nossa, ebenfalls in Pará.

Ein Mann verschwand, ein anderer wurde umgebracht, nachdem sie angekündigt hatten, den Behörden von illegalen Abholzungen zu berichten. Als der Bruder eines der Opfer Nachforschungen anstellte, wurde auch er umgebracht.

Die Mafia besteht aus Holzfällern, Spekulanten und Großgrundbesitzern

Es folgte der Mord am Vorsitzenden einer Kleinbauerngewerkschaft. Zeugen sagen, dass alle vier Männer von einer bewaffneten Miliz ermordet wurden, die im Auftrag einer Mafia aus Großgrundbesitzern handelte.

Die Umweltsünder-Mafias sind, das zeigt der Human Rights Watch-Bericht, verzweigter und besser organisiert, als es von Außen häufig scheint. Sie bestehen aus Holzfällern, Landspekulanten, Großgrundbesitzern und Viehzüchtern. Sie waren es auch, die hinter den Zehntausenden Bränden im Amazonasbecken steckten, die im August Menschen auf der ganzen Welt alarmierten.

Die Rodungen im Amazonas-Gebiet nehmen ein immer größeres Ausmaß an.
Die Rodungen im Amazonas-Gebiet nehmen ein immer größeres Ausmaß an.

© Ueslei Marcelino/Reuters

Doch Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro bestritt vor den Vereinten Nationen, dass die Brände stattgefunden hätten. Er bezeichnete die Berichte darüber als „Lügen“. Vor aller Welt schlug er sich damit auf die Seite der Mafias, die auch vor Mord nicht zurückschrecken.

Es verheißt nichts Gutes für Brasiliens Umweltschützer, die Ureinwohner und den Amazonaswald. Der linke brasilianische Senator Randolfe Rodrigues warnte bereits: „Seit der Diktatur haben sich Brasiliens Ureinwohner nicht mehr so bedroht gefühlt. Bolsonaro regiert mit der Mentalität eines portugiesischen Söldners aus dem 16. Jahrhundert.“

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