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Scarlett Johansson lehnte nach der Kritik aus der Trans-Community eine Rollenangebot ab.

© AFP

Minderheiten im Kulturbetrieb: Indios spielen Indios, Transgender Transgender?

Immer dieselben Gesichter oder: Kultur kann eigentlich alles, aber auch hier verliert Diversität oft gegen die Macht. Ein Kommentar zu Robert Lepage und Scarlett Johansson.

Ein Kommentar von Max Tholl

Diversität verändert unsere Gesellschaft, macht sie bunter, offener und dadurch besser. Die Vielfalt ist ein Segen, aber in der Kultur wird sie zunehmend als Fluch empfunden. Denn statt dass alte Trennmauern bröckeln, verhärten sich dort die Fronten. Die Kultur ist das Versuchslabor der Gesellschaft, hier ist alles erlaubt. Die Kunst, so scheint es, muss fortschrittlicher sein als die Gesellschaft, aus der sie entstammt. Doch aktuelle Debatten im Kulturbetrieb zeugen vom Gegenteil.

Musikfestivals leiden immer noch am „Gender Gap“, also dem Einkommensgefälle zwischen Männern und Frauen, die Filmbranche gilt spätestens seit #Metoo als frauenfeindliches Terrain und unterdrückt auch mittels „kultureller Aneignung“ das gesamte Minderheitenspektrum. Besonders letztere Vorwürfe werden immer lauter. In Kanada wurde kürzlich ein Theaterstück von Robert Lepage über die Geschichte des Landes abgesetzt, weil Vertreter der indianischen Urbevölkerung kritisierten, dass das Stück sie ausschließe. Ähnlichen Vorwürfen sah sich Schauspielerin Scarlett Johansson ausgesetzt, die für einen Film einen Transmann spielen sollte. Nach viel Trubel lehnte sie die Rolle schließlich ab. Die Beispiele ließen sich weiterführen, doch im Prinzip geht es immer um dieselben Fragen: Wem gehört welche Kultur, und wie viel Inklusion muss sein?

Diese Debatten sind die Verlängerung der gesellschaftlichen Diskussionen um Integration und Identität und werden mit ebensolcher Verve geführt. Besonders das Thema „kulturelle Aneignung“, also der Vorwurf, dass sich die Mehrheitsgesellschaft kulturelle Attribute von Minderheiten aneignet, verdeutlicht, wie tief der Graben ist.

Es geht - auch hier - letztlich um Macht

Und es zeigt, worum es eigentlich geht: Macht. Natürlich kann man fragen, wieso Lepage keine Indigenen in sein Stück einbezieht oder wieso gerade Johansson einen Transmann spielen soll und nicht ein Transmann. Lepage verteidigte sich, indem er auf seine künstlerische Freiheit pochte, Johansson in dem sie auf andere Cis-Schauspieler*innen in Transrollen verwies.

Doch hier gibt es Befindlichkeiten, die man nicht einfach mit Verweis auf den Status quo oder künstlerische Freiheit beiseiteschieben kann. Der Kulturbetrieb ist immer noch ein überwiegend weißes, männliches, heteronormatives Umfeld, und für viele Minderheiten ist es unfassbar schwer Fuß zu fassen. Wie viele Transschauspieler*innen fallen Ihnen ein? Wie viele mit indianischen Wurzeln? Das ist nicht bloß eine Frage der Anzahl, sondern auch der Repräsentation.

Vorwürfe der kulturellen Aneignung schlagen gelegentlich über die Stränge, keine Frage. Aber der Protest ist wichtig, denn er versucht, Chancengleichheit zu erzielen, wo Machtstrukturen über Jahrhunderte zementiert wurden. Die Vorwürfe gegen Johanssons Besetzung sind auch ein Verweis auf die Diskriminierung von Trans-Schauspieler*innen und eine Forderung nach Gerechtigkeit. Noch werden diese Vorwürfe oft belächelt, aber sie werden längst nicht mehr ignoriert. Das sollte man nicht kleinreden, es ist mehr als ein Teilerfolg. Und natürlich hat Lepage Recht: die Kunst darf alles. Aber dürfen und sollen schließen sich nicht zwingend aus.

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