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Im Gespräch. Außenministerin Annalena Baerbock besuchte Soldaten und Soldatinnen im Feldlager im malischen Gao. Wie lange die Bundeswehr noch in Westafrika sein wird, entscheidet sich im Mai.

© IMAGO/photothek

Mission mit 100 Bundeswehrsoldaten: Baerbocks Mali-Dilemma

In Westafrika geht es für die Außenministerin um die Fortsetzung des Bundeswehr-Einsatzes – und um Diplomatie mit Putschisten.

Zumindest bei der Präsentation ist die Truppe kaum zu schlagen. Nachdem die Airbus-Maschine der Bundeswehr vom Flughafen der malischen Hauptstadt Bamako abgehoben hat, nehmen fünf mit automatischen Gewehren bewaffnete Soldaten ihre Position auf der erhöhten Ladeluke im inneren der Maschine ein – wie zu einer Opernaufführung. Zu ihren Füßen kauert die rund 50-köpfige Delegation, die Außenministerin Annalena Baerbock auf ihrem Besuch in die westafrikanische Kriegsregion begleitet. Wer jetzt eine Arie erwartet, wird allerdings enttäuscht: Stattdessen setzt die Maschine rumpelnd auf dem Flugplatz des Militärstützpunkts in Gao auf, ab jetzt wird das Libretto von der harschen Wirklichkeit diktiert. Und der enormen Hitze.

Das Thermometer zeigt 39 Grad an, vergangene Woche soll es bereits auf 51 Grad geklettert sein, sagt ein Hauptmann zur Begrüßung im Camp Castor: „Bis 55 Grad arbeiten wir noch.“ Die Soldaten haben sich ihr Feldlager in der staubigen Sahelzone mit Fähnchen und deutschen Ortsschildern heimelig gemacht. Das ändert aber nichts an der Bedrohung: Islamistische Extremisten haben das Feldlager wiederholt schon unter Beschuss genommen – im vergangenen Juni wurden bei einem Hinterhalt auf ihre Patrouille zwölf Bundeswehrsoldaten verletzt. Minusma ist die gefährlichste Mission der Vereinten Nationen: 169 Blauhelme kamen in der neunjährigen Geschichte des UN-Einsatzes bereits ums Leben.

Mit der Gefahr hat es allerdings nichts zu tun, dass die Tätigkeit des deutschen Kontingents derzeit stark eingeschränkt ist. Vielmehr hat Malis Militärregierung den deutschen Aufklärern herbe Auflagen erteilt: Wollen sie ihre Drohnen vom Typ „Heron“ aufsteigen lassen, müssen sie mindestens drei Tage im Voraus um Erlaubnis fragen. In manchen Regionen des Landes – wo die Söldner der russischen Wagner-Truppe vermutet werden – ist deren Einsatz sogar ganz untersagt.

Was macht die Truppe unter diesen Voraussetzungen hier überhaupt noch? Die Frage hat Annalena Baerbock trotz des Ukrainekriegs in die Sahelzone getrieben: Ende Mai steht die Entscheidung des Bundestages über die Verlängerung des Bundeswehr-Einsatzes in Mali an – und nicht nur die Gefahr oder die Hitze sprechen dafür, die Truppe abzuziehen.

Es sollen bereits rund 1000 russische Söldner im Land sein

Das Problem sind die anderen: die Franzosen, das malische Militär – oder die Russen. Im vergangenen Jahr kündigte Paris an, die 5500 Soldaten ihrer Barkhane-Mission zumindest zu reduzieren – woraufhin Malis Militärregierung auf ein Angebot Moskaus zurückkam, die Söldner der Wagner-Truppe gegen Bezahlung ins Land zu lassen. Sie hatten angeboten, mit den zahlreichen extremistischen Gruppen kurzen Prozess zu machen, die den Trümmerstaat schon seit über einem Jahrzehnt in die Knie zwingen. Zum Leidwesen der an Minusma beteiligten westlichen Staaten sollen bereits rund 1000 russische Söldner im Land sein.

Unter solchen Bedingungen lag das Ende einer zweiten Mission mit deutscher Beteiligung nahe: Die Ausbildung malischer Soldaten im Rahmen der Europäischen Trainingsmission (EUTM). Ihr versetzt Baerbock bei ihrem Besuch den Todesstoß: Allein die Anwesenheit der Wagner-Truppe schließe die Fortsetzung dieser Mission aus, an der rund 100 Bundeswehrsoldaten beteiligt sind.

Weiße Kämpfer, die eine unverständliche Sprache sprachen, sollen bereits an zwei Massakern im Zentrum des Landes beteiligt gewesen sein, bei denen Hunderte von Menschen ums Leben kamen. Einige sollen gefesselt und angezündet worden sein: „Wir sehen hier ähnliche Muster wie in der Ukraine“, sagt Baerbock. Minusma wollte die Vorwürfe untersuchen – der Bataillonschef der deutschen Bodenaufklärer, Oberstleutnant Alfred Hugger, hatte bereits ein Team zusammengestellt. Doch die Militärchefs in Bamako erteilen der Mission ein Njet.

Seitdem fragt sich der Oberstleutnant noch eindringlicher, ob die Mission sinnvoll ist: „Wenn man alle Streben herausnimmt, wird das Gebäude irgendwann zusammenbrechen.“ Sobald die Franzosen vollends abgezogen sind, wird auch die Frage akut, wer die Minusma-Truppen im Konfliktfall mit Kampfhubschraubern unterstützt – und wer den Flughafen in Gao führt. Baerbock räumt ein, dass noch einige Fragen geklärt werden müssten, bevor die deutsche Beteiligung verlängert werden kann. Dass die grüne Außenpolitikerin das will, steht außer Frage. „Als Teil der internationalen Gemeinschaft haben wir eine Verantwortung dafür, dass für die Sicherheit der malischen Bevölkerung gesorgt wird.“

Baerbock fordert, das Land mit Wahlen zu „stabilisieren“

Auf jeder ihrer Etappen legt Baerbock Wert darauf zu zeigen, wem das deutsche militärische Engagement eigentlich gilt. Der malischen Zivilbevölkerung, die derzeit in zahlreichen Krisen steckt: Der Klimakrise, die das Land immer heißer werden lässt; der von Putins Krieg in der Ukraine ausgelösten Nahrungsmittelkrise, die den Preis für das Grundnahrungsmittel Hirse in den vergangenen Wochen verdoppelt hat; der von den Dschihadisten verursachten Sicherheitskrise, die jetzt noch von den russischen Söldnern verschärft wird. Fast die Hälfte ihrer Zeit im Feldlager der Bundeswehr wendet Baerbock für eine Begegnung mit drei Frauen auf, die der Ministerin von ihrem trostlosen Leben erzählen.

In dem Gespräch kommt eine kleine, aber nicht unerhebliche Differenz zwischen den Frauen und der Besucherin zum Vorschein. Während Baerbock, wie die Regierungen von Malis Nachbarstaaten, darauf drängt, dass sich Bamakos Militärs zu einem baldigen Wahltermin verpflichten, halten die Frauen wenig davon. In ihrer Heimat habe es schon genug Wahlen auf zweifelhafter Grundlage gegeben, sagen sie: Erst einmal müssten die Bedingungen für eine wirklich demokratische Abstimmung geschaffen werden.

Nach einem Termin mit dem „Übergangspräsidenten“ Oberst Assimi Goïta wiederholt Baerbock dennoch ihre Forderung, das Land mit Wahlen zu „stabilisieren“. Die Unterredung mit dem 39-jährigen Militärchef zieht sich länger hin – weshalb ein Termin in einem Armenviertel abgesagt werden muss. Warum die Außenministerin einem Putschistenführer überhaupt einen Besuch abstatte, war im Vorfeld gefragt worden. Auch in dieser Hinsicht hat die grüne Realpolitik längst Oberhand gewonnen. Deutschland hat in Mali einen ausgezeichneten Ruf, seit man die Unabhängigkeit im Juni 1960 als erstes Land der Welt anerkannt hatte: Das Telegramm aus Bonn wird in Bamakos Regierungspalast wie eine Reliquie aufbewahrt. „Deutschland hat hier ein Gewicht, das man nicht vergeuden darf“, sagt ein Begleiter der Ministerin: „Putin würde sich die Hände reiben.“

Johannes Dieterich

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