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Politik: Mit dem Segen der Mullahs

Die Iraner wählen Freitag einen neuen Präsidenten Moderate Gruppen wollen nun ihre Kräfte bündeln.

Kairo - Nichts ist geblieben von der politischen Feierstimmung vor vier Jahren. Im Juni 2009, wenige Tage vor der Wahl, bildete eine halbe Million Anhänger der „grünen Bewegung“ eine Menschenkette quer durch Teheran – von den armen Bezirken im Süden bis zu den wohlhabenden Vierteln im Norden der Stadt. Abend für Abend versammelten sich zehntausende junger Leute im zentralen MellatPark zu Sit-ins, sie hockten bis in die frühen Morgenstunden zusammen und diskutierten über Politik. Junge Frauen auf Rollerblades fuhren umher, verteilten grüne Schals und grüne Stirnbänder.

Ganz anders diesmal, wenige Tage vor der Präsidentenwahl am Freitag. Vereinzelt säumen Plakate der Kandidaten die Straßen. Kundgebungen unter freiem Himmel sind verboten, das Internet ist gedrosselt, an jeder Ecke stehen Aufpasser des Regimes, um jedes Aufbegehren im Keim zu ersticken.

Nach der Beinahe-Revolution vor vier Jahren wollen die Machthaber um Revolutionsführer Ali Chamenei heute nichts dem Zufall überlassen. Bereits im Vorfeld schloss der Wächterrat in einem undurchsichtigen Verfahren alle Kandidaten aus, die die Sehnsucht der Bevölkerung nach gesellschaftlicher Öffnung hätten artikulieren können. So darf Ex-Präsident Akbar Hashemi Rafsandschani ebenso wie der schillernde Kritiker klerikaler Vormacht, Esfandiar Rahim Mashaie nicht antreten. Stattdessen wurden acht Bewerber zugelassen, von denen sechs stramm auf Chamenei-Linie sind und zwei in Nuancen moderater.

So blieb es bei wenigen Aufsässigkeiten – auch wenn es in Isfahan auf der Beerdigung eines prominenten Ajatollahs vor kurzem zur größten regierungskritischen Kundgebung seit zwei Jahren kam. „Tod dem Diktator“, skandierte die vieltausendköpfige Menge an die Adresse Chameneis. Auf mehreren Wahlkampfveranstaltungen von Hassan Rowhani hielten junge Leute Plakate von Mir-Hossein Mussawi und Mehdi Karrubi hoch, den Kandidaten der grünen Bewegung 2009, und skandierten „Freiheit für alle politischen Gefangenen“.

Das moderate Lager, gesteuert hinter den Kulissen von den Alt-Präsidenten Chatami und Rafsandschani, bündelte am Dienstag seine Kräfte. „Ich habe einen Brief Chatamis erhalten mit dem Inhalt, es wäre unklug weiterzumachen“, begründete Mohammad Reza Aref seinen Rückzug zugunsten seines charismatischeren Mitbewerbers Rowhani. Ob er überhaupt Chancen hat, ist unklar. Zuverlässige Meinungsumfragen gibt es nicht. So sehen die einen den gegenwärtigen Atomunterhändler Saeed Dschalili vorne, andere Teherans Bürgermeister Bagher Qalibaf oder Ex-Außenminister Ali Akbar Velajati.

Entscheidend wird sein, wie sich das Volk am Wahltag verhält. Die Hälfte aller 50 Millionen Stimmbürger ist jünger als 35 Jahre, kennt die Revolution von 1979 nur aus Erzählungen. Und noch ist unklar, ob die Iraner nach den Unruhen und Prozessen von 2009 die diesjährige Kandidatenfarce boykottieren oder sie trotz allem mit einer akzeptablen Wahlbeteiligung legitimieren. „Wir hatten acht Jahre Rafsandschani und acht Jahre Chatami – und was hat es uns gebracht? Alles ist viel schlimmer als zuvor“, klagte dieser Tage eine junge Iranerin. Martin Gehlen

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