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Diese Aufnahme von einem Video soll die vorrückenden Truppen zeigen.

© LNA War Information Division/AFP

Milizen marschieren auf Tripolis: General Haftar heizt Machtkampf in Libyen an

Zuletzt hatte es in Libyen Hoffnung auf Frieden gegeben. Jetzt droht plötzlich eine Schlacht um Tripolis – und Europa eventuell eine neue Flüchtlingswelle.

Ein langer Konvoi aus Geländewagen in Tarnfarben mit aufmontierten Maschinengewehren und Luftabwehrgeschützen rollt durch die libysche Wüste in Richtung Westen: Ein Video der so genannten Libyschen Nationalen Armee (LNA) des Generals Chalifa Haftar veranschaulicht einen Vorstoß, der Libyen erneut ins Chaos stürzen könnte.

Haftar, der bisher den Osten des in Anarchie versunkenen Landes beherrscht, schickt sich an, die Hauptstadt Tripolis im Westen einzunehmen, den Sitz der international anerkannten Regierung. Die Offensive erwischte die Vereinten Nationen auf dem falschen Fuß: UN-Generalsekretär Antonio Guterres wurde von Haftars Angriff in Tripolis überrascht, wo er eine Friedenskonferenz vorbereiten wollte. Eine Schlacht um Tripolis könnte nicht nur die Bemühungen um eine politische Lösung zunichtemachen, sondern auch eine neue Flüchtlingswelle aus Libyen über das Mittelmeer nach Südeuropa auslösen.

Dringlichkeitssitzung des des UN-Sicherheitsrates

Deutschland hat wegen der drohenden Eskalation eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates einberufen. „Es kann in Libyen keine militärische Lösung geben“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert dazu am Freitag in Berlin. Die Sitzung findet nach Angaben des Auswärtigen Amtes noch an diesem Freitag ab 20.30 Uhr deutscher Zeit in New York statt. Deutschland hatte am Montag für einen Monat den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat übernommen.

Seit dem Sturz des libyschen Diktators Muammar Gaddafi vor acht Jahren kämpfen diverse Milizen und Rebellenverbände in dem ölreichen Land um die Macht. Auch internationale Akteure mischen mit – und verschärfen damit die Gegensätze. Haftar, ein ehemaliger Offizier in Gaddafis Armee, der nach Siegen über islamistische Gruppen zum starken Mann in Ost-Libyen wurde, erhält Unterstützung von Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Russland; wobei Moskau Medienberichten zufolge parallel auch Kontakte zu einem Sohn Gaddafis pflegt.

Der Türkei und Katar wird dagegen nachgesagt, islamistische Gruppen mit Waffen zu versorgen. Insbesondere der libysche Ableger der Muslim-Bruderschaft profitiert nach Beobachtung von Experten von dieser Hilfe. Haftar ist ein erklärter Erzfeind der Muslimbrüder.

In den vergangenen Jahren bildete sich dennoch eine Koexistenz von Haftar im Osten und der international anerkannten Regierung im Westen heraus, die für ein gewisse Beruhigung der Lage sorgte. Doch Haftars Machtstreben hat diese stillschweigende Übereinkunft außer Kraft gesetzt. Seit Anfang des Jahres hat seine LNA den ölreichen Süden unter ihre Kontrolle gebracht – dort konnte Haftar als Garant der Stabilität von der Schwäche der Regierung profitieren und lokale Gruppen auf seine Seite bringen.

Haftar fühlt sich offenbar stark genug

Jetzt fühlt er sich stark genug für den Angriff auf die Hauptstadt. „Die Zeit (für den Angriff) ist gekommen“, sagte Haftar der LNA zufolge in einer Audiobotschaft an seine Kämpfer. Inzwischen stehen Haftars Truppen rund 30 Kilometer südlich von Tripoli, sollen aber zunächst gestoppt worden sein, wie es aus Sicherheitskreisen der Hauptstadt heißt.

Die dortige Regierung verfügt über keine eigenen Streitkräfte, sondern muss sich auf mehrere Milizen verlassen. Einige Gruppen, die sich in der „Schutztruppe für Tripolis“ zusammengeschlossen haben, wollen sich Haftar entgegenstellen – damit droht eine neue militärische Eskalation und ein neuer Bürgerkrieg. Wichtige Verbündete Haftars wie die VAE und Russland schlossen sich Forderungen der UN und des Westens nach militärischer Zurückhaltung an. Ob sich der General davon beeindrucken lässt, ist nicht sicher.

General Chalifa Haftar befahl den Marsch auf Tripolis.
General Chalifa Haftar befahl den Marsch auf Tripolis.

© Abdullah Doma/AFP

Angesichts von Haftars jüngsten militärischen Erfolgen könnte dessen Kompromissbereitschaft begrenzt sein, schrieb Libyen-Experte Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik kürzlich in einer Analyse. Fachleute sagen verlustreiche Kämpfe um Tripolis voraus, falls Haftar die Attacke wirklich wagen sollte. Selbst wenn seine Kämpfer am Ende in der Hauptstadt einmarschieren sollten, ist das nicht unbedingt das Ende des Konflikts. Haftar ist 75 Jahre alt; seine LNA könnte ohne ihn an der Spitze auseinanderbrechen.

Nur eine politische Verständigung zwischen den rivalisierenden Fraktionen könne Frieden ermöglichen, argumentieren die UN. Erst vor wenigen Wochen hatten sich Haftar und der Ministerpräsident der Tripolis-Regierung, Fayez al Serraj, in Abu Dhabi getroffen, um über eine Lösung zu sprechen. Nach den bisherigen Plänen des UN-Libyengesandten Ghassan Salame soll Mitte April eine „Nationalkonferenz“ in dem Oasenort Ghadames an der Grenze zu Tunesien stattfinden. In Ghadames will Salame die Konfliktparteien nach mehrmals gescheiterten Versuchen endlich auf einen Fahrplan für Parlaments- und Präsidentschaftswahlen festlegen, die dem Land erstmals seit dem Jahr 2011 eine geeinte Regierung bescheren soll. Doch ob die Konferenz wirklich Lösungen bringen kann und ob sie überhaupt zustande kommen wird, ist fraglich. Haftar hat offenbar andere Pläne.

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