zum Hauptinhalt
239390_0_96cccb30.jpeg

© AFP

Ministerpräsident im Interview: „Schottland schafft es allein – trotz Krise“

Schottlands Ministerpräsident Alex Salmond im Tagesspiegel-Interview über die geplante Unabhängigkeit von London, die Wirtschaftskrise und den speziellen Nationalismus seiner Partei, der SNP.

Alex Salmond, 53, ist Chef der Scottish National Party (SNP), die sich für die schottische Unabhängigkeit einsetzt. Nach dem Sieg bei den schottischen Regionalwahlen 2007 wurde er als Führer einer Minderheitsregierung Ministerpräsident („First Minister“). Der Volkswirtschaftler und Historiker Salmond gehörte zu einer Gruppe linker Rebellen, die in den Achtzigern aus der SNP ausgeschlossen, aber bald darauf wieder aufgenommen wurden. Der Posten des Minister präsidenten soll für Salmond nur der Übergang zum Amt des Regierungschefs eines unabhängigen Schottlands sein.

Herr Ministerpräsident, ist Ihr Traum von der schottischen Unabhängigkeit wegen der Wirtschaftskrise geplatzt?

Auf keinen Fall. Natürlich ist die Wirtschaftskrise unser vorrangiges Problem im Moment, und wir kümmern uns mit ganzer Kraft darum. Aber ich glaube nicht, dass die Krise die negativen Auswirkungen auf unsere Pläne hat, die Kritiker sehen wollen.

Aber haben nicht die Teil-Verstaatlichungen schottischer Banken durch die Regierung in London das Vertrauen erschüttert? Das kleine Schottland wird als nicht stark genug angesehen, selbst solche Rettungsaktionen durchzuziehen.

Die schottische Regierung könnte das auch, wenn sie wollte. Norwegen, ebenfalls ein kleines Land, hat gezeigt, dass es mit der Krise umgehen kann. Der Trick ist aber, gar nicht erst in so eine Situation zu geraten. Das haben wir doch Gordon Browns Deregulierungspolitik überhaupt erst zu verdanken. Ich glaube, dass die Menschen sich gerade in Zeiten der Krise fragen, welche Politik für sie die beste ist, um aus der Misere herauszukommen. Und sie werden zu dem Schluss kommen, dass es vor allem in harten Zeiten wichtig ist, möglichst viele Entscheidungen selbst und unabhängig treffen zu können.

Sie bleiben also beim Datum für ein Referendum in zwei Jahren?

2010 bitten wir die schottische Bevölkerung um das Mandat, Verhandlungen mit London aufzunehmen, die in die Unabhängigkeit führen sollen.

Bis zur tatsächlichen Unabhängigkeit ist es also noch ein weiter Weg.

Die Tschechen und Slowaken haben bei ihren Verhandlungen auch nicht lange gebraucht. Ich glaube, wenn die politische Entscheidung in Schottland gefallen ist, könnte es schnell gehen.

Wäre Gordon Brown oder David Cameron als Premierminister besser für die schottische Unabhängigkeit? Beide sind dagegen, aber der Konservative Cameron hat jetzt eine neue Taktik gegenüber Schottland mit versöhnlicheren Tönen.

Sie haben die Taktik getauscht. Jahrzehntelang haben die Tories geschrien: Ihr könnt es nicht allein, ihr seid zu klein. Jetzt macht Labour genau das. Was die Tories tun, ist natürlich cleverer. Sie wirken dadurch weniger anti-schottisch.

Jetzt hat Ihre Partei, die SNP, allerdings erst einmal eine Nachwahl um einen Unterhaussitz gegen Labour verloren.

Die Verantwortung muss ich übernehmen. Ich habe eine negative Kampagne Labours, bei der es um lokale Belange ging, unterschätzt.

In der großen Politik setzen Sie auf Zusammenarbeit mit Ländern in Ihrer Nachbarschaft. Viele in London machen sich lustig über Ihr Bild vom „Bogen des Wohlstandes“ von Irland über Schottland und Island nach Norwegen. Dies sei eher ein „Bogen der Insolvenz“.

Island hat eine harte Zeit, aber es ist nicht das erste Land, das den Internationalen Währungsfonds um Hilfe bittet. Das hat ein gewisser Mr. Healey als Labour- Schatzkanzler in den Siebzigern auch getan. Irland und Norwegen als insolvent zu bezeichnen, ist absurd. Gerade Norwegen meistert die Krise vorbildlich. Schottland schafft es auch allein.

Welche politischen Auswirkungen sehen sie durch die Finanzkrise?

Eine Auswirkung für Großbritannien wird eine neue Debatte über den Beitritt zum Euro sein, auch wenn man sich in Westminster darüber nicht im Klaren ist. Länder wie Island oder Ungarn haben Probleme wegen ihrer schwachen Währungen. Einzelne Landeswährungen sind anfällig für Spekulationen. Das stärkt die Argumente für den Euro.

Brüssel ist, anders als in London, in Edinburgh kein böses Wort. Aber wäre ein unabhängiges Schottland überhaupt automatisch EU-Mitglied?

Meiner Meinung nach ja. Schottland wäre genauso ein Nachfolgestaat des Vereinigten Königreichs wie das, was vom Vereinigten Königreich übrig bleibt. Beide Teile wären in derselben Position. Beide würden alle internationalen Verpflichtungen übernehmen, die der Vorgängerstaat eingegangen ist. Schottland bricht ja nicht weg. Es geht hier nicht um eine Sezession, sondern um eine Aufhebung des Unionsvertrages von 1707.

Würde Schottland nicht an internationalem Einfluss einbüßen, den es als Teil des Vereinigten Königreichs jetzt hat?

Wir hätten natürlich keinen festen Sitz im Weltsicherheitsrat. Wenn ich sehe, welche Politik Großbritannien mit seinem internationalen Einfluss zuletzt betrieben hat, dann ist das sicherlich kein Verlust. Ich nenne nur den Einmarsch im Irak.

Was wären denn Elemente einer schottischen Außenpolitik?

Wir würden uns auch hier an den skandinavischen Ländern orientieren und ihren Erfolgen als Vermittler für Frieden und Entwicklung. Wir haben hier ja schon jetzt kleine Erfolge vorzuweisen, zum Beispiel in Afrika oder im Kaukasus. Schottland ist diplomatisch in einer guten Position. Wir sind ein Land von fünf Millionen Menschen, haben aber viele Millionen mehr mit schottischen Wurzeln in aller Welt. Viele davon in Schlüsselpositionen. Es gibt mächtige schottische Emigranten – in der Kunst, in der Medizin, in der Wissenschaft. Das ist ein wichtiges Werkzeug in der Diplomatie. Viele Nachkommen schottischer Auswanderer sitzen in den Vorständen internationaler Konzerne. Bei den Finanzen sind vielleicht einige jetzt nicht mehr ganz so mächtig (lacht). Außerdem sind Schotten sehr populär im Ausland.

Die Engländer werden für die schlechten Seiten des Empire kritisiert, und die Schotten tun so, als hätten sie mit dem Imperialismus nichts zu tun gehabt.

Wir hatten sicherlich unseren Anteil an schlechten Entwicklungen. Auf vielen Kontinenten waren Schotten die Vollstrecker des Empire. Aber sie galten auch als aufrecht und fair. Schotten passen sich im Ausland meist gut an und haben ein Interesse an der Kultur des Landes, in dem sie leben.

Befürworter der Unabhängigkeit nennen immer wieder das Nordsee-Öl als Grundlage für den Wohlstand Schottlands. Diese Grundlage ist nicht von Dauer.

Schottland hat nicht nur Öl, eine Ressource, die im Übrigen noch mehrere Jahrzehnte zu Verfügung stehen wird. Wir sind vor allem stark bei erneuerbaren Energien. Einer unserer Küstenstreifen gilt als das Saudi-Arabien der Wasserkraft. Wir haben die stärksten Gezeiten in Europa, die wir zur Energiegewinnung nutzen können. Und wir haben in Zusammenarbeit mit irischen und norwegischen Partnern auch die Technologie und das Potenzial.

Fühlen Sie sich deshalb so sicher in ihrem Anti-Atomkraft-Kurs, in Opposition zu London und anderen europäischen Regierungen?

Meine Argumente gegen Atomkraft haben nicht nur mit der Sicherheit vor allem beim Atommüll zu tun, obwohl ich mich da auch sehr sorge. Mir geht es dabei um ökonomische Zusammenhänge. Wir haben in Schottland einen Vorteil bei der Wasser- und Windkraft und in anderen Bereichen. Warum sollten wir etwas fördern, wovon wir keinen Vorteil haben? Das heißt nicht, dass ich jetzt alle Unternehmen vertreiben will, die in Nuklearenergie investieren. Ich bin sehr zufrieden damit, dass die französische Firma EDF, die ja auch andere Energiefelder erschließt, ihren britischen Sitz bei Glasgow hat.

Ihre Partei, die SNP, nimmt nicht nur bei der Atomkraft eine eher linke Position ein, sondern auch beim Thema Einwanderung. Was ist hier der Grund?

Schottland ist nicht stark bevölkert. Im europäischen Vergleich sind wir ein großes Land mit geringer Bevölkerung, fünf Millionen Menschen auf fast 80 000 Quadratkilometern. Wir haben Platz. Natürlich sind wir am stärksten an gut ausgebildeten Einwanderern interessiert.

In Deutschland ist der Begriff Nationalismus negativ besetzt. Die SNP ist eine nationalistische Partei. Wie passen Nationalismus und diese Positionen zusammen?

Es gibt ja verschiedene Arten von Nationalismus. Schon Lenin hat den progressiven vom regressiven Nationalismus unterschieden, den Nationalismus der Länder, die um Unabhängigkeit kämpfen, vom Nationalismus der Länder, die andere dominieren. Wir sehen uns als progressive nationale Bewegung in einem Land, das nach Unabhängigkeit strebt.

Also müsste Ihre Partei nach der Unabhängigkeit ihren Namen ändern?

Nein. Der südafrikanische ANC hat seinen Namen ja auch nicht geändert.

Aber er hat auch seine Probleme mit dem Übergang von einer Freiheitsbewegung zu einer demokratischen Partei.

Die SNP wäre auf jeden Fall immer auf der progressiven, freiheitlichen Seite.

Also ist Nationalismus nur etwas für kleine Länder?

Nicht unbedingt. Ich glaube, eine englische Unabhängigkeitspartei wäre eine sinnvolle Sache. Natürlich keine britische nationalistische Partei.

Die gibt es schon, die rechtsradikale BNP …

Das ist der Unterschied zwischen einer progressiven nationalistischen Partei und einer in einem etablierten Staat: Da geht es dann um die Angst vor Fremden.

Aber fürchten Sie sich nicht vor einem Stimmungswandel in Schottland wegen der schwierigen wirtschaftlichen Situation?

Die schlechtere Wirtschaftslage führt ja zu weniger Einwanderung, denn es gibt weniger ökonomische Gründe, zu uns zu kommen. Außerdem vertraue ich auf unsere gute Bilanz bei der Eingliederung von Einwanderern. Das fing schon mit den vielen Iren an. Natürlich gab es immer mal Probleme mit religiösem Fanatismus. Aber insgesamt stehen wir gut da. Wir sind an Menschen interessiert, die bleiben wollen. Das Gegenteil von Gastarbeitern, um einen deutschen Begriff zu gebrauchen. Wir möchten Menschen, die zur schottischen Gemeinschaft gehören wollen. Unsere asiatischen Einwanderer sind schottische Patrioten. Viele von ihnen sind stärker für die Unabhängigkeit als unsere „weiße“ oder „angestammte“ Bevölkerung. Sie sehen sich eher als Schotten und weniger als Briten.

Mag das an ihren Erfahrungen mit dem Empire liegen?

Vielleicht. Es liegt aber auch daran, dass die Idee, unabhängig zu werden, für diese Menschen nichts Neues ist. Seit dem Zweiten Weltkrieg lösten sich 50 Länder von London. Viele hatten schwierige Zeiten, aber keines wollte die Unabhängigkeit rückgängig machen. Ein weiterer Grund scheint mir, dass Schottischsein eine attraktive Identität ist.

Und keine Identität, die auf Abstammung beruht?

Nach dem 11. September, in der Debatte um islamistischen Terrorismus, sagen manche, dass sich Einwanderer klar zwischen ihrer britischen und ihrer muslimischen oder pakistanischen oder asiatischen Identität entscheiden müssen. Das ist nicht die schottische Position. Wir sind dafür, dass Menschen verschiedene Facetten von Identitäten haben. Menschen sollten sich als schottische Asiaten oder asiatische Schotten bei uns wohlfühlen. Wir brauchen keinen Kricket-Test, wie ihn Norman Tebbit haben wollte …

… ein erzkonservativer Minister zu Margaret Thatchers Zeiten …

… Tebbit sagte: Wenn Einwanderer zu uns kommen, dann müssen sie das englische Kricket-Team unterstützen.

Identität aufgrund von Abstammung scheint aber auch in Schottland wichtig zu sein. Der Fußball-Altstar Murdo MacLeod fordert, das Nationalteam müsse Spielern mit „schottischem Blut“ vorbehalten bleiben. Es ging darum, dass der Spanier Nacho Novo von den Glasgow Rangers für das Team seiner Wahlheimat spielen wollte. Können Sie nicht auch beim Fußball gut ausgebildete Einwanderer gebrauchen?

Ich würde Nacho Novo sofort spielen lassen. MacLeod liegt falsch. Wir verlieren ja immer wieder Spieler aufgrund ihrer Herkunft zum Beispiel an das irische Nationalteam. Man lässt einige ziehen, man gewinnt einige hinzu. Wir sollten möglichst viele für uns gewinnen.

Auch, damit im geplanten britischen Fußballteam für Olympia 2012 in London mehr Schotten stehen?

Sie können sich vorstellen, dass ich von einem britischen Fußballteam gar nichts halte.

Das Gespräch führte Markus Hesselmann.

Zur Startseite