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Es gibt hunderte Milizen in den USA.

© AFP

Milizen in den USA: Sie proben für den Bürgerkrieg

Bewaffnete wollten eine demokratische Gouverneurin entführen. Es gibt mehrere Hundert Milizen. Wer sind, sie, was wollen sie, wie gefährlich sind sie?

Die Männer wollten das Capitol von Michigan stürmen, die Gouverneurin Gretchen Whitmer entführen, ihr den Prozess machen und einen Bürgerkrieg anzetteln. Nun hat die US-Polizei dreizehn Mitglieder einer rechten Miliz namens „Wolverine Watchmen“ verhaftet.

Das FBI hatte sie seit Monaten beobachtet und ihre Kommunikation im Internet überwacht. Nun werden sie angeklagt: wegen Terrorismus, Verschwörung und Verstößen gegen das Waffenrecht.

Der Fall wirft brisante Fragen neu auf: Wie gefährlich sind die privaten Milizen in den USA? Wie groß ist ihr Netzwerk? Planen sie, eine Wahlniederlage Donald Trumps nicht anzuerkennen? Und würden sie einen Bürgerkrieg entfachen, um ihn an der Macht zu halten?

Trump ruft Milizen zur Gegenwehr auf

Die erste und nahe liegende Antwort ist: Ja. Der Präsident hat bereits bei den Massenprotesten gegen Polizeigewalt im Sommer Anhänger aufgerufen, sie sollten den öffentlichen Raum als „Patrioten“ gegen einen „linken Mob“ und die „Antifa“ verteidigen. Es kam in der Folge zu direkten Konfrontationen von bewaffneten Trump-Anhängern und bewaffneten Unterstützern der „Black Lives Matter“-Bewegung. Es fielen Schüsse. Es gab Todesopfer.

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In diesen Tagen lösen gewaltbereite Gruppen wie die „Proud Boys“, die in der TV-Debatte zwischen Trump und Joe Biden zur Sprache kamen, oder die „Oath Keepers“ Besorgnis aus. Sie wollen „ihren“ Präsidenten Trump im Amt halten – wenn es nicht anders geht, auch mit Gewalt. Generell gibt es in den USA gefährlich viele Waffen in Privatbesitz – mehr als das Land Einwohner hat.

Hoher Anteil von Veteranen mit militärischer Erfahrung

Experten schätzen, dass es rund aktive 300 Milizen mit zusammen 15.000 bis 20.000 Mitgliedern gibt. Ein Viertel davon seien Veteranen des US-Militärs.

Andererseits wendet die „Washington Post“ ein, man solle die Bedrohung der Demokratie durch die Milizen nicht dramatisieren. Sie klopft fünf gängige „Mythen“ auf ihren Realitätsgehalt ab. Erstens würden Milizen als besonders gewaltbereit dargestellt. Statistisch seien Einzeltäter jedoch gefährlicher.

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Zweitens werde häufig verbreitet, rechte Milizen unterstützen Donald Trump, und zum ersten Mal in der US-Geschichte habe die Bewegung in ihm einen Gleichgesinnten als Präsidenten. Tatsächlich sei die Ablehnung einer starken zentralisierten Staatsmacht das Hauptmotiv der Milizen – und diese Ablehnung der schließe den Präsidenten ein.

Die Staatsfeindlichkeit ist heute Mainstream

Drittens werden die Regierungsfeindlichkeit und generell die Weltanschauung der Milizen als extrem eingestuft. Die Entwicklung der Meinungsumfragen zeige jedoch, dass die Skepsis gegenüber der Bundesregierung längst Mainstream sei. Mitte der 1960er Jahre sagten 77 Prozent der US-Bürger, sie hätten Vertrauen dazu, dass die Bundesregierung in der Regel die richtigen Entscheidungen treffe. Heute sagen das nur noch 17 Prozent. Das Grundmotiv, sich einer Miliz anzuschließen, sei die Sorge, dass der Staat gegen den Willen der Bürger zu sehr in deren Alltag eingreife, die Regierung also immer Diktatur-ähnlicher werde.

Der vierte Mythos sei der Glaube, dass Milizen eine gemeinsame Ideologie verfolgen. Tatsächlich hätten sie unterschiedliche Motive und Ziele. Manche nennen sich Christen, manche Patrioten. Für die Einen war die Sorge vor Einschränkungen des Waffenrechts der Anstoß, für andere die illegale Einwanderung, für wieder andere das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, der Widerstand gegen höhere Steuern oder generell einen übergriffigen Staat.

Manche Milizen unterstützen "Black Lives Matter"

Fünftens werden Milizen oft mit Rassisten und „White Supremacists“ gleichgesetzt, also Anhängern des Glaubens an die Überlegenheit der Weißen. Milizen, Ku Klux Klan, Nazis – alles werde in einen Topf gerührt. In der Realität sei die Bandbreite größer. Die Rhetorik vieler Milizen richte sich gegen Muslime und Latinos. Doch es gebe auch Milizen, die für mehr Diversität in ihren Reihen werben. Und Milizen, die „Black Lives Matter“ unterstützen sowie deren Forderung nach „Defunding“ der Polizei.

Das Gefährliche und zugleich schwer Berechenbare an der Dynamik ist die Mischung aus drei Elementen: wachsendes Misstrauen gegen den Staat, Ausdehnung der Milizbewegung von Randgruppen in die Breite der Gesellschaft und allgemeiner Zugang zu Feuerwaffen. Ein zusätzlicher Risikofaktor sind Veteranen des US-Militärs, die Milizen beitreten. Das tun zwar laut Experten nur wenige Tausend der 20 Millionen US-Veteranen. Doch ihre Ausbildung kann die Organisation und Schlagkraft von Milizen stärken.

Es gibt auch Milizen die die Black-Lives-Matter-Bewegung unterstützen.
Es gibt auch Milizen die die Black-Lives-Matter-Bewegung unterstützen.

© REUTERS

In den USA gibt es mehr Waffen als Einwohner

In Amerikas Privathaushalten gibt es mehr Feuerwaffen, als das Land Einwohner hat. Und bezogen auf die Zahl der Bürger weit mehr als in jedem anderen Land, darunter Bürgerkriegsstaaten wie der Jemen. Die privaten Waffen sind allerdings nicht gleichmäßig über das Land verteilt. Sie konzentrieren sich in weniger als der Hälfte der Haushalte. Bei rund 400 Millionen Waffen und offiziell rund 50 Millionen waffenbesitzenden Haushalten, haben diese im Schnitt acht Pistolen und Gewehr im Haus.

Haushalte mit Waffen findet man vor allem auf dem Land, wo die Jagd zum Lebensstil gehört, und in Kleinstädten. In Großstädten sind sie seltener. Republikaner sind eher Waffenfreunde als Demokraten. Aber auch da sind die Abgrenzungen fließend. Bernie Sanders, der Präsidentschaftskandidat des linken Parteiflügels und nach eigenen Worten ein „Sozialist“, verteidigt das Recht auf privaten Waffenbesitz. In den grünen Bergen seiner Heimat Vermont gehören die Jagd und der Schießsport auch für Linke zu akzeptierten Freizeitvergnügen.

Trumps Rhetorik rückt die Milizen ins Zentrum

Weil Trump sich nicht klar von rechten Milizen distanziert, fanden Gewalttaten, in die Milizen und Veteranen mit Verbindungen zu Milizen verwickelt waren, in seiner Amtszeit mehr Aufmerksamkeit als zuvor. Bei den blutigen Protesten gegen Denkmäler für Südstaaten-Helden 2017 im Universitätsstädtchen Charlottesville in Virginia knüppelte ein Ex-Marine, Vasillios Pistolis, Demonstranten nieder.

Bei den Unruhen in Oakland im Mai schoss ein Unteroffizier der Luftwaffe, Steven Carillo, einen Bundespolizisten nieder; Carillo bekennt sich zur regierungsfeindlichen Bewegung „Boogaloo“.

Afroamerikaner drohen mit Waffen wegen Corona-Auflagen

Ende Mai bedrohten schwer bewaffnete Demonstranten, zum Großteil Afroamerikaner, Politiker vor dem regionalen Parlament in Michigan, um Lockerung bei den Corona-Auflagen zu erreichen. In Las Vegas planten drei Ex-Soldaten im Juni einen Aufruhr mit selbst gebastelten Bomben und Molotowcocktails auszulösen, der zum Umsturz der Regierung führen sollte.

Die Beispiele zeigen: Die Gefahr existiert. Im Wahljahr kommt es regelmäßig zu tödlichen oder potenziell tödlichen Konfrontationen. Einige werden bereits im Planungsstadium von den Sicherheitsdiensten aufgedeckt. Zugleich halten viele Beobachter die Warnungen vor einem Bürgerkrieg in den USA für übertrieben. Dafür sind die Kräfteverhältnisse zwischen Milizen und Staatsmacht zu ungleich.

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