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Nach Berichten des NDR und der "Süddeutschen Zeitung" sollen 22 deutsche Hochschulen und Forschungsinstitute in den vergangenen Jahren mehr als 10 MillionenDollar Forschungsgeld aus dem Haushalt des US-Verteidigungsministeriums erhalten haben. Auf der Liste stehen auch drei Universitäten ausNRW: Aachen, Bochum (Foto) und Wuppertal.

© dpa

Millionen US-Dollar fließen an deutsche Hochschulen: Deutsche Wissenschaftler forschen für die amerikanische Rüstungsindustrie

Millionen US-Dollar fließen Jahr für Jahr an deutsche Universitäten, die Wissenschaftler forschen im Auftrag des Pentagon. Darunter sind auch umstrittene Projekte, wie die Arbeit an Munition und Sprengstoffen. Viele Wissenschaftler wollen sich mit dem militärischen Nutzen ihrer Arbeit aber nicht auseinandersetzen.

Das US-Verteidigungsministerium überweist deutschen Hochschulen Millionensummen für die Forschung. Mehr als zehn Millionen Dollar haben mindestens 22 Hochschulen und Forschungsinstitute seit dem Jahr 2000 laut Recherchen der „Süddeutschen Zeitung“ und des „NDR“ erhalten. Manche Vorhaben laufen noch immer – die Fälle dürften die Debatte darüber befeuern, wo die Grenzen von Forschung liegen sollten.

Um welche Projekte geht es?

Allein die LMU München erhielt im vergangenen Jahr 470 000 Dollar vom Pentagon, um militärische Sprengstoffe zu verbessern. Die Uni Marburg erforscht im Auftrag der US-Luftwaffe Drohnen und „präzisionsgelenkte Munition“, das Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik forschte an neuartigen Sprengköpfen. Die TU München entwickelt Schiffsantriebe. Einige Vorhaben kommen aus dem Bereich Spracherkennung und Verschlüsselung: Die TU Dresden erhielt rund eine Millionen Dollar, um die Ver- und Entschlüsselung vom MP3-Dateien zu untersuchen. Die Uni Saarbrücken untersucht die mathematische Verarbeitung von Sprachstrukturen. An der Uni Bremen wird Satellitenforschung unterstützt.

Wie stark ist der militärische Aspekt?

Manche Vorhaben sind eindeutig Rüstungsforschung, wie die Arbeiten an Munition und Sprengstoffen. Der LMU-Chemiker Thomas Klapötke ist einer der wenigen, der sich offen zum militärischen Nutzen seiner Forschung bekennt. In einem Hochsicherheitsbereich entwickelt er eine neuartige Bombe, in der giftige Sprengstoffe möglichst gegen „ökologisch und toxikologisch verträglichere“ Substanzen ersetzt werden. Dadurch sollen etwa „kostenintensive Reinigungsarbeiten auf Truppenübungsplätzen“ unnötig werden, erklärt er.

Auf die Frage, wie er sein militärtechnisches Engagement rechtfertige, schreibt Klapötke in einer Mail: „Ich brauche mich gar nicht zu rechtfertigen. Deutschland hat die Bundeswehr und ist Mitglied in der Nato. Also ist es nur logisch, seine eigenen Streitkräfte und die unserer Bündnispartner wo immer es geht zu unterstützen, auch durch erstklassige Forschung!“

Nicht immer liegt der militärische Nutzen so eindeutig auf der Hand. Die meisten Institutionen berufen sich darauf, bei den geförderten Projekten handele es sich allein um Grundlagenforschung. Der TU Darmstadt etwa zahlte das Pentagon im Jahr 2011 gut 200 000 Dollar für einen Bereich, der sich mit der Optimierung von Flugzeugtragflächen beschäftigt. TU-Sprecher Jörg Feuck sagt, es gehe im Grundsatz um „öko-effizientes Fliegen“, von Militärforschung könne keine Rede sein. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstütze den Bereich mit vielen Millionen Euro. Überhaupt würde nur das Flugverhalten großer Zivilflugzeuge untersucht, nicht aber kleiner Kampfjets. Dass auch die Air Force große Flugzeuge hat, lässt Feuck als Argument nicht gelten.

Zu der Frage, ob Geheimdienste die Verschlüsselung vom MP3-Dateien nutzen könnten, die die TU Dresden erforscht, sagt die Uni nichts, da die Wissenschaftler inzwischen woanders arbeiten. Bei einem weiteren geförderten Projekt zu Mikroalgen handele es sich um „reine Grundlagenforschung“. An der Uni Potsdam wurde ein Workshop zu Zufallsbewegungen mit knapp 10 000 Dollar finanziert. Dabei geht es um die Frage, wie sich die Wege von Molekülen in Zellen beschreiben lassen oder die Ausbreitung von Krankheiten durch die Bewegung von Menschen, sagt Projektleiter Ralf Metzler.

Wie verträgt sich das mit der ethischen Grundhaltung der Wissenschaft?

Wie weit sich Wissenschaftler für das Militär engagieren sollten, wo die Grenze ziviler Forschung liegt – daran entzünden sich an deutschen Unis regelmäßig hitzige Diskussionen. Nicht zuletzt spielt die deutsche Vergangenheit eine Rolle. Schließlich haben deutsche Forscher Kampfstoffe und Militärtechnik für die Weltkriege des 20. Jahrhunderts entwickelt. Auch vor diesem Hintergrund haben in den vergangenen Jahrzehnten 14 Unis bundesweit eine Zivilklausel eingeführt, darunter die TU Berlin. Damit verpflichten sie sich, nur zu zivilen Zwecken zu forschen beziehungsweise Forschung mit militärischer Nutzung auszuschließen. Die Klausel ist umstritten: Die Grenze zwischen ziviler und militärischer Forschung sei nicht einfach zu ziehen, sagen die Gegner. Das Argument des doppelten Nutzens („dual use“) spielt eine große Rolle in der Diskussion: Wer militärische Zwecke ausschließe, mache auch vieles in der zivilen Forschung unmöglich. Es handle sich um einen fundamentalen Eingriff in die Freiheit der Forschung.

Pikanterweise haben mit Darmstadt, Bremen, Ilmenau und Frankfurt/Main nun vier Unis vom Pentagon Geld erhalten, die eine Zivilklausel haben. Für die TU Darmstadt sei das kein Widerspruch, sagt ihr Sprecher – weil die Forschung ja zivilen Zwecken diene. Die Klausel schließe nicht prinzipiell aus, Geld von militärischen Auftraggebern zu nehmen. Für Rainer Braun von der „Vereinigung Juristen gegen Atomwaffen“ sind die Fälle ein Zeichen, dass die Zivilklauseln nicht wirksam sind. Er fordert bessere „Überprüfungssysteme“ an den Unis und mehr Transparenz bei der Einwerbung von Drittmitteln, um Militärforschung auszuschließen. „Forschung für den Krieg halte ich für ethisch nicht vertretbar.“

Horst Hippler, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), hält letztlich jedes Forschungsprojekt mit einem doppelten Nutzen für gerechtfertigt. Drohnen, die Militärforschungsgegner als tödliche Kriegsmaschinerie verdammen, könnten auch eingesetzt werden, „um Bodenschätze aufzuspüren“. Eine „rote Linie“ zwischen unmoralischer Kriegsforschung und moralischer Zivilforschung lasse sich nicht ziehen. „Die moralische Verantwortung liegt bei jedem einzelnen Wissenschaftler“, sagt Hippler.

Welche Rolle spielt das Pentagon auf dem Gebiet der Grundlagenforschung?

Das Pentagon verfügt für die Forschungsförderung über riesige Summen: 72,5 Milliarden Dollar waren es 2013. Davon geht zwar ein Großteil in die Entwicklung neuer Waffen. Dennoch bleiben für die Grundlagenforschung in den Technik- und Naturwissenschaften 12,5 Milliarden Dollar übrig, was fast dem gesamten Etat des deutschen Forschungsministeriums entspricht. In den Natur-, Technik- und Lebenswissenschaften sei das Pentagon so der wichtigste Förderer, heißt es in einem Bericht der „American Association for the Advancement of Science“ (AAAS). Der Soziologe Ulrich Schreiterer vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin (WZB) sagt, die US-Unis betrachteten das Pentagon kaum anders als zivile Förderorganisationen.

Forschen deutsche Unis auch für das deutsche Militär?

Das Verteidigungsministerium hat nach eigener Auskunft in den vergangenen drei Jahren im Schnitt zehn Millionen Euro Forschungsförderung pro Jahr an deutsche Unis vergeben. Für HRK-Präsident Hippler ist das unproblematisch: „Alles, was von der Bundeswehr finanziert wird, ist Friedensforschung.“ Rund 900 Millionen Euro gibt das Ministerium pro Jahr für Forschung und Entwicklung aus. Damit werden etwa Institute der Fraunhofer-Gesellschaft gefördert, sieben haben sich zu einem „Fraunhofer-Verbund Verteidigungs- und Sicherheitsforschung“ zusammengetan. Sie entwickeln hochleistungsfähige Zünder für Geschosse und Flugkörper, Schutzsysteme gegen Panzerabwehrhandwaffen und Softwarekomponenten für Drohnen.

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